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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Bildung der Cadres gediehen ist, in denen jene Massen formirt und für den
Krieg verwendbar gemacht werden sollen. Und gerade hier sind die Fortschritte,
quantitativ wenigstens, erstaunlich. Die Zahl der Feldbatterien war bis zum
vorigen Frühjahr von 164 auf 323 gestiegen, also verdoppelt, und sie sollte
bis auf 380 gebracht werden. Die Cavallerie war um 56 Escadrons ge¬
wachsen. Die Feldbataillone, zur Napoleonischen Zeit 372, waren bis auf
496 vermehrt. So schritt man auf dem Wege der Thatsachen vorwärts, ehe
das schon lange in Aussicht genommene Cadregesetz zur Berathung kam. Die
Formationen waren fertig, als man daran ging zu legalisiren. Und nun ge¬
schah während der Berathung jenes Gesetzes ein neuer Schritt, der an Trag¬
weite alle bisherigen übertrifft. Man vermehrte die Cadres der Infanterie
mit einem Schlage um abermals 139 Bataillone. D^r Beschluß wurde dem
Ausland einige Zeit verdeckt durch den Lärm des Berfassungskampfes; er wurde
officiell motivirt durch das Bedürfniß, die 1200 Capitains unterzubringen,
welche durch die Zusammenziehung der bisherigen 6 Compagnien des Batail¬
lons in 4 überzählig würden. In Wahrheit muß die Maßregel parlamen¬
tarisch wie militärisch längst vorbereitet gewesen sein. Am 13. März erschien
das Gesetz und schon am 5. April war, wie der Moniteur triumphirend ver¬
kündet, die Maßregel "eine vollendete Thatsache". In drei Wochen or-
ganisirt man aber nicht 149 Bataillone; zu der Durchführung
des neuen Gesetzes waren also längst die Anordnungen getrof¬
fen. Es handelte sich darum "den Infanteriemassen anderer Großmächte die
Spitze bieten zu können"; zu diesem Zweck wurden 175 Feldbataillone mehr
geschaffen, als die deutsche Armee zählt.

Dieser neue Beschluß geht weit über die dauernde Leistungsfähigkeit Frank¬
reichs hinaus, er erschwert noch die Last des Budgets, wofür die ordentlichen
Einnahmen schon längst nicht ausreichten; er würde sinnlos sein, wenn er
den Krieg nicht in den nächsten Jahren zum Ziel hätte. So entsteht nun
die Frage: Sollen wir den Feind sich rüsten lassen, bis der für ihn günstigste
Augenblick zum Losschlagen gekommen ist? Fürst Bismarck hat darauf schon
am 16. Januar 1873 offen antworten lassen. Alle ehrlichen Leute in der
Welt müssen uns bezeugen, daß wir den Krieg mit Frankreich so wenig suchen,
als 1870. Wir würden in Verlegenheit sein, welchen Preis wir nach einem
zweiten glücklichen Feldzug ihm abverlangen sollten. Aber die Hände in den
Schooß legen, bis der Gegner marschirt, können wir unmöglich. Will Frank¬
reich in zwei Jahren schlagen, so werden wir im Interesse der Selbsterhaltung
vielleicht gezwungen sein, es früher zum Schlagen zu bringen. Hat Frank¬
reich Aussicht mit dem Anwachsen seiner Armee größeres Vertrauen auf eine
Wendung seines Kriegsglücks zu finden und alte Sympathien wieder zu be¬
leben, so müssen wir diesen still sich vorbereitenden Allianzen zuvorkommen.


Bildung der Cadres gediehen ist, in denen jene Massen formirt und für den
Krieg verwendbar gemacht werden sollen. Und gerade hier sind die Fortschritte,
quantitativ wenigstens, erstaunlich. Die Zahl der Feldbatterien war bis zum
vorigen Frühjahr von 164 auf 323 gestiegen, also verdoppelt, und sie sollte
bis auf 380 gebracht werden. Die Cavallerie war um 56 Escadrons ge¬
wachsen. Die Feldbataillone, zur Napoleonischen Zeit 372, waren bis auf
496 vermehrt. So schritt man auf dem Wege der Thatsachen vorwärts, ehe
das schon lange in Aussicht genommene Cadregesetz zur Berathung kam. Die
Formationen waren fertig, als man daran ging zu legalisiren. Und nun ge¬
schah während der Berathung jenes Gesetzes ein neuer Schritt, der an Trag¬
weite alle bisherigen übertrifft. Man vermehrte die Cadres der Infanterie
mit einem Schlage um abermals 139 Bataillone. D^r Beschluß wurde dem
Ausland einige Zeit verdeckt durch den Lärm des Berfassungskampfes; er wurde
officiell motivirt durch das Bedürfniß, die 1200 Capitains unterzubringen,
welche durch die Zusammenziehung der bisherigen 6 Compagnien des Batail¬
lons in 4 überzählig würden. In Wahrheit muß die Maßregel parlamen¬
tarisch wie militärisch längst vorbereitet gewesen sein. Am 13. März erschien
das Gesetz und schon am 5. April war, wie der Moniteur triumphirend ver¬
kündet, die Maßregel „eine vollendete Thatsache". In drei Wochen or-
ganisirt man aber nicht 149 Bataillone; zu der Durchführung
des neuen Gesetzes waren also längst die Anordnungen getrof¬
fen. Es handelte sich darum „den Infanteriemassen anderer Großmächte die
Spitze bieten zu können"; zu diesem Zweck wurden 175 Feldbataillone mehr
geschaffen, als die deutsche Armee zählt.

