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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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ungebührliche Neigung zu Geldgeschäften verrathen. "Er wollte Papst spielen",
sagte Riemeyer, "und er hat sich seinen Gehalt vorauszahlen lassen, um da¬
mit zu zwanzig Procent zu wuchern. Bei Taufen und Trauungen konnte
er gewöhnlich nicht genug bekommen, obschon er's nach der Constitution
eigentlich umsonst thun mußte. Dann hat er Leuten gerathen, das der Kir¬
chenkasse geliehene Geld zu kündigen, weil es (die Gemeinde soll 20.000 Dollars
Schulden haben) nicht sicher stände. Auch studirte er in der letzten Zeit nicht
mehr gehörig auf seine Predigten, und so war's gewöhnlich liederliches Zeug,
nicht gehauen und nicht gestochen. Das wurde so schlimm, daß verschiedene
von uns wegblieben oder ganz auftraten, geschweige denn, daß neue Mitglie¬
der beigetreten wären, die wir recht gut gebrauchen könnten." Aus alledem
scheint hervorzugehen, daß die Angel, um die sich die Angelegenheit dreht
der Geldpunkt ist. Stände es damit nach Wunsche, so nähme man es viel¬
leicht mit dem Papste nicht so genau.

13. September. Früh bei Nothert, dem Schatzmeister der Paulus¬
gemeinde, Besuch gemacht, der ebenfalls Mitglied des Kirchenrathcs und nach
gestrigen Aeußerungen Krölls und Riemeyer's besonders einflußreich ist. Er
hat früher das Sehlosserhandwerk betrieben, ist aber gegenwärtig Inhaber
eines Eisenwaarengeschäfts auf der Western Now und offenbar in guten Ver¬
hältnissen. Langgewachsen, engbrüstig, nach Miene und Rede ein lebhafter
und entschiedener Charakter, erinnert er durch seinen Dialekt wie Niemeyer,
daß er aus plattdeutsch sprechenden Gegenden eingewandert ist. Ich gab ihm
kurz Aufschluß über meine Vergangenheit und überreichte meine Zeugnisse.
Meine einfache Art und Weise schien seinen Beifall zu haben; denn er holte
seine Familie herbei, um sie mir vorzustellen, desgleichen einen Nachbar
Koch, der ebenfalls der Gemeinde angehört. Ueber einer Flasche Portwein
erfuhr ich die gestern vernommenen Klagen über den Pastor noch einmal und
noch ein ziemliches Bündel neue dazu. Doch scheint Göbel auch eine nicht
ganz kleine Partei zu haben, die vorzüglich aus Mitgliedern des Oddfellow-
Ordens besteht, welcher hier den Freimaurern Concurrenz macht, und welchem
der Pfarrer, wenn ich recht verstanden habe, vor Kurzem beigetreten ist. Man
ist in Folge dessen in den letzten Tagen hart aneinander gerathen, und der
Pastor hat sich dabei -- wenn Nothert nicht übertreibt -- nicht gerade als
Gentleman betragen. Schließlich äußerte Nothert den Wunsch, ich möge, da
Göbel nicht wieder auf die Kanzel solle, gleich morgen die Predigt überneh¬
men, was ich indeß mit Hinweis auf meine Ermüdung von der langen
Reise, auf die Unmöglichkeit, in so kurzer Frist, mich zu einem gediegenen
Debüt zu rüsten, und auf die Nothwendigkeit, mich erst mehr zu orientiren,
ablehnte.

14. September. Heut Morgen mit Vetter Theodor (der inzwischen ein-


ungebührliche Neigung zu Geldgeschäften verrathen. „Er wollte Papst spielen",
sagte Riemeyer, „und er hat sich seinen Gehalt vorauszahlen lassen, um da¬
mit zu zwanzig Procent zu wuchern. Bei Taufen und Trauungen konnte
er gewöhnlich nicht genug bekommen, obschon er's nach der Constitution
eigentlich umsonst thun mußte. Dann hat er Leuten gerathen, das der Kir¬
chenkasse geliehene Geld zu kündigen, weil es (die Gemeinde soll 20.000 Dollars
Schulden haben) nicht sicher stände. Auch studirte er in der letzten Zeit nicht
mehr gehörig auf seine Predigten, und so war's gewöhnlich liederliches Zeug,
nicht gehauen und nicht gestochen. Das wurde so schlimm, daß verschiedene
von uns wegblieben oder ganz auftraten, geschweige denn, daß neue Mitglie¬
der beigetreten wären, die wir recht gut gebrauchen könnten." Aus alledem
scheint hervorzugehen, daß die Angel, um die sich die Angelegenheit dreht
der Geldpunkt ist. Stände es damit nach Wunsche, so nähme man es viel¬
leicht mit dem Papste nicht so genau.

