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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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schwärmen können, als selbst für Putz und Kleiderpracht. Man kann sicher
sein, daß man jedesmal bei ihnen einen Stein im Brett gewinnt, wenn man
geschickt das Gespräch auf diesen Gegenstand zu lenken und aus ihre Ideen
einzugehen versteht. So erinnere ich mich, daß bei der zuvorkommender
Wirthin auf den "Drei Aehren", als ich vor Kurzem diesem reizenden und
namentlich von den Deutschen mit Vorliebe besuchten Punkte in den Ober¬
oder Hochvogesen gleichfalls einen gelegentlichen Besuch abstattete, die an¬
fangs ziemlich stockende Conversation eine weit lebendigere Färbung annahm
und schier gar nicht zu Ende kommen wollte, als ich zufällig dieses poli¬
tische Gebiet streifte und die Dame dabei Gelegenheit erhielt, die Verfassung
ihres Zukunfts-Jdealstaates Elsaß-Lothringen bis in die kleinsten Details
hinein mit echtweiblicher Naivetät und feurigen Blicks mir auseinander
zu setzen.

Auch in dem deutschen Theile des Journal ä'^lsaeo" plädirte noch
jüngsthin F>an Marie Rebe in einer Reihe von Aufsätzen über das elsäs-
sische Elementarschulwesen, die einiges Aufsehen erregt haben, für Beibehaltung
des elsässischen Dialectes in der Unterrichtssprache. Das Hochdeutsche
solle man demselben nicht substituiren, wie dies jetzt leider allgemein geschehe.
Denn dem geborenen Elsässer klinge die hochdeutsche Schriftsprache ebenso
fremd, wie das Französische und sei ihm wo möglich noch weniger verständlich
als letzteres. Das ist allerdings Thatsache, die namentlich jeder eingewanderte
norddeutsche der gewandten und aus dem Herzen sprechenden Schriftstellerin
wird bezeugen können. Daraus wird man nun aber doch wohl nicht mit
Ernst folgern können, daß nun deswegen die einheitliche deutsche Unterrichts¬
sprache dem Dialecte eines einzelnen deutschen Landes weichen müsse. Mit dem¬
selben Rechte könnte unseres Ermessens auch der Hannoveraner und Bayer
verlangen, daß in ihren Volksschulen nur auf Alt-Hannoversch oder Alt-
Bayrisch gelehrt werde.

Auf der andern Seite ist wiederum bei Vielen das Vorurtheil gar sehr
verbreitet, "ihr heimischer Dialect sei unverständlich, häßlich und eigentlich gar
kein Deutsch." So hört man beispielsweise bei Gerichtsverhandlungen auf
die Frage des Präsidenten, ob Angeschuldigter oder Zeuge u. s. w. "Deutsch"
spreche, sehr häusig die charakteristische Antwort: "Nein, monsieur 1s xrvsi-
clont! Bloß Elsasser (Straßburger. Colmerer, Mühlhusener) Dütsch!"
Die Leute schämen sich einfach ihrer Muttersprache, weil sie glauben, sie
klinge nicht schön für den Zuhörer und ziehen es deshalb vor, sich franzö¬
sisch auszudrücken, weil sie sich so feiner und gebildeter vorkommen. Das ist
das andere Extrem, zu denen überhaupt der Elsässer, ganz so wie sein Nach¬
bar, der Rheinländer oder Pfälzer, wegen des lebhaften, sanguinischen Volks-
Temperamentes. überaus geneigt zu sein scheint. Ganz richtig bemerkt dage-


Grcnzboten I. 187b. . 63

schwärmen können, als selbst für Putz und Kleiderpracht. Man kann sicher
sein, daß man jedesmal bei ihnen einen Stein im Brett gewinnt, wenn man
geschickt das Gespräch auf diesen Gegenstand zu lenken und aus ihre Ideen
einzugehen versteht. So erinnere ich mich, daß bei der zuvorkommender
Wirthin auf den „Drei Aehren", als ich vor Kurzem diesem reizenden und
namentlich von den Deutschen mit Vorliebe besuchten Punkte in den Ober¬
oder Hochvogesen gleichfalls einen gelegentlichen Besuch abstattete, die an¬
fangs ziemlich stockende Conversation eine weit lebendigere Färbung annahm
und schier gar nicht zu Ende kommen wollte, als ich zufällig dieses poli¬
tische Gebiet streifte und die Dame dabei Gelegenheit erhielt, die Verfassung
ihres Zukunfts-Jdealstaates Elsaß-Lothringen bis in die kleinsten Details
hinein mit echtweiblicher Naivetät und feurigen Blicks mir auseinander
zu setzen.

Auch in dem deutschen Theile des Journal ä'^lsaeo" plädirte noch
jüngsthin F>an Marie Rebe in einer Reihe von Aufsätzen über das elsäs-
sische Elementarschulwesen, die einiges Aufsehen erregt haben, für Beibehaltung
des elsässischen Dialectes in der Unterrichtssprache. Das Hochdeutsche
solle man demselben nicht substituiren, wie dies jetzt leider allgemein geschehe.
Denn dem geborenen Elsässer klinge die hochdeutsche Schriftsprache ebenso
fremd, wie das Französische und sei ihm wo möglich noch weniger verständlich
als letzteres. Das ist allerdings Thatsache, die namentlich jeder eingewanderte
norddeutsche der gewandten und aus dem Herzen sprechenden Schriftstellerin
wird bezeugen können. Daraus wird man nun aber doch wohl nicht mit
Ernst folgern können, daß nun deswegen die einheitliche deutsche Unterrichts¬
sprache dem Dialecte eines einzelnen deutschen Landes weichen müsse. Mit dem¬
selben Rechte könnte unseres Ermessens auch der Hannoveraner und Bayer
verlangen, daß in ihren Volksschulen nur auf Alt-Hannoversch oder Alt-
Bayrisch gelehrt werde.

