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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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v, Möller in Straßburg, auf. Diese Combination ist jedoch unbegründet
und wird neuerdings dementirt.

Der Herr v. d. Heydt hat bei seinem Scheiden aus dem Reichslande den
Bewohnern des Ober-Elsasses einen warmen, fein empfundenen und ausge¬
drückten Abschiedsgruß gewidmet, der von sämmtlichen Blättern des Reichs¬
landes in voriger Woche reproduzirt worden ist. Es heißt darin u. A:
"Bei Ueberleitung der Verwaltung in ihre neue Richtung war mein ernst¬
lichstes Bestreben, nicht nur den Interessen des Bezirks und seiner Bevölkerung
gerecht zu werden, sondern vor Allem, die Versöhnung der Gemüther
mit den Thatsachen anzubahnen." Wenn dies dem trefflichen Manne
und ausgezeichneten Verwaltungsbeamten zur Zeit auch wohl nur zur Hälfte
gelungen ist, so gebührt ihm doch für das Erreichte der wärmste Dank sowohl
der einheimischen, als der eingewanderten Bevölkerung. Wenn einstweilen
nicht mehr erreicht wurde und vielleicht nicht einmal so viel, als mancher
wohl erwarten mochte, so liegt nicht die Schuld an ihm, sondern an eigen¬
thümlichen Verhältnissen, die sich im Reichslande erst seit den letzten Jahren
entwickelt haben und die ich Ihnen zum Theil unten zu skizziren gedenke.
Er selbst war -- darüber sind hier zu Lande alle Stimmen einig -- persön¬
lich liebenswürdig und zuvorkommend gegen Jedermann, den Eingeborenen
und ihren berechtigten Eigenthümlichkeiten gegenüber äußerst schonend und
milde, seinen unmittelbar Untergebenen als ein unermüdlicher und pflicht¬
treuer Beamter bekannt.

Trotz alledem ist und bleibt die "Versöhnung der Gemüther mit den
Thatsachen" eine gar schwierige Herkulesarbeit und steht noch in mancher
Beziehung so ziemlich am Anfang der Dinge. Das Eine ist allerdings in
den vier Jahren deutscher Verwaltung erreicht, daß die Elsaß-Lothringer für
spezifisch französische Einrichtungen und Gebräuche, mit Ausnahme einer
sehr unbedeutenden Minderheit, die nun einmal die "Unversöhnlichen." spielen
wollen bis zu ihrem seligen Ende, nicht mehr so sehr schwärmen, wie im
Anfange. Das ist aber auch wieder weniger das Werk der deutschen Ver¬
waltung als solcher, als vielmehr der augenblicklichen Entwicklung der Dinge
in Frankreich selbst zu verdanken, die auch dem Blödsichtigsten als das er¬
scheint, was sie ist, ein jammervolles Zerrbild einer einst großartigen und
dominirenden Nation.

Dazu kommt, daß selbst zur französischen Zeit das Verhältniß hier un¬
gefähr das nämliche war. Auch damals waren die Elsaß-Lothringer stets
die opponirende Partei in Parlament und Presse, die ihre nationale Selbstän¬
digkeit und ihre "berechtigten Stammes - Eigenthümlichkeiten" gegenüber dem
eigentlichen Stock-Franzosenthum allerwärts bewahrt und geachtet wissen
wollten- In gleicher oder doch annähernd ähnlicher Weise wollen sie nun


v, Möller in Straßburg, auf. Diese Combination ist jedoch unbegründet
und wird neuerdings dementirt.

Der Herr v. d. Heydt hat bei seinem Scheiden aus dem Reichslande den
Bewohnern des Ober-Elsasses einen warmen, fein empfundenen und ausge¬
drückten Abschiedsgruß gewidmet, der von sämmtlichen Blättern des Reichs¬
landes in voriger Woche reproduzirt worden ist. Es heißt darin u. A:
„Bei Ueberleitung der Verwaltung in ihre neue Richtung war mein ernst¬
lichstes Bestreben, nicht nur den Interessen des Bezirks und seiner Bevölkerung
gerecht zu werden, sondern vor Allem, die Versöhnung der Gemüther
mit den Thatsachen anzubahnen." Wenn dies dem trefflichen Manne
und ausgezeichneten Verwaltungsbeamten zur Zeit auch wohl nur zur Hälfte
gelungen ist, so gebührt ihm doch für das Erreichte der wärmste Dank sowohl
der einheimischen, als der eingewanderten Bevölkerung. Wenn einstweilen
nicht mehr erreicht wurde und vielleicht nicht einmal so viel, als mancher
wohl erwarten mochte, so liegt nicht die Schuld an ihm, sondern an eigen¬
thümlichen Verhältnissen, die sich im Reichslande erst seit den letzten Jahren
entwickelt haben und die ich Ihnen zum Theil unten zu skizziren gedenke.
Er selbst war — darüber sind hier zu Lande alle Stimmen einig — persön¬
lich liebenswürdig und zuvorkommend gegen Jedermann, den Eingeborenen
und ihren berechtigten Eigenthümlichkeiten gegenüber äußerst schonend und
milde, seinen unmittelbar Untergebenen als ein unermüdlicher und pflicht¬
treuer Beamter bekannt.

