Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.nicht auf dem Standpunkt, der ungefähr dem unserer Professoren entspricht, nach Wir kommen nun zu Harte's neuen Novellen, den "Idyllen aus den Nach einiger Zeit erscheint er selbst dort und wird von Frau Decker, die Grenzboten II. 18?5. 39
nicht auf dem Standpunkt, der ungefähr dem unserer Professoren entspricht, nach Wir kommen nun zu Harte's neuen Novellen, den „Idyllen aus den Nach einiger Zeit erscheint er selbst dort und wird von Frau Decker, die Grenzboten II. 18?5. 39
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0309" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133597"/> <p xml:id="ID_969" prev="#ID_968"> nicht auf dem Standpunkt, der ungefähr dem unserer Professoren entspricht, nach<lb/> welchem nur ein dickleibiges „Hauptbuch" den beachtenswerten Gelehrten docu-<lb/> mentirt; denn Kleist mit seinem halben Dutzend Novellen wird in unsrer erzählen¬<lb/> den Literatur länger leben, als alles, was gegenwärtig auf diesem Gebiete des deut¬<lb/> schen Reiches dreibändig, vierbändig oder neunbändig herum kriecht und fliegt.<lb/> Indeß wäre es doch immer hin wünschenswert!), zu erfahren, ob Amerika be¬<lb/> reits im Stande ist, einen eigentlichen Roman zu produciren. Neuyork böte<lb/> unzweifelhaft so viel Stoff, als London dem Autor Copperfields, und der<lb/> Vater von Muß und John Oakhurst möchte recht wohl die Kraft haben,<lb/> diesen Stoff künstlerisch zu bewältigen und sich so im vollen Sinne den Namen<lb/> des „amerikanischen Dickens" zu verdienen, den man ihm — wir bekennen<lb/> das trotz unsrer fast unbegrenzten Achtung vor seinen bisherigen Leistungen<lb/> — gegenwärtig nur mit Einschränkung zugestehen darf.</p><lb/> <p xml:id="ID_970"> Wir kommen nun zu Harte's neuen Novellen, den „Idyllen aus den<lb/> Vorbergen", und zwar zunächst zur ersten, die uns einen Zug aus dem Leben<lb/> des Spielers John Oakhurst erzählt, dessen heroisches Ende die Leser der<lb/> „Argonautengeschichten" in den „Ausgestoßenen von Poker Flat" kennen ge¬<lb/> lernt haben. Oakhurst, eines Morgens früh gegen seine Gewohnheit vom<lb/> Pharaotische aufgestanden, macht aus der Promenade von Sacramento zu¬<lb/> fällig die Bekanntschaft einer Frau, die, obwohl sie gelähmt ist, so daß sie<lb/> in einem Handwägelchen von ihrem Manne, einem Bauhandwerker spazieren<lb/> gefahren wird, durch ihr Wesen einen Zauber auf ihn ausübt, wie keine an¬<lb/> dere vor ihr. Er erkennt in dem Mann einen Herrn Decker, einen seiner<lb/> Kunden wieder, der an ihn Geld verloren hat, und giebt es ihm zurück, was.<lb/> rend die Frau sich mit den Blumen beschäftigt, die er der Kranken mitleidig<lb/> in einem benachbarten Garten gekauft hat. Decker hat dabei versprochen,<lb/> nichts von dem Verlust seines Geldes, das zur Wiederherstellung der Gesund¬<lb/> heit seiner Frau in einem Badeorte bestimmt gewesen, zu verrathen. Er hält<lb/> diese Zusage indeß aus reiner Gutmüthigkeit nicht, und Frau Decker erfährt<lb/> somit, daß Oakhurst ein Spieler ist. Aber weit entfernt davon, sich dadurch<lb/> .von ihm zurückschrecken zu lassen, fühlt sie sich nur mehr zu ihm hingezogen;<lb/> denn sie ist eine speculirende Coquette, wenn auch keine von der gewöhnlichen<lb/> Art. Oakhurst vermittelt dann, daß Decker bei den Schwefelquellen von San<lb/> Isabel einträgliche Arbeiten bekommt und seine Frau in denselben Heilung<lb/> von ihrem Leiden findet. »</p><lb/> <p xml:id="ID_971" next="#ID_972"> Nach einiger Zeit erscheint er selbst dort und wird von Frau Decker, die<lb/> inzwischen, kaum genesen, mit einem hier verweilenden Bankier Hamilton ein<lb/> Verhältniß angeknüpft hat, in einer Weise empfangen, die ihm mit ihrer<lb/> dreisten Unweiblichkeit die Augen über ihr innerlich hohles Wesen öffnen müßte,<lb/> wenn die Liebe nicht blind machte. Frau Decker wendet sich jetzt von Hamilton</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 18?5. 39</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0309]
nicht auf dem Standpunkt, der ungefähr dem unserer Professoren entspricht, nach
welchem nur ein dickleibiges „Hauptbuch" den beachtenswerten Gelehrten docu-
mentirt; denn Kleist mit seinem halben Dutzend Novellen wird in unsrer erzählen¬
den Literatur länger leben, als alles, was gegenwärtig auf diesem Gebiete des deut¬
schen Reiches dreibändig, vierbändig oder neunbändig herum kriecht und fliegt.
