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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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familie an. Wer damals etwas auf die Erziehung seiner Kinder verwenden
konnte, schickte sie zur Ausbildung nach Rom (das war in noch viel ausge¬
dehnterem Maaße der Fall, als das jetzige Paris die "^rovvneaux" in seinen
bildenden Schooß aufnimmt), und so finden wir auch den jungen, wahrscheinlich
frühreifen Ovid als eifrigen Adepten der Wissenschaft in Gesellschaft seines
etwas älteren Bruders in den Schulen Roms unter theilweise sehr berühmten
Lehrern, das heißt sogenannten Grammatikern und Rhetoren, wovon die
ersten mehr die Elementarfächer, die zweitgenannten die höhere Stufe der
Bildung bei schon vorgeschrittenen Schülern vertraten. Damals wurde auf
die rednerische Ausbildung der Jünglinge ein viel größeres Gewicht gelegt
als heut zu Tage; die Fertigkeit im mündlichen und schriftlichen Ausdruck
war das höchste Ziel, nach welchem der Lernende strebte; wenn auch jetzt, mit
dem Untergang der Republik, die staatsmännische Beredsamkeit aus dem
öffentlichen Leben verschwunden war und der Staatsmann nicht mehr nach
seiner Beredsamkeit gewürdigt wurde, so stand diese gleichwohl noch immer
in großem Ansehen, und es war nicht bloß Nachhall und Ueberlieferung
einer glorreichen Vergangenheit, sondern die stilleren Kreise des öffentlichen
Lebens, besonders die Gerichte, boten den Rednern auch jetzt noch ein lohnendes
Feld. Freilich war die angewandte Methode der Redeübungen, die wir noch
an zahlreichen Beispielen verfolgen können, 'im allgemeinen weder geschmack¬
voll noch geistreich, wenn sie vielleicht auch eine begabte jugendliche Phantasie
mannigfach anzuregen und deren Thätigkeit zu einer dichterischen zu steigern
vermochte. Bei Ovid war dieß in der That der Fall; aber er cultivirte eben
auch mit besonderer Liebhaberei diejenige Gattung der Declamation, welche
mehr die Kraft der schöpferischen Erfindung in Anspruch nahm (die sogenannte
Luasoria, Monologe in der Rolle irgend einer in der Geschichte oder Sage
wichtigen Persönlichkeit, beispielsweise des Caesar, als er vor dem Rubicon
stand, des Cicero, als es sich bei ihm um eine Abbitte bei Antonius. das
heißt um Sein oder Nichtsein handelte, oder des Republikaners Cato, als er
die Gründe für und wider den Selbstmord erwägt) ; weniger seinen Anlagen
entsprechend waren die schwierigeren Controversen, d. h. Streitfälle, in denen
die Schüler als Ankläger und Vertheidiger in der Rolle der Advocaten auf¬
traten; hier kam es mehr auf eine methodisch vorwärtsschreitende, mit logischer
Consecmenz entwickelnde Beweisführung an, und der Strom dichterischer Er¬
findung konnte sich in diese gesetzmäßigen Geleise nicht so üppig ergießen, als
innerhalb der weitern und gefügigem Schranke der Uebungsrede. Ein sehr
kritisch gesinnter Zeitgenosse meldet uns von den rednerischen Versuchen des
jungen Ovid auf jenem ersten Gebiet und lobt alles an ihm, außer der
logischen Ordnung; Ovid wollte eben seiner ergiebigen Einbildungskrast keine
Zügel anlegen und ließ ihr ihren Lauf nach allen Seiten hin. Aber noch


familie an. Wer damals etwas auf die Erziehung seiner Kinder verwenden
konnte, schickte sie zur Ausbildung nach Rom (das war in noch viel ausge¬
dehnterem Maaße der Fall, als das jetzige Paris die „^rovvneaux" in seinen
bildenden Schooß aufnimmt), und so finden wir auch den jungen, wahrscheinlich
frühreifen Ovid als eifrigen Adepten der Wissenschaft in Gesellschaft seines
etwas älteren Bruders in den Schulen Roms unter theilweise sehr berühmten
Lehrern, das heißt sogenannten Grammatikern und Rhetoren, wovon die
ersten mehr die Elementarfächer, die zweitgenannten die höhere Stufe der
Bildung bei schon vorgeschrittenen Schülern vertraten. Damals wurde auf
die rednerische Ausbildung der Jünglinge ein viel größeres Gewicht gelegt
als heut zu Tage; die Fertigkeit im mündlichen und schriftlichen Ausdruck
war das höchste Ziel, nach welchem der Lernende strebte; wenn auch jetzt, mit
dem Untergang der Republik, die staatsmännische Beredsamkeit aus dem
öffentlichen Leben verschwunden war und der Staatsmann nicht mehr nach
seiner Beredsamkeit gewürdigt wurde, so stand diese gleichwohl noch immer
in großem Ansehen, und es war nicht bloß Nachhall und Ueberlieferung
einer glorreichen Vergangenheit, sondern die stilleren Kreise des öffentlichen
Lebens, besonders die Gerichte, boten den Rednern auch jetzt noch ein lohnendes
Feld. Freilich war die angewandte Methode der Redeübungen, die wir noch
an zahlreichen Beispielen verfolgen können, 'im allgemeinen weder geschmack¬