Trotz alledem ist und bleibt die „Versöhnung der Gemüther mit den
Thatsachen" eine gar schwierige Herkulesarbeit und steht noch in mancher
Beziehung so ziemlich am Anfang der Dinge. Das Eine ist allerdings in
den vier Jahren deutscher Verwaltung erreicht, daß die Elsaß-Lothringer für
spezifisch französische Einrichtungen und Gebräuche, mit Ausnahme einer
sehr unbedeutenden Minderheit, die nun einmal die „Unversöhnlichen." spielen
wollen bis zu ihrem seligen Ende, nicht mehr so sehr schwärmen, wie im
Anfange. Das ist aber auch wieder weniger das Werk der deutschen Ver¬
waltung als solcher, als vielmehr der augenblicklichen Entwicklung der Dinge
in Frankreich selbst zu verdanken, die auch dem Blödsichtigsten als das er¬
scheint, was sie ist, ein jammervolles Zerrbild einer einst großartigen und
dominirenden Nation.

Dazu kommt, daß selbst zur französischen Zeit das Verhältniß hier un¬
gefähr das nämliche war. Auch damals waren die Elsaß-Lothringer stets
die opponirende Partei in Parlament und Presse, die ihre nationale Selbstän¬
digkeit und ihre „berechtigten Stammes - Eigenthümlichkeiten" gegenüber dem
eigentlichen Stock-Franzosenthum allerwärts bewahrt und geachtet wissen
wollten- In gleicher oder doch annähernd ähnlicher Weise wollen sie nun


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[0519] v, Möller in Straßburg, auf. Diese Combination ist jedoch unbegründet und wird neuerdings dementirt. Der Herr v. d. Heydt hat bei seinem Scheiden aus dem Reichslande den Bewohnern des Ober-Elsasses einen warmen, fein empfundenen und ausge¬ drückten Abschiedsgruß gewidmet, der von sämmtlichen Blättern des Reichs¬ landes in voriger Woche reproduzirt worden ist. Es heißt darin u. A: „Bei Ueberleitung der Verwaltung in ihre neue Richtung war mein ernst¬ lichstes Bestreben, nicht nur den Interessen des Bezirks und seiner Bevölkerung gerecht zu werden, sondern vor Allem, die Versöhnung der Gemüther mit den Thatsachen anzubahnen." Wenn dies dem trefflichen Manne und ausgezeichneten Verwaltungsbeamten zur Zeit auch wohl nur zur Hälfte gelungen ist, so gebührt ihm doch für das Erreichte der wärmste Dank sowohl der einheimischen, als der eingewanderten Bevölkerung. Wenn einstweilen nicht mehr erreicht wurde und vielleicht nicht einmal so viel, als mancher wohl erwarten mochte, so liegt nicht die Schuld an ihm, sondern an eigen¬ thümlichen Verhältnissen, die sich im Reichslande erst seit den letzten Jahren entwickelt haben und die ich Ihnen zum Theil unten zu skizziren gedenke. Er selbst war — darüber sind hier zu Lande alle Stimmen einig — persön¬ lich liebenswürdig und zuvorkommend gegen Jedermann, den Eingeborenen und ihren berechtigten Eigenthümlichkeiten gegenüber äußerst schonend und milde, seinen unmittelbar Untergebenen als ein unermüdlicher und pflicht¬ treuer Beamter bekannt. Trotz alledem ist und bleibt die „Versöhnung der Gemüther mit den Thatsachen" eine gar schwierige Herkulesarbeit und steht noch in mancher Beziehung so ziemlich am Anfang der Dinge. Das Eine ist allerdings in den vier Jahren deutscher Verwaltung erreicht, daß die Elsaß-Lothringer für spezifisch französische Einrichtungen und Gebräuche, mit Ausnahme einer sehr unbedeutenden Minderheit, die nun einmal die „Unversöhnlichen." spielen wollen bis zu ihrem seligen Ende, nicht mehr so sehr schwärmen, wie im Anfange. Das ist aber auch wieder weniger das Werk der deutschen Ver¬ waltung als solcher, als vielmehr der augenblicklichen Entwicklung der Dinge in Frankreich selbst zu verdanken, die auch dem Blödsichtigsten als das er¬ scheint, was sie ist, ein jammervolles Zerrbild einer einst großartigen und dominirenden Nation. Dazu kommt, daß selbst zur französischen Zeit das Verhältniß hier un¬ gefähr das nämliche war. Auch damals waren die Elsaß-Lothringer stets die opponirende Partei in Parlament und Presse, die ihre nationale Selbstän¬ digkeit und ihre „berechtigten Stammes - Eigenthümlichkeiten" gegenüber dem eigentlichen Stock-Franzosenthum allerwärts bewahrt und geachtet wissen wollten- In gleicher oder doch annähernd ähnlicher Weise wollen sie nun

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/519>, abgerufen am 01.07.2024.