Auf der andern Seite ist wiederum bei Vielen das Vorurtheil gar sehr
verbreitet, „ihr heimischer Dialect sei unverständlich, häßlich und eigentlich gar
kein Deutsch." So hört man beispielsweise bei Gerichtsverhandlungen auf
die Frage des Präsidenten, ob Angeschuldigter oder Zeuge u. s. w. „Deutsch"
spreche, sehr häusig die charakteristische Antwort: „Nein, monsieur 1s xrvsi-
clont! Bloß Elsasser (Straßburger. Colmerer, Mühlhusener) Dütsch!"
Die Leute schämen sich einfach ihrer Muttersprache, weil sie glauben, sie
klinge nicht schön für den Zuhörer und ziehen es deshalb vor, sich franzö¬
sisch auszudrücken, weil sie sich so feiner und gebildeter vorkommen. Das ist
das andere Extrem, zu denen überhaupt der Elsässer, ganz so wie sein Nach¬
bar, der Rheinländer oder Pfälzer, wegen des lebhaften, sanguinischen Volks-
Temperamentes. überaus geneigt zu sein scheint. Ganz richtig bemerkt dage-


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[0521] schwärmen können, als selbst für Putz und Kleiderpracht. Man kann sicher sein, daß man jedesmal bei ihnen einen Stein im Brett gewinnt, wenn man geschickt das Gespräch auf diesen Gegenstand zu lenken und aus ihre Ideen einzugehen versteht. So erinnere ich mich, daß bei der zuvorkommender Wirthin auf den „Drei Aehren", als ich vor Kurzem diesem reizenden und namentlich von den Deutschen mit Vorliebe besuchten Punkte in den Ober¬ oder Hochvogesen gleichfalls einen gelegentlichen Besuch abstattete, die an¬ fangs ziemlich stockende Conversation eine weit lebendigere Färbung annahm und schier gar nicht zu Ende kommen wollte, als ich zufällig dieses poli¬ tische Gebiet streifte und die Dame dabei Gelegenheit erhielt, die Verfassung ihres Zukunfts-Jdealstaates Elsaß-Lothringen bis in die kleinsten Details hinein mit echtweiblicher Naivetät und feurigen Blicks mir auseinander zu setzen. Auch in dem deutschen Theile des Journal ä'^lsaeo" plädirte noch jüngsthin F>an Marie Rebe in einer Reihe von Aufsätzen über das elsäs- sische Elementarschulwesen, die einiges Aufsehen erregt haben, für Beibehaltung des elsässischen Dialectes in der Unterrichtssprache. Das Hochdeutsche solle man demselben nicht substituiren, wie dies jetzt leider allgemein geschehe. Denn dem geborenen Elsässer klinge die hochdeutsche Schriftsprache ebenso fremd, wie das Französische und sei ihm wo möglich noch weniger verständlich als letzteres. Das ist allerdings Thatsache, die namentlich jeder eingewanderte norddeutsche der gewandten und aus dem Herzen sprechenden Schriftstellerin wird bezeugen können. Daraus wird man nun aber doch wohl nicht mit Ernst folgern können, daß nun deswegen die einheitliche deutsche Unterrichts¬ sprache dem Dialecte eines einzelnen deutschen Landes weichen müsse. Mit dem¬ selben Rechte könnte unseres Ermessens auch der Hannoveraner und Bayer verlangen, daß in ihren Volksschulen nur auf Alt-Hannoversch oder Alt- Bayrisch gelehrt werde. Auf der andern Seite ist wiederum bei Vielen das Vorurtheil gar sehr verbreitet, „ihr heimischer Dialect sei unverständlich, häßlich und eigentlich gar kein Deutsch." So hört man beispielsweise bei Gerichtsverhandlungen auf die Frage des Präsidenten, ob Angeschuldigter oder Zeuge u. s. w. „Deutsch" spreche, sehr häusig die charakteristische Antwort: „Nein, monsieur 1s xrvsi- clont! Bloß Elsasser (Straßburger. Colmerer, Mühlhusener) Dütsch!" Die Leute schämen sich einfach ihrer Muttersprache, weil sie glauben, sie klinge nicht schön für den Zuhörer und ziehen es deshalb vor, sich franzö¬ sisch auszudrücken, weil sie sich so feiner und gebildeter vorkommen. Das ist das andere Extrem, zu denen überhaupt der Elsässer, ganz so wie sein Nach¬ bar, der Rheinländer oder Pfälzer, wegen des lebhaften, sanguinischen Volks- Temperamentes. überaus geneigt zu sein scheint. Ganz richtig bemerkt dage- Grcnzboten I. 187b. . 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/521>, abgerufen am 23.07.2024.