Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.ein anderes bemerkte jener Kritiker ein ihm: Sein Vortrag sei nichts als Also schon damals! Aber eben damals schon fühlte die junge Dichter¬ Das Dichten galt mehr als Nebenbeschäftigung, es wurde als angenehme ein anderes bemerkte jener Kritiker ein ihm: Sein Vortrag sei nichts als Also schon damals! Aber eben damals schon fühlte die junge Dichter¬ Das Dichten galt mehr als Nebenbeschäftigung, es wurde als angenehme <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0289" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133577"/> <p xml:id="ID_913" prev="#ID_912"> ein anderes bemerkte jener Kritiker ein ihm: Sein Vortrag sei nichts als<lb/> ein aufgelöstes, das heißt nur des Versmaaßes mangelndes Gedicht!</p><lb/> <p xml:id="ID_914"> Also schon damals! Aber eben damals schon fühlte die junge Dichter¬<lb/> natur ihren Beruf, und die Einwände des bedenklichen Vaters, der ihm die<lb/> brodlose Kunst auszureden suchte, prallten ab an dem festen Willen des Sohnes.<lb/> Wie bei König Midas Alles zu Gold, so wurde unter seinen Händen alles<lb/> zu Versen. Hier war die Natur einmal mit überschwänglicher Freigebigkeit<lb/> Zu Werke gegangen; sie hatte es ihrem Liebling leicht gemacht, „das Heilig¬<lb/> tum der Himmlischen" (der Musen) zu betreten. Unter den Auserwählten<lb/> aller Zeiten und Literaturen steht, wenn glückliche Anlage und die Summe der<lb/> Talente für den Dichterberuf gewogen werden. Ovid in erster Reihe, über¬<lb/> gössen hat ihn in der dichterischen Virtuosität Keiner, kaum einer ihn erreicht.<lb/> Und man hat es hier nicht mit einem bloßen Techniker und Verskünstler zu<lb/> thun, welcher die Leere des Inhalts mit der gleißnerischen Form zu über¬<lb/> tünchen sucht, oder mit einem rein formalen Talent, das aus lauter Lust<lb/> mit der Mosaik der Form spielt und an seiner Komposition, ganz unbeküm¬<lb/> mert um Sinn und Inhalt seine Kraft übt: Ovid ist und bleibt ein Dichter,<lb/> Mag ihn auch sein üppiges technisches Kraftgefühl mehr als einmal von der<lb/> ^mie der Wahrheit und Schönheit abführen, mag es ihn verleiten, statt in<lb/> ^r Tiefe Gold zu suchen, lieber auf der glatten Oberfläche zu tändeln und<lb/> "ach bunten, aber leichten Gebilden zu haschen, so sind seine Gedichte dennoch<lb/> Mit dem Stempel des Genies geprägt. Keiner seiner ältern oder jüngern<lb/> Zeit- und Zunftgenossen, weder Horaz noch Virgil, weder Properz noch Ti-<lb/> bull, und wie sie alle heißen mögen, die er selber in stattlicher Reihe aufzählt:<lb/> Keiner hat sich so mit Leib und Seele seiner Kunst ergeben und in ihr sein<lb/> eigentliches, unentbehrliches Element, gleichsam seine geistige Luft gefunden,<lb/> ^le Ovid. Und wir müssen dabei bedenken, daß Dichter und nur dieser<lb/> Zu sein von Berufswegen damals, unter dem praktischen, nüchternen, prosa¬<lb/> ischen Volk der Römer noch kein so landläufiger Entschluß war, wie heut¬<lb/> zutage.</p><lb/> <p xml:id="ID_915" next="#ID_916"> Das Dichten galt mehr als Nebenbeschäftigung, es wurde als angenehme<lb/> Erholung von den drückenden Staatsgeschäften betrachtet und mancher vor¬<lb/> nehme Römer, dem die Muse sogar kein Lächeln ihres Winkes gegönnt hatte,<lb/> "pferte weniger seinem Trieb als der Mode, indem er seine Mußestunden der<lb/> Dicht- oder wenigstens der Verskunst widmete. Es war schon ein Bruch mit<lb/> Sitte, als das umgekehrte Verhältniß sich in einzelnen Beispielen einbür-<lb/> K^te, das heißt, als man die Poesie zu seiner Hauptaufgabe machte, ohne<lb/> deshalb dem Staat seine Dienste ganz zu entziehen — Ovid wagte es, einer<lb/> ersten, den Bruch mit der Tradition zu vollenden und sich aller und<lb/> jeglicher staatlicher Thätigkeit zu entschlagen, wozu ihn Stellung und Studium</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0289]
ein anderes bemerkte jener Kritiker ein ihm: Sein Vortrag sei nichts als
ein aufgelöstes, das heißt nur des Versmaaßes mangelndes Gedicht!
