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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Auch die Scene zwischen Brutus und den Verschworenen zeigt bei Kruse eine
selbständige Entwickelung der Handlung, die ihr bei Shakespeare abgeht.
Sie reift die Entschlossenheit des Brutus zur That, vor deren blutigem
Frevel er noch immer heimlich schauderte. Cinna berichtet nämlich athemlos
den neuesten Gewaltact des Imperators: die Amtsentsetzung der Volkstri.
dumm (weil diese das Diadem, mit dem Antonius Caesar's Statue geschmückt,
hatten entfernen lassen). Und weiter erfahren wir, daß morgen der Antrag
im Senat eingebracht werden soll, Caesar König zu nennen, da die sybillini-
schen Bücher weissagten, nur ein König werde die Parther überwinden. Es
ist also die letzte Frist zur Ausführung gekommen.
Zum Beginn des dritten Actes tritt uns die bedeutende, durchaus selb¬
ständige Auffassung Kruse's vom Charakter der Calpurnia entgegen. Die
Energie ihrer Züge würde bei jedem andern Weibe als der Gattin Caesar's un¬
weiblich erscheinen. Neben diesem Manne aber ist sie nur das liebende, an¬
betende, vergötternde Weib, das durch die schlimmsten Vorbedeutungen
geschreckt, in Sorge um das theure Haupt vergeht, und sich dieser Schwäche
nicht schämt:
Du gehst mit wunderbarer Zuversicht
Durch alle Wechselfälle dieses Lebens,
Den co'gen Göttern gleich. Ich aber bin
Ein schwaches Weib.

Selbst Angesichts der Victoren, des Decimus Brutus und Antonius um¬
faßt sie Caesar's Knie, um ihn zurückzuhalten. Vergebens. -- Auch die nun
folgenden Scenen in der Halle des Pompejus, in welcher der Mord geschieht, mo-
tiviren stetig fortschreitend den Entschluß des Brutus, am Morde Theil zu
nehmen. Er hat als Prätor eben einen Angeklagten verurtheilt. Dieser
appellirt an Caesar; vom Recht an die Willkür. Der Sklave Titius meldet
ein heftiges Unwohlsein der Porcia infolge innerer Sorge um das Geschick
des Gatten -- aber der eiserne römische Mannessinn, der vor Ausübung der
höchsten Pflicht steht, erwidert dem verwunderten Sklaven, jetzt wiege der
Herrin Leben keine Flaumenseder. Caesar selbst vertraut Brutus die Fülle
seiner weltbeherrschenden Plane an, die der Ausführung noch harren:
[Beginn Spaltensatz] Ich habe, Freund, den Ocean geseh'n,
In den die Sonncnrosse niedersteigen.
Ich will auch jenen schaun, aus dem erfrischt
Des Phöbus Viergespann den Tag herausbringt.
Dann brach' ich auf mit meinem Siegesheer.
Ich ziehe durch Hyrcanien und weiter,
Bis wo der Caucasus zum Himmel starrt.
Wir übersteigen jene wilden Felsen,
An die Prometheus angeschmiedet ward,

[Spaltenumbruch]
Und überziehn der Scythen weite Steppen .,,
Aus Scythien zum wald- und sumpfbedecktcn
Germanien. Da wohnen edle Feinde,
Der Römer werth, (und wenn wir sie besiegt,
Dann kehren durch die Alpen wir zurück
Und halten hier ein siebentägiges
Trtumphfest, wie die Welt noch nicht geseh'n i
Denn dann umschließt uns rings der Ocean,
Und uns begrenzen Lust und Wasser nur.

[Ende Spaltensatz]
"O menschliche Entwürfe!" sagt Brutus leise zu Cassius. Und um den letz¬
ten Widerstand seines Gewissens zu brechen, fragt er Caesar, ob es wirklich

Auch die Scene zwischen Brutus und den Verschworenen zeigt bei Kruse eine
selbständige Entwickelung der Handlung, die ihr bei Shakespeare abgeht.
Sie reift die Entschlossenheit des Brutus zur That, vor deren blutigem
Frevel er noch immer heimlich schauderte. Cinna berichtet nämlich athemlos
den neuesten Gewaltact des Imperators: die Amtsentsetzung der Volkstri.
dumm (weil diese das Diadem, mit dem Antonius Caesar's Statue geschmückt,
hatten entfernen lassen). Und weiter erfahren wir, daß morgen der Antrag
im Senat eingebracht werden soll, Caesar König zu nennen, da die sybillini-
schen Bücher weissagten, nur ein König werde die Parther überwinden. Es
ist also die letzte Frist zur Ausführung gekommen.
Zum Beginn des dritten Actes tritt uns die bedeutende, durchaus selb¬
ständige Auffassung Kruse's vom Charakter der Calpurnia entgegen. Die
Energie ihrer Züge würde bei jedem andern Weibe als der Gattin Caesar's un¬
weiblich erscheinen. Neben diesem Manne aber ist sie nur das liebende, an¬
betende, vergötternde Weib, das durch die schlimmsten Vorbedeutungen
geschreckt, in Sorge um das theure Haupt vergeht, und sich dieser Schwäche
nicht schämt:
Du gehst mit wunderbarer Zuversicht
Durch alle Wechselfälle dieses Lebens,
Den co'gen Göttern gleich. Ich aber bin
Ein schwaches Weib.

