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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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gelingt, die Wahrheiten des christlichen Glaubens für das allgemeine kirchliche
Bewußtsein von den Lehrsätzen der Theologie zu sondern.

Beabsichtigt der Aufsatz des Professor Dr. v. d. Goltz, von allgemeineren
Erwägungen ausgehend, Werth und Bedeutung der Synodalverfassung für
die evangelische Kirche Preußens unter den gegenwärtigen Verhältnissen darzu¬
legen, so stellt sich die Zeichnung des Entwickelungsganges deutsch-evangelischer
Kirchenverfassung von Prof. Dr. Beyschlag die Aufgabe, uns mit den
Versuchen und Vorarbeiten, welche der nun in das Leben getretenen Ver¬
fassung vorangegangen sind und ihr den Weg gebahnt haben, bekannt zu
machen. Das 18. Jahrhundert war die Blüthezeit territorialistischer Kirchen¬
politik, ihre reife Frucht wurde in Preußen im Anfange des 19. Jahrhunderts
gezeitigt, als die kirchlichen Behörden aufgehoben und ihre Funktionen den
Regierungen und dem Ministerium übertragen wurden. Vergeblich klagte das
sterbende lutherische Oberconsistorium, "daß die Religionssache nicht gewinnen
werde, wenn dieselbe zwischen die Polizei und das Kassenwesen eingeschoben
und die Kirche nebst der Schule unter der Kategorie von Bildungsanstalten
selbst mit dem Theater in Berührung gesetzt werde." Doch läßt sich nicht
leugnen, daß zu diesem Gewaltakt auch der finanzielle Nothstand des Preu¬
ßischen Staats mitwirkte und daß der König einen Neubau der Kirche ernst¬
lich in das Auge faßte. Die Vorschläge, welche Schleiermacher in dieser Hin¬
sicht damals machte, haben wir in diesen Blättern früher eingehend beleuchtet/)
In der That folgten bald Anfänge einer neuen kirchlichen Organisation'
am 2. Januar 1817 wurde die Einführung von Presbyterien, aus Laien
und Geistlichen bestehend, Vertretern der Lokalgemeinden, und Synoden,
nur aus Geistlichen zusammengesetzt, aber in Kreis-, Provinzial- und Gene¬
ralsynoden sich gliedernd, angeordnet. Aber zur Berufung einer General¬
synode kam es nicht, die Resultate der provinzialen Pfarrer-Synoden,
deren radikaler Doctrinarismus die sofortige Beseitigung des landesherrlichen
Kirchenregiments gefordert hatte, schreckten ab, der König selbst freilich dachte
noch 1822 an eine aus Laien und Geistlichen zusammengesetzte Synode, aber
das Ministerium förderte diesen Gedanken nicht. Auch im übrigen Deutsch¬
land wurden Hoffnung weckende Ansätze nicht weiter entwickelt, nur in der
Pfalz und in Baden wurden, wenn auch vielfach in ihren Competenzen ge¬
hemmt und beschränkt, synodale Institute, als in sich vollendete, in General¬
oder Landessynoden sich abschließende Ganze gebildet. Auf preußischem Gebiet
gewann die synodale Verfassung nur in Rheinland und Westfalen eine ge¬
reifte Gestalt. Beyschlag rühmt ihr, und gewiß mit Recht, nach, daß sie
nicht nur alles, was ihr seit 1817 Aehnliches vorangegangen, an innerer



*) Schleiermacher's Kritik der Vcrfassungssysteme in der evangel. Kirche (Jahrg. 1872).

gelingt, die Wahrheiten des christlichen Glaubens für das allgemeine kirchliche
Bewußtsein von den Lehrsätzen der Theologie zu sondern.

Beabsichtigt der Aufsatz des Professor Dr. v. d. Goltz, von allgemeineren
Erwägungen ausgehend, Werth und Bedeutung der Synodalverfassung für
die evangelische Kirche Preußens unter den gegenwärtigen Verhältnissen darzu¬
legen, so stellt sich die Zeichnung des Entwickelungsganges deutsch-evangelischer
Kirchenverfassung von Prof. Dr. Beyschlag die Aufgabe, uns mit den
Versuchen und Vorarbeiten, welche der nun in das Leben getretenen Ver¬
fassung vorangegangen sind und ihr den Weg gebahnt haben, bekannt zu
machen. Das 18. Jahrhundert war die Blüthezeit territorialistischer Kirchen¬
politik, ihre reife Frucht wurde in Preußen im Anfange des 19. Jahrhunderts
gezeitigt, als die kirchlichen Behörden aufgehoben und ihre Funktionen den
Regierungen und dem Ministerium übertragen wurden. Vergeblich klagte das
sterbende lutherische Oberconsistorium, „daß die Religionssache nicht gewinnen
werde, wenn dieselbe zwischen die Polizei und das Kassenwesen eingeschoben
und die Kirche nebst der Schule unter der Kategorie von Bildungsanstalten
selbst mit dem Theater in Berührung gesetzt werde." Doch läßt sich nicht
leugnen, daß zu diesem Gewaltakt auch der finanzielle Nothstand des Preu¬
ßischen Staats mitwirkte und daß der König einen Neubau der Kirche ernst¬
lich in das Auge faßte. Die Vorschläge, welche Schleiermacher in dieser Hin¬
sicht damals machte, haben wir in diesen Blättern früher eingehend beleuchtet/)
In der That folgten bald Anfänge einer neuen kirchlichen Organisation'
am 2. Januar 1817 wurde die Einführung von Presbyterien, aus Laien
und Geistlichen bestehend, Vertretern der Lokalgemeinden, und Synoden,
nur aus Geistlichen zusammengesetzt, aber in Kreis-, Provinzial- und Gene¬
ralsynoden sich gliedernd, angeordnet. Aber zur Berufung einer General¬
synode kam es nicht, die Resultate der provinzialen Pfarrer-Synoden,
deren radikaler Doctrinarismus die sofortige Beseitigung des landesherrlichen
Kirchenregiments gefordert hatte, schreckten ab, der König selbst freilich dachte
noch 1822 an eine aus Laien und Geistlichen zusammengesetzte Synode, aber
das Ministerium förderte diesen Gedanken nicht. Auch im übrigen Deutsch¬
land wurden Hoffnung weckende Ansätze nicht weiter entwickelt, nur in der
Pfalz und in Baden wurden, wenn auch vielfach in ihren Competenzen ge¬
hemmt und beschränkt, synodale Institute, als in sich vollendete, in General¬
oder Landessynoden sich abschließende Ganze gebildet. Auf preußischem Gebiet
gewann die synodale Verfassung nur in Rheinland und Westfalen eine ge¬
reifte Gestalt. Beyschlag rühmt ihr, und gewiß mit Recht, nach, daß sie
nicht nur alles, was ihr seit 1817 Aehnliches vorangegangen, an innerer



*) Schleiermacher's Kritik der Vcrfassungssysteme in der evangel. Kirche (Jahrg. 1872).
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/91>, abgerufen am 25.08.2024.