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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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desbewachung gewinnen, um die 9 Jahrgänge der Feldarmee ungeschwächt
gegen den Feind werfen zu können. Zu diesem Zweck legte sich ein Volk,
das bisher nur eine Berufsarmee besaß, den spartanischen Zwang einer 20-
jährigen Wehrpflicht auf. Da jedoch die Territorialarmee bis zum vorigen
Jahre nur auf dem Papier stand, da sie bis heute schwerlich eine solidere
Existenz gewonnen haben wird, so liegt auch hierin bis jetzt kein Grund der
Beunruhigung. Anders steht es mit den 9 Jahrgängen, die .zur Feldarmee
gehören, und die von Jahr zu Jahr eine gewaltigere Masse darstellen.
Deutschland recrutirt bei einer Bevölkerung von 41 Millionen jährlich 130.000
Mann, Frankreich hat seine Aushebung bei 36 Millionen Einwohnern seit
1872 auf 150,000 Mann erhöht. Um diese anschwellende Armee zu ernähren,
zu bekleiden und zu bewaffnen, hat es im Jahre 1874 im ordentlichen und
außerordentlichen Budget 164 Millionen Thaler verausgabt, während unser
Militäretat auch nach der jüngsten Vermehrung des Präsenzstandes immerhin
nur auf 112 Millionen Thaler gestiegen ist. Auch jene, auf die Dauer un¬
mögliche Ausgabe, hat nicht hingereicht, um die gesammte Reerutenzahl für
längere Jahre unter die Fahnen zu stellen. Denn eine massenhafte Aushe¬
bung und die lange Dienstzeit einer Berufsarmee sind finanziell und volks-
wirthschaftlich mit einander nicht verträglich. Man hat also die Recruten in
zwei Portionen getheilt, und stellt etwa 90,000 Mann auf 3, thatsächlich
wohl nur aus 4 Jahre ein, während man den Rest, die äizuxivmo xortion,
nach jedesmal 6 monatlicher Waffenübung beurlaubt. Trotz dieser Beschrän¬
kung hält °Frankreich durchschnittlich 47l,000 Mann unter den Waffen,
während unsere Friedenspräsenz bis vor kurzem kaum 370,000, und erst jetzt
401,000 Mann beträgt. Indeß auch auf diesen Unterschied des Friedensstan-
dcs legen wir wenig Gewicht, da er nichts für die Stärke im Kriege beweist;
selbst die 9 Jahrgänge zu 150,000 Mann neben unseren 7 Jahrgängen zu
130,000 sind nicht erschreckend, solange Deutschland seine Landwehr in die
Wagschale wirft, während die Territorialarmee nicht organisirt ist. Man hat,
um für die letztere gediente Soldaten zu gewinnen, die Jahrgänge von 1866
an abwärts ihr zugewiesen, während alle seit 1867 dienstpflichtig gewordenen
Franzosen der Feldarmee angehören. Aus jener Zuweisung folgt, daß bis
zum Sommer 1877, wo für die Klasse von 1867 die neun Dienstjahre um
sind; die Feldarmee keine Reserven verliert, also jährlich um den gesammten
Betrag der neu eintretenden Recruten wächst. Aus diesem Umstände schließt
man, daß die Franzosen jenen Zeitpunkt der höchsten Stärke ihrer Armee
abwarten werden, ehe sie losschlagen.

Allein an Mannschaften hat Frankreich schon heute keinen Mangel, da
ihm, außer den gewöhnlichen Recrutirungen, die enormen Aushebungen der
beiden Kriegsjahre zu Gebote stehen. Entscheidender ist, wie weit es mit der


desbewachung gewinnen, um die 9 Jahrgänge der Feldarmee ungeschwächt
gegen den Feind werfen zu können. Zu diesem Zweck legte sich ein Volk,
das bisher nur eine Berufsarmee besaß, den spartanischen Zwang einer 20-
jährigen Wehrpflicht auf. Da jedoch die Territorialarmee bis zum vorigen
Jahre nur auf dem Papier stand, da sie bis heute schwerlich eine solidere
Existenz gewonnen haben wird, so liegt auch hierin bis jetzt kein Grund der
Beunruhigung. Anders steht es mit den 9 Jahrgängen, die .zur Feldarmee
gehören, und die von Jahr zu Jahr eine gewaltigere Masse darstellen.
Deutschland recrutirt bei einer Bevölkerung von 41 Millionen jährlich 130.000
Mann, Frankreich hat seine Aushebung bei 36 Millionen Einwohnern seit
1872 auf 150,000 Mann erhöht. Um diese anschwellende Armee zu ernähren,
zu bekleiden und zu bewaffnen, hat es im Jahre 1874 im ordentlichen und
außerordentlichen Budget 164 Millionen Thaler verausgabt, während unser
Militäretat auch nach der jüngsten Vermehrung des Präsenzstandes immerhin
nur auf 112 Millionen Thaler gestiegen ist. Auch jene, auf die Dauer un¬
mögliche Ausgabe, hat nicht hingereicht, um die gesammte Reerutenzahl für
längere Jahre unter die Fahnen zu stellen. Denn eine massenhafte Aushe¬
bung und die lange Dienstzeit einer Berufsarmee sind finanziell und volks-
wirthschaftlich mit einander nicht verträglich. Man hat also die Recruten in
zwei Portionen getheilt, und stellt etwa 90,000 Mann auf 3, thatsächlich
wohl nur aus 4 Jahre ein, während man den Rest, die äizuxivmo xortion,
nach jedesmal 6 monatlicher Waffenübung beurlaubt. Trotz dieser Beschrän¬
kung hält °Frankreich durchschnittlich 47l,000 Mann unter den Waffen,
während unsere Friedenspräsenz bis vor kurzem kaum 370,000, und erst jetzt
401,000 Mann beträgt. Indeß auch auf diesen Unterschied des Friedensstan-
dcs legen wir wenig Gewicht, da er nichts für die Stärke im Kriege beweist;
selbst die 9 Jahrgänge zu 150,000 Mann neben unseren 7 Jahrgängen zu
130,000 sind nicht erschreckend, solange Deutschland seine Landwehr in die
Wagschale wirft, während die Territorialarmee nicht organisirt ist. Man hat,
um für die letztere gediente Soldaten zu gewinnen, die Jahrgänge von 1866
an abwärts ihr zugewiesen, während alle seit 1867 dienstpflichtig gewordenen
Franzosen der Feldarmee angehören. Aus jener Zuweisung folgt, daß bis
zum Sommer 1877, wo für die Klasse von 1867 die neun Dienstjahre um
sind; die Feldarmee keine Reserven verliert, also jährlich um den gesammten
Betrag der neu eintretenden Recruten wächst. Aus diesem Umstände schließt
man, daß die Franzosen jenen Zeitpunkt der höchsten Stärke ihrer Armee
abwarten werden, ehe sie losschlagen.

