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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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zum zehnten und zwanzigsten Male. Dann waren wir Zeugen, wie die
geistlichen Herren von der auf dem Dache eines Hauses improvisirten Redner-
bühne zur Feier des Tages ihr Licht leuchten ließen: der fette orthodoxe
Grcissow (früher seines Zeichens Schneider), der würdige Subr, der seine ge¬
wohnten zehn Abendschoppen heute schon zu Mittag zu sich genommen zu
haben scheint, der redliche Hofsümmer, der ein Geberdenspiel wie eine Wind¬
mühle entwickelt. Müde dieser geistlichen Coulissenreißerei (man gewöhnt sich
in Amerika an starke Ausdrücke -- wenn ich das Tagebuch jetzt schriebe, so
würde ich sagen: dieser Erregtheit ohne Inhalt), dieses salbungsvollen Schmach-
tens und Polterns, das nie bei der Stange blieb, sondern bald von der
Wohlthätigkeit faselte, bald ohne Noth dem Atheismus einen Keulenschlag
beibrachte, bald ein paar Schaalheiten über Tod und Unsterblichkeit heraus¬
langte, zog ich mich nach einer Weile zurück und setzte mich ein Stück von
den Rednern in den Waldesschatten, wodurch ich um den Vortrag Freund
Kroll's kam, der besser gewesen sein soll. Ein schöner Zug, der mit Manchem
versöhnte, war der, daß bei der Tellersammlung, die schließlich von den Pa¬
storen für das Waisenhaus vorgenommen wurde, fast vierhundert Dollars
einkamen. Gewöhnliche Handwerker sah ich Fünf-, ja Zehn-Dollar-Noten
auflegen. Bei uns hätten sie sich für generös gehalten, wenn sie fünf oder
zehn Silbergroschen geopfert hätten.

Auf dem Rückwege erfuhr ich von Rothert Einiges über die Entstehung
der, hiesigen protestantischen Gemeinden. Die, deren Prediger jetzt Kroll ist,
war die älteste. Zuerst waren es meist Hochdeutsche, die zu ihr zusammen¬
traten, und denen ein Kaufmann in einem Privathause zuweilen eine Predigt
hielt. Dann mehrte sich die Zahl der Plattdeutschen, die nun Anspruch auf
die Herrschaft erhoben, während die Hochdeutschen der Mehrzahl ihr Recht als
Väter der Gemeinde gegenüberstellten. Die Folge waren lebhafte Streitig¬
keiten, die bei einer Versammlung in der mittlerweile von ihnen erworbenen
Johanneskirche in Schlägerei ausarteten. Die Plattdeutschen wurden endlich
durch allerhand Intriguen der Gegner -- man kaufte sich unter Anderm, um
die Partei zu stärken, förmlich Mitglieder zu ein paar Thalern per Kopf --
dahin gebracht, daß sie sich sür etliche tausend Dollars zum Austritt bestim¬
men ließen. Sie bildeten eine neue Gemeinde und bauten die Walnutkirche,
an der Subr jetzt als Geistlicher fungirt. Hier starben ihnen bald nach ein¬
ander zwei Prediger, und bei der Wahl des dritten kam es wieder zu Zer-
würfniß und Spaltung, und ein Theil der Mitglieder schied aus, um sich kurz
nachher die presbyterianische Kirche zu kaufen und sich dort mit ihrem Can-
didaten als Seelsorger einzurichten. Sie sind die jetzige Paulusgemeinde.
Dieselbe hatte gleichfalls wenig Glück und Frieden und reichlich Noth und
Verdruß mit ihren Pfarrern. Einer kündigte ihr zweimal ohne Weiteres den


zum zehnten und zwanzigsten Male. Dann waren wir Zeugen, wie die
geistlichen Herren von der auf dem Dache eines Hauses improvisirten Redner-
bühne zur Feier des Tages ihr Licht leuchten ließen: der fette orthodoxe
Grcissow (früher seines Zeichens Schneider), der würdige Subr, der seine ge¬
wohnten zehn Abendschoppen heute schon zu Mittag zu sich genommen zu
haben scheint, der redliche Hofsümmer, der ein Geberdenspiel wie eine Wind¬
mühle entwickelt. Müde dieser geistlichen Coulissenreißerei (man gewöhnt sich
in Amerika an starke Ausdrücke — wenn ich das Tagebuch jetzt schriebe, so
würde ich sagen: dieser Erregtheit ohne Inhalt), dieses salbungsvollen Schmach-
tens und Polterns, das nie bei der Stange blieb, sondern bald von der
Wohlthätigkeit faselte, bald ohne Noth dem Atheismus einen Keulenschlag
beibrachte, bald ein paar Schaalheiten über Tod und Unsterblichkeit heraus¬
langte, zog ich mich nach einer Weile zurück und setzte mich ein Stück von
den Rednern in den Waldesschatten, wodurch ich um den Vortrag Freund
Kroll's kam, der besser gewesen sein soll. Ein schöner Zug, der mit Manchem
versöhnte, war der, daß bei der Tellersammlung, die schließlich von den Pa¬
storen für das Waisenhaus vorgenommen wurde, fast vierhundert Dollars
einkamen. Gewöhnliche Handwerker sah ich Fünf-, ja Zehn-Dollar-Noten
auflegen. Bei uns hätten sie sich für generös gehalten, wenn sie fünf oder
zehn Silbergroschen geopfert hätten.

Auf dem Rückwege erfuhr ich von Rothert Einiges über die Entstehung
der, hiesigen protestantischen Gemeinden. Die, deren Prediger jetzt Kroll ist,
war die älteste. Zuerst waren es meist Hochdeutsche, die zu ihr zusammen¬
traten, und denen ein Kaufmann in einem Privathause zuweilen eine Predigt
hielt. Dann mehrte sich die Zahl der Plattdeutschen, die nun Anspruch auf
die Herrschaft erhoben, während die Hochdeutschen der Mehrzahl ihr Recht als
Väter der Gemeinde gegenüberstellten. Die Folge waren lebhafte Streitig¬
keiten, die bei einer Versammlung in der mittlerweile von ihnen erworbenen
Johanneskirche in Schlägerei ausarteten. Die Plattdeutschen wurden endlich
durch allerhand Intriguen der Gegner — man kaufte sich unter Anderm, um
die Partei zu stärken, förmlich Mitglieder zu ein paar Thalern per Kopf —
dahin gebracht, daß sie sich sür etliche tausend Dollars zum Austritt bestim¬
men ließen. Sie bildeten eine neue Gemeinde und bauten die Walnutkirche,
an der Subr jetzt als Geistlicher fungirt. Hier starben ihnen bald nach ein¬
ander zwei Prediger, und bei der Wahl des dritten kam es wieder zu Zer-
würfniß und Spaltung, und ein Theil der Mitglieder schied aus, um sich kurz
nachher die presbyterianische Kirche zu kaufen und sich dort mit ihrem Can-
didaten als Seelsorger einzurichten. Sie sind die jetzige Paulusgemeinde.
Dieselbe hatte gleichfalls wenig Glück und Frieden und reichlich Noth und
Verdruß mit ihren Pfarrern. Einer kündigte ihr zweimal ohne Weiteres den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/28>, abgerufen am 06.02.2025.