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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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auch dem Deutschthum gegenüber stehen. Auch hier wollen sie von einer to¬
talen Verschmelzung mit dem Gesammtreich nichts wissen, auch hier nicht so
sehr Deutsche, als Elsässer sein und bleiben. Es existirt eine sog. alt-
elsässische Partei, die in der Mitte stehen will zwischen den Deutsch-Elsässern
und den Französisch-Elsässern, und zu der man heutzutage unstreitig die
überwiegende Mehrheit der neuen Neichsbürger zählen muß.

Am beredtesten und ausführlichsten hat dieselbe ihr Programm in einer
vorigjährigen Nummer des "Elsässer Journals", welches- man als ihr Organ
bezeichnen darf, entwickelt, dessen charakteristischste Stellen hier mit Verlaub
des Lesers reproduzier werden sollen: "Elsaß wurde gegen seinen Willen von
Frankreich, dem "großen Vaterland" losgerissen; das Elsaß bleibt aber den
Elsässern das "engere Vaterland"; diesem schulden sie ihre Thätigkeit, und
zwar um so mehr, weil einerseits die Versuche Deutschlands, dieses Land in
sich aufgehen zu lassen, bedeutender sind (!) und weil andrerseits die Möglich¬
keit einer "Revanche" Frankreichs immer mehr chimärisch wird. Diese
elsässische Partei, die mit derjenigen der "Renegaten" nichts gemein hat,
arbeitet daran, unsern Bevölkerungen ihren besondern Charakter zurückzugeben
und ihn von der deutschen Regierung anerkennen zu lassen: Ihr Ideal
wäre die Gründung einer autonomen Republik Elsaß. Sie
weiß aber, daß sie dieses Ideal nicht erreichen kann, und sie verfolgt,
auf den Grundlagen des Frankfurter Vertrages, die Constituirung des Elsasses
zu einem so viel als möglich selbständigen Staat unter der Oberhoheit,
oder wenn man will, "Oberlehnsherrschaft" des deutschen Reiches. Sie ver¬
langt für das Elsaß das Recht, wie alle übrigen Staaten Deutschlands, sich
Gesetze zu geben, die keine Reichsgesetze sind, einen Landtag und Minister zu
haben (!). In einem Worte, die elsässische, rein elsässische Partei erleidet und
nimmt gezwungener Weise an die durch den Krieg und den Friedensvertrag
geschaffene Lage und sucht daraus den bestmöglichen Vortheil für das Elaß
und die Elsässer zu ziehen. Wir glauben, daß in nicht zu langer Zeit bei¬
nahe sämmtliche Elsässer dieser Partei angehören werden; denn in dieser Rich¬
tung allein liegt die Zukunft des Elsasses. Es gab Elsässer, die sich Deutsch-
Elsässer, andere, die sich Französisch-Elsässer nannten: Wir, wir wollen
elsässische Elsässer sein!"

Auf diese Weise liebt man es hier mit dem Gedanken und der Phrase
zu coquettiren: "Wir wollen weder Deutsche, noch Franzosen sein: Wir
sind Elsässer, und wollen Elsässer bleiben" -- und schwelgt in diesen
schönen, träumerischen Ideen von einem Jahr ins andere. Interessant ist es
dabei, daß selbst die hübschen und liebenswürdigen Damen des Elsasses sich
für diese holden politischen Träumereien -- denn höher darf man sie zur Zeit
gewiß nicht anschlagen -- auf das lebhafteste begeistern und dafür mehr


auch dem Deutschthum gegenüber stehen. Auch hier wollen sie von einer to¬
talen Verschmelzung mit dem Gesammtreich nichts wissen, auch hier nicht so
sehr Deutsche, als Elsässer sein und bleiben. Es existirt eine sog. alt-
elsässische Partei, die in der Mitte stehen will zwischen den Deutsch-Elsässern
und den Französisch-Elsässern, und zu der man heutzutage unstreitig die
überwiegende Mehrheit der neuen Neichsbürger zählen muß.

Am beredtesten und ausführlichsten hat dieselbe ihr Programm in einer
vorigjährigen Nummer des „Elsässer Journals", welches- man als ihr Organ
bezeichnen darf, entwickelt, dessen charakteristischste Stellen hier mit Verlaub
des Lesers reproduzier werden sollen: „Elsaß wurde gegen seinen Willen von
Frankreich, dem „großen Vaterland" losgerissen; das Elsaß bleibt aber den
Elsässern das „engere Vaterland"; diesem schulden sie ihre Thätigkeit, und
zwar um so mehr, weil einerseits die Versuche Deutschlands, dieses Land in
sich aufgehen zu lassen, bedeutender sind (!) und weil andrerseits die Möglich¬
keit einer „Revanche" Frankreichs immer mehr chimärisch wird. Diese
elsässische Partei, die mit derjenigen der „Renegaten" nichts gemein hat,
arbeitet daran, unsern Bevölkerungen ihren besondern Charakter zurückzugeben
und ihn von der deutschen Regierung anerkennen zu lassen: Ihr Ideal
wäre die Gründung einer autonomen Republik Elsaß. Sie
weiß aber, daß sie dieses Ideal nicht erreichen kann, und sie verfolgt,
auf den Grundlagen des Frankfurter Vertrages, die Constituirung des Elsasses
zu einem so viel als möglich selbständigen Staat unter der Oberhoheit,
oder wenn man will, „Oberlehnsherrschaft" des deutschen Reiches. Sie ver¬
langt für das Elsaß das Recht, wie alle übrigen Staaten Deutschlands, sich
Gesetze zu geben, die keine Reichsgesetze sind, einen Landtag und Minister zu
haben (!). In einem Worte, die elsässische, rein elsässische Partei erleidet und
nimmt gezwungener Weise an die durch den Krieg und den Friedensvertrag
geschaffene Lage und sucht daraus den bestmöglichen Vortheil für das Elaß
und die Elsässer zu ziehen. Wir glauben, daß in nicht zu langer Zeit bei¬
nahe sämmtliche Elsässer dieser Partei angehören werden; denn in dieser Rich¬
tung allein liegt die Zukunft des Elsasses. Es gab Elsässer, die sich Deutsch-
Elsässer, andere, die sich Französisch-Elsässer nannten: Wir, wir wollen
elsässische Elsässer sein!"

Auf diese Weise liebt man es hier mit dem Gedanken und der Phrase
zu coquettiren: „Wir wollen weder Deutsche, noch Franzosen sein: Wir
sind Elsässer, und wollen Elsässer bleiben" — und schwelgt in diesen
schönen, träumerischen Ideen von einem Jahr ins andere. Interessant ist es
dabei, daß selbst die hübschen und liebenswürdigen Damen des Elsasses sich
für diese holden politischen Träumereien — denn höher darf man sie zur Zeit
gewiß nicht anschlagen — auf das lebhafteste begeistern und dafür mehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/520>, abgerufen am 01.10.2024.