Allein an Mannschaften hat Frankreich schon heute keinen Mangel, da
ihm, außer den gewöhnlichen Recrutirungen, die enormen Aushebungen der
beiden Kriegsjahre zu Gebote stehen. Entscheidender ist, wie weit es mit der


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[0176] desbewachung gewinnen, um die 9 Jahrgänge der Feldarmee ungeschwächt gegen den Feind werfen zu können. Zu diesem Zweck legte sich ein Volk, das bisher nur eine Berufsarmee besaß, den spartanischen Zwang einer 20- jährigen Wehrpflicht auf. Da jedoch die Territorialarmee bis zum vorigen Jahre nur auf dem Papier stand, da sie bis heute schwerlich eine solidere Existenz gewonnen haben wird, so liegt auch hierin bis jetzt kein Grund der Beunruhigung. Anders steht es mit den 9 Jahrgängen, die .zur Feldarmee gehören, und die von Jahr zu Jahr eine gewaltigere Masse darstellen. Deutschland recrutirt bei einer Bevölkerung von 41 Millionen jährlich 130.000 Mann, Frankreich hat seine Aushebung bei 36 Millionen Einwohnern seit 1872 auf 150,000 Mann erhöht. Um diese anschwellende Armee zu ernähren, zu bekleiden und zu bewaffnen, hat es im Jahre 1874 im ordentlichen und außerordentlichen Budget 164 Millionen Thaler verausgabt, während unser Militäretat auch nach der jüngsten Vermehrung des Präsenzstandes immerhin nur auf 112 Millionen Thaler gestiegen ist. Auch jene, auf die Dauer un¬ mögliche Ausgabe, hat nicht hingereicht, um die gesammte Reerutenzahl für längere Jahre unter die Fahnen zu stellen. Denn eine massenhafte Aushe¬ bung und die lange Dienstzeit einer Berufsarmee sind finanziell und volks- wirthschaftlich mit einander nicht verträglich. Man hat also die Recruten in zwei Portionen getheilt, und stellt etwa 90,000 Mann auf 3, thatsächlich wohl nur aus 4 Jahre ein, während man den Rest, die äizuxivmo xortion, nach jedesmal 6 monatlicher Waffenübung beurlaubt. Trotz dieser Beschrän¬ kung hält °Frankreich durchschnittlich 47l,000 Mann unter den Waffen, während unsere Friedenspräsenz bis vor kurzem kaum 370,000, und erst jetzt 401,000 Mann beträgt. Indeß auch auf diesen Unterschied des Friedensstan- dcs legen wir wenig Gewicht, da er nichts für die Stärke im Kriege beweist; selbst die 9 Jahrgänge zu 150,000 Mann neben unseren 7 Jahrgängen zu 130,000 sind nicht erschreckend, solange Deutschland seine Landwehr in die Wagschale wirft, während die Territorialarmee nicht organisirt ist. Man hat, um für die letztere gediente Soldaten zu gewinnen, die Jahrgänge von 1866 an abwärts ihr zugewiesen, während alle seit 1867 dienstpflichtig gewordenen Franzosen der Feldarmee angehören. Aus jener Zuweisung folgt, daß bis zum Sommer 1877, wo für die Klasse von 1867 die neun Dienstjahre um sind; die Feldarmee keine Reserven verliert, also jährlich um den gesammten Betrag der neu eintretenden Recruten wächst. Aus diesem Umstände schließt man, daß die Franzosen jenen Zeitpunkt der höchsten Stärke ihrer Armee abwarten werden, ehe sie losschlagen. Allein an Mannschaften hat Frankreich schon heute keinen Mangel, da ihm, außer den gewöhnlichen Recrutirungen, die enormen Aushebungen der beiden Kriegsjahre zu Gebote stehen. Entscheidender ist, wie weit es mit der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/176>, abgerufen am 23.07.2024.