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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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lamentsjubiläum gefeiert hat: Carl Cramer. Vom einfachen, schlichten Ar¬
beiter hat er sich zu der prononcirten Stellung emporgeschwungen, die er unter
seinen Parteigenossen einnimmt. An Sachkenntniß, Klarheit der Gedanken,
Wie des Ausdrucks kommt ihm keiner gleich. Er spricht seltener und kürzer,
als mancher Andere, aber er spricht stets zur rechten Zeit, wo es gilt, entwe¬
der einen verwickelt geschürzten Knoten zu lösen, oder eine zerfahrene Debatte
zu reguliren, die nöthigen Richtpunkte anzugeben: immer erscheint er als der
Feldherr, der unbeirrt und sicher die Schlacht zu leiten -- und zu gewinnen
weiß. Sein eminentes finanzielles Talent hat Krämer im dermaligen Land¬
tag als Vorstand des Finanzausschusses bewährt; er hätte so das Holz, aus
dem man Finanzminister schmilzt. Noch eine Bank unterhalb Cramer sitzt
der Augsburger Regierungspräsident v. Hörmann, der frühere Minister des
Innern, dem die Ultramontanen niemals die "Wahlkreisgeometrie" vergeben
können, die zu ihrem Nachtheil getrieben zu haben sie ihn beschuldigen. Zu
Anfang des Jahres 1870 hat darum Hörmann mit ihnen bittere Redegefechte
gehabt, jetzt spricht er meist nur bei rein praktischen, von ihm stets gründlich
erfaßten Fragen. Außer ihm hat die Stadt Augsburg, wenn auch nicht alle
als ihre Abgeordneten, so doch aus ihren Mauern noch drei Herren in die
Kammer geschickt: den schon genannten Dr. Volk, dann ihren Bürgermeister
Fischer, der nie ohne einen starken Anflug von Satire oder Malice sprechen
kann, und den einen der beiden diesrheinischen protestantischen Pfarrer, die
in der Kammer sitzen, Herrn Braussold. Die protestantische Geistlichkeit erfreut
sich nicht der gleich starken numerischen Vertretung, wie ihre Stiefbruder auf
der andern Seite des Hauses, aber in Herrn Braussold ist sie durch einen
mannhaften, streitbaren Helden repräsentirt, der, auf allen Gebieten des öffent¬
lichen Lebens wohl zu Hause, eine klare kräftige Sprache spricht und sie auch
wohl mit manch gutem Körnlein attischen Salzes zu würzen versteht.

Schärfere Zunge noch als er führt der neben ihm sitzende Reichstagsab¬
geordnete Schauß, in dessen Hände oder vielmehr Rede zu fallen, manchem
Patrioten schon übel bekommen ist; es giebt wenig Physiognomien, die so zur
Malice angelegt erscheinen, als die des genannten Herrn. Viel friedlicher
nehmen sich ein paar der obern und über ihm sich hinziehenden Reihen aus,
in denen pflichttreue, aufrichtig liberal gesinnte, aber schweigsame Männer
Platz genommen haben, die höchstens ein, zweimal in einer Session das Wort
ergreifen, aber deren Stimmen so gut und gewichtig, wie die der gesprächigsten
und gewandtesten Redner zählen. Am häufigsten noch erhebt sich in der
obern Ecke des Saales eine Stimme, die des langjährigen Abgeordneten
Töckerer, des weißen Raben aus dem kohlschwarzen Niederbayern. Mit Vor¬
liebe betont der wackere Mann, den seine Freunde diesmal mit doppelter


lamentsjubiläum gefeiert hat: Carl Cramer. Vom einfachen, schlichten Ar¬
beiter hat er sich zu der prononcirten Stellung emporgeschwungen, die er unter
seinen Parteigenossen einnimmt. An Sachkenntniß, Klarheit der Gedanken,
Wie des Ausdrucks kommt ihm keiner gleich. Er spricht seltener und kürzer,
als mancher Andere, aber er spricht stets zur rechten Zeit, wo es gilt, entwe¬
der einen verwickelt geschürzten Knoten zu lösen, oder eine zerfahrene Debatte
zu reguliren, die nöthigen Richtpunkte anzugeben: immer erscheint er als der
Feldherr, der unbeirrt und sicher die Schlacht zu leiten — und zu gewinnen
weiß. Sein eminentes finanzielles Talent hat Krämer im dermaligen Land¬
tag als Vorstand des Finanzausschusses bewährt; er hätte so das Holz, aus
dem man Finanzminister schmilzt. Noch eine Bank unterhalb Cramer sitzt
der Augsburger Regierungspräsident v. Hörmann, der frühere Minister des
Innern, dem die Ultramontanen niemals die „Wahlkreisgeometrie" vergeben
können, die zu ihrem Nachtheil getrieben zu haben sie ihn beschuldigen. Zu
Anfang des Jahres 1870 hat darum Hörmann mit ihnen bittere Redegefechte
gehabt, jetzt spricht er meist nur bei rein praktischen, von ihm stets gründlich
erfaßten Fragen. Außer ihm hat die Stadt Augsburg, wenn auch nicht alle
als ihre Abgeordneten, so doch aus ihren Mauern noch drei Herren in die
Kammer geschickt: den schon genannten Dr. Volk, dann ihren Bürgermeister
Fischer, der nie ohne einen starken Anflug von Satire oder Malice sprechen
kann, und den einen der beiden diesrheinischen protestantischen Pfarrer, die
in der Kammer sitzen, Herrn Braussold. Die protestantische Geistlichkeit erfreut
sich nicht der gleich starken numerischen Vertretung, wie ihre Stiefbruder auf
der andern Seite des Hauses, aber in Herrn Braussold ist sie durch einen
mannhaften, streitbaren Helden repräsentirt, der, auf allen Gebieten des öffent¬
lichen Lebens wohl zu Hause, eine klare kräftige Sprache spricht und sie auch
wohl mit manch gutem Körnlein attischen Salzes zu würzen versteht.

Schärfere Zunge noch als er führt der neben ihm sitzende Reichstagsab¬
geordnete Schauß, in dessen Hände oder vielmehr Rede zu fallen, manchem
Patrioten schon übel bekommen ist; es giebt wenig Physiognomien, die so zur
Malice angelegt erscheinen, als die des genannten Herrn. Viel friedlicher
nehmen sich ein paar der obern und über ihm sich hinziehenden Reihen aus,
in denen pflichttreue, aufrichtig liberal gesinnte, aber schweigsame Männer
Platz genommen haben, die höchstens ein, zweimal in einer Session das Wort
ergreifen, aber deren Stimmen so gut und gewichtig, wie die der gesprächigsten
und gewandtesten Redner zählen. Am häufigsten noch erhebt sich in der
obern Ecke des Saales eine Stimme, die des langjährigen Abgeordneten
Töckerer, des weißen Raben aus dem kohlschwarzen Niederbayern. Mit Vor¬
liebe betont der wackere Mann, den seine Freunde diesmal mit doppelter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/516>, abgerufen am 03.07.2024.