13. September. Früh bei Nothert, dem Schatzmeister der Paulus¬
gemeinde, Besuch gemacht, der ebenfalls Mitglied des Kirchenrathcs und nach
gestrigen Aeußerungen Krölls und Riemeyer's besonders einflußreich ist. Er
hat früher das Sehlosserhandwerk betrieben, ist aber gegenwärtig Inhaber
eines Eisenwaarengeschäfts auf der Western Now und offenbar in guten Ver¬
hältnissen. Langgewachsen, engbrüstig, nach Miene und Rede ein lebhafter
und entschiedener Charakter, erinnert er durch seinen Dialekt wie Niemeyer,
daß er aus plattdeutsch sprechenden Gegenden eingewandert ist. Ich gab ihm
kurz Aufschluß über meine Vergangenheit und überreichte meine Zeugnisse.
Meine einfache Art und Weise schien seinen Beifall zu haben; denn er holte
seine Familie herbei, um sie mir vorzustellen, desgleichen einen Nachbar
Koch, der ebenfalls der Gemeinde angehört. Ueber einer Flasche Portwein
erfuhr ich die gestern vernommenen Klagen über den Pastor noch einmal und
noch ein ziemliches Bündel neue dazu. Doch scheint Göbel auch eine nicht
ganz kleine Partei zu haben, die vorzüglich aus Mitgliedern des Oddfellow-
Ordens besteht, welcher hier den Freimaurern Concurrenz macht, und welchem
der Pfarrer, wenn ich recht verstanden habe, vor Kurzem beigetreten ist. Man
ist in Folge dessen in den letzten Tagen hart aneinander gerathen, und der
Pastor hat sich dabei — wenn Nothert nicht übertreibt — nicht gerade als
Gentleman betragen. Schließlich äußerte Nothert den Wunsch, ich möge, da
Göbel nicht wieder auf die Kanzel solle, gleich morgen die Predigt überneh¬
men, was ich indeß mit Hinweis auf meine Ermüdung von der langen
Reise, auf die Unmöglichkeit, in so kurzer Frist, mich zu einem gediegenen
Debüt zu rüsten, und auf die Nothwendigkeit, mich erst mehr zu orientiren,
ablehnte.

14. September. Heut Morgen mit Vetter Theodor (der inzwischen ein-


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[0026] ungebührliche Neigung zu Geldgeschäften verrathen. „Er wollte Papst spielen", sagte Riemeyer, „und er hat sich seinen Gehalt vorauszahlen lassen, um da¬ mit zu zwanzig Procent zu wuchern. Bei Taufen und Trauungen konnte er gewöhnlich nicht genug bekommen, obschon er's nach der Constitution eigentlich umsonst thun mußte. Dann hat er Leuten gerathen, das der Kir¬ chenkasse geliehene Geld zu kündigen, weil es (die Gemeinde soll 20.000 Dollars Schulden haben) nicht sicher stände. Auch studirte er in der letzten Zeit nicht mehr gehörig auf seine Predigten, und so war's gewöhnlich liederliches Zeug, nicht gehauen und nicht gestochen. Das wurde so schlimm, daß verschiedene von uns wegblieben oder ganz auftraten, geschweige denn, daß neue Mitglie¬ der beigetreten wären, die wir recht gut gebrauchen könnten." Aus alledem scheint hervorzugehen, daß die Angel, um die sich die Angelegenheit dreht der Geldpunkt ist. Stände es damit nach Wunsche, so nähme man es viel¬ leicht mit dem Papste nicht so genau. 13. September. Früh bei Nothert, dem Schatzmeister der Paulus¬ gemeinde, Besuch gemacht, der ebenfalls Mitglied des Kirchenrathcs und nach gestrigen Aeußerungen Krölls und Riemeyer's besonders einflußreich ist. Er hat früher das Sehlosserhandwerk betrieben, ist aber gegenwärtig Inhaber eines Eisenwaarengeschäfts auf der Western Now und offenbar in guten Ver¬ hältnissen. Langgewachsen, engbrüstig, nach Miene und Rede ein lebhafter und entschiedener Charakter, erinnert er durch seinen Dialekt wie Niemeyer, daß er aus plattdeutsch sprechenden Gegenden eingewandert ist. Ich gab ihm kurz Aufschluß über meine Vergangenheit und überreichte meine Zeugnisse. Meine einfache Art und Weise schien seinen Beifall zu haben; denn er holte seine Familie herbei, um sie mir vorzustellen, desgleichen einen Nachbar Koch, der ebenfalls der Gemeinde angehört. Ueber einer Flasche Portwein erfuhr ich die gestern vernommenen Klagen über den Pastor noch einmal und noch ein ziemliches Bündel neue dazu. Doch scheint Göbel auch eine nicht ganz kleine Partei zu haben, die vorzüglich aus Mitgliedern des Oddfellow- Ordens besteht, welcher hier den Freimaurern Concurrenz macht, und welchem der Pfarrer, wenn ich recht verstanden habe, vor Kurzem beigetreten ist. Man ist in Folge dessen in den letzten Tagen hart aneinander gerathen, und der Pastor hat sich dabei — wenn Nothert nicht übertreibt — nicht gerade als Gentleman betragen. Schließlich äußerte Nothert den Wunsch, ich möge, da Göbel nicht wieder auf die Kanzel solle, gleich morgen die Predigt überneh¬ men, was ich indeß mit Hinweis auf meine Ermüdung von der langen Reise, auf die Unmöglichkeit, in so kurzer Frist, mich zu einem gediegenen Debüt zu rüsten, und auf die Nothwendigkeit, mich erst mehr zu orientiren, ablehnte. 14. September. Heut Morgen mit Vetter Theodor (der inzwischen ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/26>, abgerufen am 06.02.2025.