Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.sich als Sänger der Liebe in derselben, und theilweise noch verfänglicheren So war es bei Ovid: das durchgängige Thema seiner sämmtlichen von sich als Sänger der Liebe in derselben, und theilweise noch verfänglicheren So war es bei Ovid: das durchgängige Thema seiner sämmtlichen von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0296" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133584"/> <p xml:id="ID_930" prev="#ID_929"> sich als Sänger der Liebe in derselben, und theilweise noch verfänglicheren<lb/> Weise hatten vernehmen lassen, unbehelligt zu lassen? War etwa Ovid's<lb/> Lebenswandel anstößiger, als der seiner Kunstgenossen? Dieß aus keinen<lb/> Fall und wir dürfen es dem schlichten, durch Offenheit und Gutmüthigkeit<lb/> sich auszeichnenden Dichter auf's Wort glauben, daß seine Sitten viel besser<lb/> waren, als sein Lied. Wohl war sein Gemüth weich und leicht erregbar,<lb/> aber er hatte sich sein Leben rein zu erhalten gewußt. Ebenso sicher aber,<lb/> daß auch seine Liebespoesie nicht der einzige Grund seines Falles waren, sondern<lb/> daß noch ein zweites Moment hinzukam, welches in den Augen des Allein¬<lb/> herrschers noch schwerer wog, das aber jedenfalls mit jenem ersten in irgend<lb/> einem, sei es loseren, sei es engeren, Zusammenhang gestanden haben muß.<lb/> Wäre dieß nicht der Fall, so wäre die Strafe sinnlos und barbarisch zu¬<lb/> gleich; vor beiden Vorwürfen hatte sich der Alleinherrscher zu hüten und er war<lb/> zeitlebens schlau genug, seine Stellung so wenig wie möglich zu compromit-<lb/> tiren. Eine Strafe, die nach unseren Begriffen erst zur oder sogar nach der<lb/> Zeit der juristischen Verjährung den Schuldigen trifft, hat nur dann Sinn<lb/> und Berechtigung, wenn ein neuer Fall mit dem ersten in ursächliche Ver¬<lb/> bindung gebracht werden kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_931" next="#ID_932"> So war es bei Ovid: das durchgängige Thema seiner sämmtlichen von<lb/> Tomi aus erklingenden Trauerlieder, zu welchen alle übrige Zuthat gleichsam die<lb/> Variationen bildet, lautet: Zwei Dinge haben mich zu Fall gebracht, mein Lied<lb/> und mein Irrthum. Irrthum, Thorheit, Aengstlichkeit — aber keine Schuld,<lb/> aber keine Unthat, kein Verbrechen, so tönt es in allen Nuancen wieder, und<lb/> zwar so feierlich und so rührend zugleich, daß kein Gedanke an eine Be¬<lb/> schönigung oder gemeine falsche Aussage aufkommen kann. Man kannte den<lb/> Grund von Ovid's Mißgeschick in Rom gar wohl; der beliebteste und gelesenste<lb/> Dichter konnte nicht auf einmal durch ein Machtgebot aus dem Kreise der<lb/> Lebenden entrückt werden, ohne daß die Sache zum Stadtgespräch wurde und<lb/> das römische Publikum ließ sich mit der Thatsache nicht abspeisen; es wollte<lb/> und erfuhr auch die Gründe. Merkwürdig aber, daß Ovid immer nur all¬<lb/> gemein andeutet, 5en eigentlichen Anlaß aber und die Beschaffenheit seines<lb/> Irrthums absichtlich verschweigt, weil es „gefährlich sei, alte Wunden aufzu¬<lb/> frischen". Dieß erklärt sich kaum anders als durch die Annahme, daß<lb/> Augustus persönlich nicht als Alleinherrscher sondern als Mensch, als<lb/> Familienhaupt oder wie sonst durch den „Irrthum" Ovid's betroffen war.<lb/> Und hierbei ist von großem Gewicht die einzige speziellere Angabe des Dichters,<lb/> daß er etwas gesehen habe, was er nicht hätte sehen sollen. Was nun<lb/> das mag gewesen sein, darüber lassen sich freilich nur Vermuthungen anstellen,<lb/> aber keine kann auf den Grad von Wahrscheinlichkeit Anspruch machen, wie die,<lb/> welcher der Großtochter des Augustus, der berüchtigten Julia, der Tochter einer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0296]