voll noch geistreich, wenn sie vielleicht auch eine begabte jugendliche Phantasie
mannigfach anzuregen und deren Thätigkeit zu einer dichterischen zu steigern
vermochte. Bei Ovid war dieß in der That der Fall; aber er cultivirte eben
auch mit besonderer Liebhaberei diejenige Gattung der Declamation, welche
mehr die Kraft der schöpferischen Erfindung in Anspruch nahm (die sogenannte
Luasoria, Monologe in der Rolle irgend einer in der Geschichte oder Sage
wichtigen Persönlichkeit, beispielsweise des Caesar, als er vor dem Rubicon
stand, des Cicero, als es sich bei ihm um eine Abbitte bei Antonius. das
heißt um Sein oder Nichtsein handelte, oder des Republikaners Cato, als er
die Gründe für und wider den Selbstmord erwägt) ; weniger seinen Anlagen
entsprechend waren die schwierigeren Controversen, d. h. Streitfälle, in denen
die Schüler als Ankläger und Vertheidiger in der Rolle der Advocaten auf¬
traten; hier kam es mehr auf eine methodisch vorwärtsschreitende, mit logischer
Consecmenz entwickelnde Beweisführung an, und der Strom dichterischer Er¬
findung konnte sich in diese gesetzmäßigen Geleise nicht so üppig ergießen, als
innerhalb der weitern und gefügigem Schranke der Uebungsrede. Ein sehr
kritisch gesinnter Zeitgenosse meldet uns von den rednerischen Versuchen des
jungen Ovid auf jenem ersten Gebiet und lobt alles an ihm, außer der
logischen Ordnung; Ovid wollte eben seiner ergiebigen Einbildungskrast keine
Zügel anlegen und ließ ihr ihren Lauf nach allen Seiten hin. Aber noch


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[0288] familie an. Wer damals etwas auf die Erziehung seiner Kinder verwenden konnte, schickte sie zur Ausbildung nach Rom (das war in noch viel ausge¬ dehnterem Maaße der Fall, als das jetzige Paris die „^rovvneaux" in seinen bildenden Schooß aufnimmt), und so finden wir auch den jungen, wahrscheinlich frühreifen Ovid als eifrigen Adepten der Wissenschaft in Gesellschaft seines etwas älteren Bruders in den Schulen Roms unter theilweise sehr berühmten Lehrern, das heißt sogenannten Grammatikern und Rhetoren, wovon die ersten mehr die Elementarfächer, die zweitgenannten die höhere Stufe der Bildung bei schon vorgeschrittenen Schülern vertraten. Damals wurde auf die rednerische Ausbildung der Jünglinge ein viel größeres Gewicht gelegt als heut zu Tage; die Fertigkeit im mündlichen und schriftlichen Ausdruck war das höchste Ziel, nach welchem der Lernende strebte; wenn auch jetzt, mit dem Untergang der Republik, die staatsmännische Beredsamkeit aus dem öffentlichen Leben verschwunden war und der Staatsmann nicht mehr nach seiner Beredsamkeit gewürdigt wurde, so stand diese gleichwohl noch immer in großem Ansehen, und es war nicht bloß Nachhall und Ueberlieferung einer glorreichen Vergangenheit, sondern die stilleren Kreise des öffentlichen Lebens, besonders die Gerichte, boten den Rednern auch jetzt noch ein lohnendes Feld. Freilich war die angewandte Methode der Redeübungen, die wir noch an zahlreichen Beispielen verfolgen können, 'im allgemeinen weder geschmack¬ voll noch geistreich, wenn sie vielleicht auch eine begabte jugendliche Phantasie mannigfach anzuregen und deren Thätigkeit zu einer dichterischen zu steigern vermochte. Bei Ovid war dieß in der That der Fall; aber er cultivirte eben auch mit besonderer Liebhaberei diejenige Gattung der Declamation, welche mehr die Kraft der schöpferischen Erfindung in Anspruch nahm (die sogenannte Luasoria, Monologe in der Rolle irgend einer in der Geschichte oder Sage wichtigen Persönlichkeit, beispielsweise des Caesar, als er vor dem Rubicon stand, des Cicero, als es sich bei ihm um eine Abbitte bei Antonius. das heißt um Sein oder Nichtsein handelte, oder des Republikaners Cato, als er die Gründe für und wider den Selbstmord erwägt) ; weniger seinen Anlagen entsprechend waren die schwierigeren Controversen, d. h. Streitfälle, in denen die Schüler als Ankläger und Vertheidiger in der Rolle der Advocaten auf¬ traten; hier kam es mehr auf eine methodisch vorwärtsschreitende, mit logischer Consecmenz entwickelnde Beweisführung an, und der Strom dichterischer Er¬ findung konnte sich in diese gesetzmäßigen Geleise nicht so üppig ergießen, als innerhalb der weitern und gefügigem Schranke der Uebungsrede. Ein sehr kritisch gesinnter Zeitgenosse meldet uns von den rednerischen Versuchen des jungen Ovid auf jenem ersten Gebiet und lobt alles an ihm, außer der logischen Ordnung; Ovid wollte eben seiner ergiebigen Einbildungskrast keine Zügel anlegen und ließ ihr ihren Lauf nach allen Seiten hin. Aber noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/288>, abgerufen am 06.02.2025.