Selbst Angesichts der Victoren, des Decimus Brutus und Antonius um¬
faßt sie Caesar's Knie, um ihn zurückzuhalten. Vergebens. — Auch die nun
folgenden Scenen in der Halle des Pompejus, in welcher der Mord geschieht, mo-
tiviren stetig fortschreitend den Entschluß des Brutus, am Morde Theil zu
nehmen. Er hat als Prätor eben einen Angeklagten verurtheilt. Dieser
appellirt an Caesar; vom Recht an die Willkür. Der Sklave Titius meldet
ein heftiges Unwohlsein der Porcia infolge innerer Sorge um das Geschick
des Gatten — aber der eiserne römische Mannessinn, der vor Ausübung der
höchsten Pflicht steht, erwidert dem verwunderten Sklaven, jetzt wiege der
Herrin Leben keine Flaumenseder. Caesar selbst vertraut Brutus die Fülle
seiner weltbeherrschenden Plane an, die der Ausführung noch harren:
[Beginn Spaltensatz] Ich habe, Freund, den Ocean geseh'n,
In den die Sonncnrosse niedersteigen.
Ich will auch jenen schaun, aus dem erfrischt
Des Phöbus Viergespann den Tag herausbringt.
Dann brach' ich auf mit meinem Siegesheer.
Ich ziehe durch Hyrcanien und weiter,
Bis wo der Caucasus zum Himmel starrt.
Wir übersteigen jene wilden Felsen,
An die Prometheus angeschmiedet ward,

[Spaltenumbruch]
Und überziehn der Scythen weite Steppen .,,
Aus Scythien zum wald- und sumpfbedecktcn
Germanien. Da wohnen edle Feinde,
Der Römer werth, (und wenn wir sie besiegt,
Dann kehren durch die Alpen wir zurück
Und halten hier ein siebentägiges
Trtumphfest, wie die Welt noch nicht geseh'n i
Denn dann umschließt uns rings der Ocean,
Und uns begrenzen Lust und Wasser nur.

[Ende Spaltensatz]
„O menschliche Entwürfe!" sagt Brutus leise zu Cassius. Und um den letz¬
ten Widerstand seines Gewissens zu brechen, fragt er Caesar, ob es wirklich

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[0256] Auch die Scene zwischen Brutus und den Verschworenen zeigt bei Kruse eine selbständige Entwickelung der Handlung, die ihr bei Shakespeare abgeht. Sie reift die Entschlossenheit des Brutus zur That, vor deren blutigem Frevel er noch immer heimlich schauderte. Cinna berichtet nämlich athemlos den neuesten Gewaltact des Imperators: die Amtsentsetzung der Volkstri. dumm (weil diese das Diadem, mit dem Antonius Caesar's Statue geschmückt, hatten entfernen lassen). Und weiter erfahren wir, daß morgen der Antrag im Senat eingebracht werden soll, Caesar König zu nennen, da die sybillini- schen Bücher weissagten, nur ein König werde die Parther überwinden. Es ist also die letzte Frist zur Ausführung gekommen. Zum Beginn des dritten Actes tritt uns die bedeutende, durchaus selb¬ ständige Auffassung Kruse's vom Charakter der Calpurnia entgegen. Die Energie ihrer Züge würde bei jedem andern Weibe als der Gattin Caesar's un¬ weiblich erscheinen. Neben diesem Manne aber ist sie nur das liebende, an¬ betende, vergötternde Weib, das durch die schlimmsten Vorbedeutungen geschreckt, in Sorge um das theure Haupt vergeht, und sich dieser Schwäche nicht schämt: Du gehst mit wunderbarer Zuversicht Durch alle Wechselfälle dieses Lebens, Den co'gen Göttern gleich. Ich aber bin Ein schwaches Weib. Selbst Angesichts der Victoren, des Decimus Brutus und Antonius um¬ faßt sie Caesar's Knie, um ihn zurückzuhalten. Vergebens. — Auch die nun folgenden Scenen in der Halle des Pompejus, in welcher der Mord geschieht, mo- tiviren stetig fortschreitend den Entschluß des Brutus, am Morde Theil zu nehmen. Er hat als Prätor eben einen Angeklagten verurtheilt. Dieser appellirt an Caesar; vom Recht an die Willkür. Der Sklave Titius meldet ein heftiges Unwohlsein der Porcia infolge innerer Sorge um das Geschick des Gatten — aber der eiserne römische Mannessinn, der vor Ausübung der höchsten Pflicht steht, erwidert dem verwunderten Sklaven, jetzt wiege der Herrin Leben keine Flaumenseder. Caesar selbst vertraut Brutus die Fülle seiner weltbeherrschenden Plane an, die der Ausführung noch harren: Ich habe, Freund, den Ocean geseh'n, In den die Sonncnrosse niedersteigen. Ich will auch jenen schaun, aus dem erfrischt Des Phöbus Viergespann den Tag herausbringt. Dann brach' ich auf mit meinem Siegesheer. Ich ziehe durch Hyrcanien und weiter, Bis wo der Caucasus zum Himmel starrt. Wir übersteigen jene wilden Felsen, An die Prometheus angeschmiedet ward, Und überziehn der Scythen weite Steppen .,, Aus Scythien zum wald- und sumpfbedecktcn Germanien. Da wohnen edle Feinde, Der Römer werth, (und wenn wir sie besiegt, Dann kehren durch die Alpen wir zurück Und halten hier ein siebentägiges Trtumphfest, wie die Welt noch nicht geseh'n i Denn dann umschließt uns rings der Ocean, Und uns begrenzen Lust und Wasser nur. „O menschliche Entwürfe!" sagt Brutus leise zu Cassius. Und um den letz¬ ten Widerstand seines Gewissens zu brechen, fragt er Caesar, ob es wirklich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/256>, abgerufen am 06.02.2025.