Dieser neue Beschluß geht weit über die dauernde Leistungsfähigkeit Frank¬
reichs hinaus, er erschwert noch die Last des Budgets, wofür die ordentlichen
Einnahmen schon längst nicht ausreichten; er würde sinnlos sein, wenn er
den Krieg nicht in den nächsten Jahren zum Ziel hätte. So entsteht nun
die Frage: Sollen wir den Feind sich rüsten lassen, bis der für ihn günstigste
Augenblick zum Losschlagen gekommen ist? Fürst Bismarck hat darauf schon
am 16. Januar 1873 offen antworten lassen. Alle ehrlichen Leute in der
Welt müssen uns bezeugen, daß wir den Krieg mit Frankreich so wenig suchen,
als 1870. Wir würden in Verlegenheit sein, welchen Preis wir nach einem
zweiten glücklichen Feldzug ihm abverlangen sollten. Aber die Hände in den
Schooß legen, bis der Gegner marschirt, können wir unmöglich. Will Frank¬
reich in zwei Jahren schlagen, so werden wir im Interesse der Selbsterhaltung
vielleicht gezwungen sein, es früher zum Schlagen zu bringen. Hat Frank¬
reich Aussicht mit dem Anwachsen seiner Armee größeres Vertrauen auf eine
Wendung seines Kriegsglücks zu finden und alte Sympathien wieder zu be¬
leben, so müssen wir diesen still sich vorbereitenden Allianzen zuvorkommen.


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[0177] Bildung der Cadres gediehen ist, in denen jene Massen formirt und für den Krieg verwendbar gemacht werden sollen. Und gerade hier sind die Fortschritte, quantitativ wenigstens, erstaunlich. Die Zahl der Feldbatterien war bis zum vorigen Frühjahr von 164 auf 323 gestiegen, also verdoppelt, und sie sollte bis auf 380 gebracht werden. Die Cavallerie war um 56 Escadrons ge¬ wachsen. Die Feldbataillone, zur Napoleonischen Zeit 372, waren bis auf 496 vermehrt. So schritt man auf dem Wege der Thatsachen vorwärts, ehe das schon lange in Aussicht genommene Cadregesetz zur Berathung kam. Die Formationen waren fertig, als man daran ging zu legalisiren. Und nun ge¬ schah während der Berathung jenes Gesetzes ein neuer Schritt, der an Trag¬ weite alle bisherigen übertrifft. Man vermehrte die Cadres der Infanterie mit einem Schlage um abermals 139 Bataillone. D^r Beschluß wurde dem Ausland einige Zeit verdeckt durch den Lärm des Berfassungskampfes; er wurde officiell motivirt durch das Bedürfniß, die 1200 Capitains unterzubringen, welche durch die Zusammenziehung der bisherigen 6 Compagnien des Batail¬ lons in 4 überzählig würden. In Wahrheit muß die Maßregel parlamen¬ tarisch wie militärisch längst vorbereitet gewesen sein. Am 13. März erschien das Gesetz und schon am 5. April war, wie der Moniteur triumphirend ver¬ kündet, die Maßregel „eine vollendete Thatsache". In drei Wochen or- ganisirt man aber nicht 149 Bataillone; zu der Durchführung des neuen Gesetzes waren also längst die Anordnungen getrof¬ fen. Es handelte sich darum „den Infanteriemassen anderer Großmächte die Spitze bieten zu können"; zu diesem Zweck wurden 175 Feldbataillone mehr geschaffen, als die deutsche Armee zählt. Dieser neue Beschluß geht weit über die dauernde Leistungsfähigkeit Frank¬ reichs hinaus, er erschwert noch die Last des Budgets, wofür die ordentlichen Einnahmen schon längst nicht ausreichten; er würde sinnlos sein, wenn er den Krieg nicht in den nächsten Jahren zum Ziel hätte. So entsteht nun die Frage: Sollen wir den Feind sich rüsten lassen, bis der für ihn günstigste Augenblick zum Losschlagen gekommen ist? Fürst Bismarck hat darauf schon am 16. Januar 1873 offen antworten lassen. Alle ehrlichen Leute in der Welt müssen uns bezeugen, daß wir den Krieg mit Frankreich so wenig suchen, als 1870. Wir würden in Verlegenheit sein, welchen Preis wir nach einem zweiten glücklichen Feldzug ihm abverlangen sollten. Aber die Hände in den Schooß legen, bis der Gegner marschirt, können wir unmöglich. Will Frank¬ reich in zwei Jahren schlagen, so werden wir im Interesse der Selbsterhaltung vielleicht gezwungen sein, es früher zum Schlagen zu bringen. Hat Frank¬ reich Aussicht mit dem Anwachsen seiner Armee größeres Vertrauen auf eine Wendung seines Kriegsglücks zu finden und alte Sympathien wieder zu be¬ leben, so müssen wir diesen still sich vorbereitenden Allianzen zuvorkommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/177>, abgerufen am 23.07.2024.