sich als Sänger der Liebe in derselben, und theilweise noch verfänglicheren
Weise hatten vernehmen lassen, unbehelligt zu lassen? War etwa Ovid's
Lebenswandel anstößiger, als der seiner Kunstgenossen? Dieß aus keinen
Fall und wir dürfen es dem schlichten, durch Offenheit und Gutmüthigkeit
sich auszeichnenden Dichter auf's Wort glauben, daß seine Sitten viel besser
waren, als sein Lied. Wohl war sein Gemüth weich und leicht erregbar,
aber er hatte sich sein Leben rein zu erhalten gewußt. Ebenso sicher aber,
daß auch seine Liebespoesie nicht der einzige Grund seines Falles waren, sondern
daß noch ein zweites Moment hinzukam, welches in den Augen des Allein¬
herrschers noch schwerer wog, das aber jedenfalls mit jenem ersten in irgend
einem, sei es loseren, sei es engeren, Zusammenhang gestanden haben muß.
Wäre dieß nicht der Fall, so wäre die Strafe sinnlos und barbarisch zu¬
gleich; vor beiden Vorwürfen hatte sich der Alleinherrscher zu hüten und er war
zeitlebens schlau genug, seine Stellung so wenig wie möglich zu compromit-
tiren. Eine Strafe, die nach unseren Begriffen erst zur oder sogar nach der
Zeit der juristischen Verjährung den Schuldigen trifft, hat nur dann Sinn
und Berechtigung, wenn ein neuer Fall mit dem ersten in ursächliche Ver¬
bindung gebracht werden kann.
So war es bei Ovid: das durchgängige Thema seiner sämmtlichen von
Tomi aus erklingenden Trauerlieder, zu welchen alle übrige Zuthat gleichsam die
Variationen bildet, lautet: Zwei Dinge haben mich zu Fall gebracht, mein Lied
und mein Irrthum. Irrthum, Thorheit, Aengstlichkeit — aber keine Schuld,
aber keine Unthat, kein Verbrechen, so tönt es in allen Nuancen wieder, und
zwar so feierlich und so rührend zugleich, daß kein Gedanke an eine Be¬
schönigung oder gemeine falsche Aussage aufkommen kann. Man kannte den
Grund von Ovid's Mißgeschick in Rom gar wohl; der beliebteste und gelesenste
Dichter konnte nicht auf einmal durch ein Machtgebot aus dem Kreise der
Lebenden entrückt werden, ohne daß die Sache zum Stadtgespräch wurde und
das römische Publikum ließ sich mit der Thatsache nicht abspeisen; es wollte
und erfuhr auch die Gründe. Merkwürdig aber, daß Ovid immer nur all¬
gemein andeutet, 5en eigentlichen Anlaß aber und die Beschaffenheit seines
Irrthums absichtlich verschweigt, weil es „gefährlich sei, alte Wunden aufzu¬
frischen". Dieß erklärt sich kaum anders als durch die Annahme, daß
Augustus persönlich nicht als Alleinherrscher sondern als Mensch, als
Familienhaupt oder wie sonst durch den „Irrthum" Ovid's betroffen war.
Und hierbei ist von großem Gewicht die einzige speziellere Angabe des Dichters,
daß er etwas gesehen habe, was er nicht hätte sehen sollen. Was nun
das mag gewesen sein, darüber lassen sich freilich nur Vermuthungen anstellen,
aber keine kann auf den Grad von Wahrscheinlichkeit Anspruch machen, wie die,
welcher der Großtochter des Augustus, der berüchtigten Julia, der Tochter einer
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