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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Das klingt ziemlich kriegerisch und ist doch nur der einfachste Ausdruck des
gesunden Menschenverstandes. Aber da die Verantwortung für einen -- wenn
auch uns aufgedrungenen, von uns nur beschleunigten Krieg ungeheuer ist,
so wird auch ein solcher Entschluß nur aus der sorgfältigsten, militärischen
wie diplomatischen Prüfung der Lage hervorgehen können. Friedrich der Große
sah den dritten schlesischen Krieg lange voraus, aber er brach in Sachsen erst
ein, als das Netz der europäischen Verschwörung nicht mehr anders zu zer¬
reißen war. Wann für uns der Augenblick gekommen sein wird, wo wir
Frankreich die Wahl zwischen Abrüstung oder Krieg stellen, kann nur der
Reichskanzler mit Hülfe Moltke's entscheiden. Die Anleihe von 800 Millionen
Francs soll man in Paris wieder aufgegeben haben. Zur Zeit scheint es
also nicht, als ob uns.eine nahe Gefahr drohe. Oder wäre sie nur auf kurze
Zeit vertagt, um den heutigen Discussionen sich zu entziehen? Die Roth¬
schilds schienen doch mit Leon Sah bereits handelseinig.

In der gewaltigen Entwicklung des letzten Jahrzehnts hat Preußen an
dem Czaren Alexander den treuesten Freund gefunden. Er war der Rückhalt,
durch den gedeckt wir gegen den Gegner in der Front unsere volle Kraft ent¬
falten konnten. Das deutsche Volk hat es wohl im Gedächtniß, wie bedeut¬
sam dieses Verhalten für seine Geschicke war; es empfindet für den Kaiser
Alexander aufrichtige Dankbarkeit und Verehrung. Aus der persönlichen
Freundschaft der beiden Monarchen und den Handlungen, die daraus hervor¬
gingen, ist ein allgemeines Gefühl der Sympathie erwachsen; die Parteien in
Deutschland, auch die liberalen, haben in der Beurtheilung russischer Ver¬
hältnisse ihre frühere Schroffheit und Befangenheit abgelegt. Ein Schritt
z. B., wie die Convention von 1863, welche Bismarck beim Ausbruch des
polnischen Aufstandes abschloß, würde heute ebenso einmüthige Billigung, wie
damals Mißbilligung finden. Ob die gleiche Zunahme sympathischer Stim¬
mungen auch bei dem Adel, dem Beamtenthum und der Armee Rußlands
stattgefunden hat, mag dahin gestellt bleiben, vielleicht haben die letzten Jahre
wenig Gelegenheit gegeben, die Wahrheit zu veranschaulichen, daß die Freund¬
schaft Deutschlands den russischen Interessen ebenso förderlich ist, als die
Freundschaft Rußlands den deutschen. Bei den unveränderten Gesinnungen
der beiden Monarchen wird auch das russiche Volk Zeit haben, diese Inter¬
essengemeinschaft zu seinem Nutzen zu erproben. Ein Conflict zwischen beiden
Nationen liegt glücklicher Weise in weiter Ferne.

Als in dem großen Völkerkampf von 1870 die Würfel für Preußen ge¬
fallen waren, empfand auch Oesterreich, daß die Weltgeschichte zwischen ihm
und seinem alten Rivalen entschieden habe. Es war das ironische Loos des
Grafen Beust, jene Depesche zu schreiben, worin Oesterreich das Schwergewicht
der Thatsachen anerkannte und die Freundschaft des neugestalteten Deutschen


Das klingt ziemlich kriegerisch und ist doch nur der einfachste Ausdruck des
gesunden Menschenverstandes. Aber da die Verantwortung für einen — wenn
auch uns aufgedrungenen, von uns nur beschleunigten Krieg ungeheuer ist,
so wird auch ein solcher Entschluß nur aus der sorgfältigsten, militärischen
wie diplomatischen Prüfung der Lage hervorgehen können. Friedrich der Große
sah den dritten schlesischen Krieg lange voraus, aber er brach in Sachsen erst
ein, als das Netz der europäischen Verschwörung nicht mehr anders zu zer¬
reißen war. Wann für uns der Augenblick gekommen sein wird, wo wir
Frankreich die Wahl zwischen Abrüstung oder Krieg stellen, kann nur der
Reichskanzler mit Hülfe Moltke's entscheiden. Die Anleihe von 800 Millionen
Francs soll man in Paris wieder aufgegeben haben. Zur Zeit scheint es
also nicht, als ob uns.eine nahe Gefahr drohe. Oder wäre sie nur auf kurze
Zeit vertagt, um den heutigen Discussionen sich zu entziehen? Die Roth¬
schilds schienen doch mit Leon Sah bereits handelseinig.

In der gewaltigen Entwicklung des letzten Jahrzehnts hat Preußen an
dem Czaren Alexander den treuesten Freund gefunden. Er war der Rückhalt,
durch den gedeckt wir gegen den Gegner in der Front unsere volle Kraft ent¬
falten konnten. Das deutsche Volk hat es wohl im Gedächtniß, wie bedeut¬
sam dieses Verhalten für seine Geschicke war; es empfindet für den Kaiser
Alexander aufrichtige Dankbarkeit und Verehrung. Aus der persönlichen
Freundschaft der beiden Monarchen und den Handlungen, die daraus hervor¬
gingen, ist ein allgemeines Gefühl der Sympathie erwachsen; die Parteien in
Deutschland, auch die liberalen, haben in der Beurtheilung russischer Ver¬
hältnisse ihre frühere Schroffheit und Befangenheit abgelegt. Ein Schritt
z. B., wie die Convention von 1863, welche Bismarck beim Ausbruch des
polnischen Aufstandes abschloß, würde heute ebenso einmüthige Billigung, wie
damals Mißbilligung finden. Ob die gleiche Zunahme sympathischer Stim¬
mungen auch bei dem Adel, dem Beamtenthum und der Armee Rußlands
stattgefunden hat, mag dahin gestellt bleiben, vielleicht haben die letzten Jahre
wenig Gelegenheit gegeben, die Wahrheit zu veranschaulichen, daß die Freund¬
schaft Deutschlands den russischen Interessen ebenso förderlich ist, als die
Freundschaft Rußlands den deutschen. Bei den unveränderten Gesinnungen
der beiden Monarchen wird auch das russiche Volk Zeit haben, diese Inter¬
essengemeinschaft zu seinem Nutzen zu erproben. Ein Conflict zwischen beiden
Nationen liegt glücklicher Weise in weiter Ferne.

Als in dem großen Völkerkampf von 1870 die Würfel für Preußen ge¬
fallen waren, empfand auch Oesterreich, daß die Weltgeschichte zwischen ihm
und seinem alten Rivalen entschieden habe. Es war das ironische Loos des
Grafen Beust, jene Depesche zu schreiben, worin Oesterreich das Schwergewicht
der Thatsachen anerkannte und die Freundschaft des neugestalteten Deutschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/178>, abgerufen am 23.07.2024.