Also schon damals! Aber eben damals schon fühlte die junge Dichter¬
natur ihren Beruf, und die Einwände des bedenklichen Vaters, der ihm die
brodlose Kunst auszureden suchte, prallten ab an dem festen Willen des Sohnes.
Wie bei König Midas Alles zu Gold, so wurde unter seinen Händen alles
zu Versen. Hier war die Natur einmal mit überschwänglicher Freigebigkeit
Zu Werke gegangen; sie hatte es ihrem Liebling leicht gemacht, „das Heilig¬
tum der Himmlischen" (der Musen) zu betreten. Unter den Auserwählten
aller Zeiten und Literaturen steht, wenn glückliche Anlage und die Summe der
Talente für den Dichterberuf gewogen werden. Ovid in erster Reihe, über¬
gössen hat ihn in der dichterischen Virtuosität Keiner, kaum einer ihn erreicht.
Und man hat es hier nicht mit einem bloßen Techniker und Verskünstler zu
thun, welcher die Leere des Inhalts mit der gleißnerischen Form zu über¬
tünchen sucht, oder mit einem rein formalen Talent, das aus lauter Lust
mit der Mosaik der Form spielt und an seiner Komposition, ganz unbeküm¬
mert um Sinn und Inhalt seine Kraft übt: Ovid ist und bleibt ein Dichter,
Mag ihn auch sein üppiges technisches Kraftgefühl mehr als einmal von der
^mie der Wahrheit und Schönheit abführen, mag es ihn verleiten, statt in
^r Tiefe Gold zu suchen, lieber auf der glatten Oberfläche zu tändeln und
"ach bunten, aber leichten Gebilden zu haschen, so sind seine Gedichte dennoch
Mit dem Stempel des Genies geprägt. Keiner seiner ältern oder jüngern
Zeit- und Zunftgenossen, weder Horaz noch Virgil, weder Properz noch Ti-
bull, und wie sie alle heißen mögen, die er selber in stattlicher Reihe aufzählt:
Keiner hat sich so mit Leib und Seele seiner Kunst ergeben und in ihr sein
eigentliches, unentbehrliches Element, gleichsam seine geistige Luft gefunden,
^le Ovid. Und wir müssen dabei bedenken, daß Dichter und nur dieser
Zu sein von Berufswegen damals, unter dem praktischen, nüchternen, prosa¬
ischen Volk der Römer noch kein so landläufiger Entschluß war, wie heut¬
zutage.
Das Dichten galt mehr als Nebenbeschäftigung, es wurde als angenehme
Erholung von den drückenden Staatsgeschäften betrachtet und mancher vor¬
nehme Römer, dem die Muse sogar kein Lächeln ihres Winkes gegönnt hatte,
"pferte weniger seinem Trieb als der Mode, indem er seine Mußestunden der
Dicht- oder wenigstens der Verskunst widmete. Es war schon ein Bruch mit
Sitte, als das umgekehrte Verhältniß sich in einzelnen Beispielen einbür-
K^te, das heißt, als man die Poesie zu seiner Hauptaufgabe machte, ohne
deshalb dem Staat seine Dienste ganz zu entziehen — Ovid wagte es, einer
ersten, den Bruch mit der Tradition zu vollenden und sich aller und
jeglicher staatlicher Thätigkeit zu entschlagen, wozu ihn Stellung und Studium
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