Indeß wäre es doch immer hin wünschenswert!), zu erfahren, ob Amerika be¬
reits im Stande ist, einen eigentlichen Roman zu produciren. Neuyork böte
unzweifelhaft so viel Stoff, als London dem Autor Copperfields, und der
Vater von Muß und John Oakhurst möchte recht wohl die Kraft haben,
diesen Stoff künstlerisch zu bewältigen und sich so im vollen Sinne den Namen
des „amerikanischen Dickens" zu verdienen, den man ihm — wir bekennen
das trotz unsrer fast unbegrenzten Achtung vor seinen bisherigen Leistungen
— gegenwärtig nur mit Einschränkung zugestehen darf.
Wir kommen nun zu Harte's neuen Novellen, den „Idyllen aus den
Vorbergen", und zwar zunächst zur ersten, die uns einen Zug aus dem Leben
des Spielers John Oakhurst erzählt, dessen heroisches Ende die Leser der
„Argonautengeschichten" in den „Ausgestoßenen von Poker Flat" kennen ge¬
lernt haben. Oakhurst, eines Morgens früh gegen seine Gewohnheit vom
Pharaotische aufgestanden, macht aus der Promenade von Sacramento zu¬
fällig die Bekanntschaft einer Frau, die, obwohl sie gelähmt ist, so daß sie
in einem Handwägelchen von ihrem Manne, einem Bauhandwerker spazieren
gefahren wird, durch ihr Wesen einen Zauber auf ihn ausübt, wie keine an¬
dere vor ihr. Er erkennt in dem Mann einen Herrn Decker, einen seiner
Kunden wieder, der an ihn Geld verloren hat, und giebt es ihm zurück, was.
rend die Frau sich mit den Blumen beschäftigt, die er der Kranken mitleidig
in einem benachbarten Garten gekauft hat. Decker hat dabei versprochen,
nichts von dem Verlust seines Geldes, das zur Wiederherstellung der Gesund¬
heit seiner Frau in einem Badeorte bestimmt gewesen, zu verrathen. Er hält
diese Zusage indeß aus reiner Gutmüthigkeit nicht, und Frau Decker erfährt
somit, daß Oakhurst ein Spieler ist. Aber weit entfernt davon, sich dadurch
.von ihm zurückschrecken zu lassen, fühlt sie sich nur mehr zu ihm hingezogen;
denn sie ist eine speculirende Coquette, wenn auch keine von der gewöhnlichen
Art. Oakhurst vermittelt dann, daß Decker bei den Schwefelquellen von San
Isabel einträgliche Arbeiten bekommt und seine Frau in denselben Heilung
von ihrem Leiden findet. »
Nach einiger Zeit erscheint er selbst dort und wird von Frau Decker, die
inzwischen, kaum genesen, mit einem hier verweilenden Bankier Hamilton ein
Verhältniß angeknüpft hat, in einer Weise empfangen, die ihm mit ihrer
dreisten Unweiblichkeit die Augen über ihr innerlich hohles Wesen öffnen müßte,
wenn die Liebe nicht blind machte. Frau Decker wendet sich jetzt von Hamilton
Grenzboten II. 18?5. 39
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