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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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sammengewürfeltes Aggregat von Merkmalen aufzufassen, welche einzeln nach
oder neben einander durch Züchtung oder Gewöhnung erworben worden sind.
Er nahm an die Variabilität sei unbestimmt und beruhe auf äußeren Ein¬
flüssen, jetzt bekennt er, daß mit jeder Abänderung noch andre correlativ
verbunden sind, die also nicht zufällig und äußerlich hervorgerufen werden,
sondern innerlich bedingt find. Das Correlationsgesetz aber umfaßt die ganze
Natur, es ist genau dasselbe was man seither die gesetzmäßige Ordnung und
Harmonie des Schöpfungsplanes benannt, und das organische Entwicklungs¬
gesetz ist damit von Darwin selbst anerkannt!

Damit fällt die den Plan und Zweck leugnende mechanische Weltansicht,
und die Erklärungsprincipien Darwin's werden wie bei uns zu mitwirkenden
technischen Behelfer. Daß er diese ins Licht gestellt, ist sein großes Verdienst;
aber "Darwin selbst, der sich anfangs von den Gedanken leiten ließ die or¬
ganischen Typen als Prägstücke zu erklären, die ihr Gepräge ausschließlich von
der Matrize der äußern Umgebung erhalten, mußte mit dem Bekenntniß
enden, daß dieselben nur als Resultate eines inneren Entwicklungsgesetzes
erklärlich seien."

Kant hat mit seinem genialen Blick in der Kritik der Urtheilskraft eigent¬
lich schon vorausgesehen, was die heutige Philosophie aus dem Darwinismus
als Gewinn ihrer Prüfung davonträgt. Auch er sieht in der Natur eine
aufsteigende Entwicklung, auch ihm ist ein Bildungstrieb nothwendig zur Er¬
klärung der organischen Formen, auch für ihn vollzieht sich der Fortschritt
dadurch, daß durch eine Metamorphose des befruchteten Keimes ein von den
Eltern abweichendes neues Individuum sich entfaltet. Und dabei fordert er,
daß die Naturwissenschaft allerwärts die mechanischen Erklärungsversuche so
weit als möglich ausdehne. Wenn nun auch Strauß es an Darwin pries,
daß derselbe gezeigt, wie die zweckmäßigen Gebilde der Natur auf rein mecha¬
nischem Weg hervorgebracht worden, so stellt Hartmann die Alternative: ob
das zweckmäßig Organische ein wesentliches oder zufälliges Ergebniß der mecha¬
nischen Naturgesetze sei. Die Annahme des Zufalls verzichtet auf gesetzmäßig
wirkende Principien; geht aber das Organische aus dem Anorganischen nach
gesetzlicher Nothwendigkeit hervor, nun dann ist eben der Mechanismus der
Natur das Mittel zur Verwirklichung des Lebens und dessen lebendiger Mutter-
schoos. Hartmann fährt fort: "Hcickel geht in der natürlichen Schöpfungs¬
geschichte so weit, den Mechanismus einer Locomotive, dessen Leistungen der
Wilde als unmittelbare Wirkung eines mächtigen Geistes anstaunt, als Beispiel
dafür heranzuziehen, daß es nur darauf ankomme, einen so verwickelten Apparat
wie die Locomotive oder das menschliche Auge ist, in seiner rein mechanischen
Natur zu begreifen um von ideologischen Wahnvorstellungen zurückzukommen.
Aber das Beispiel beweist stritte das Gegentheil; es beweist nehmlich, daß


sammengewürfeltes Aggregat von Merkmalen aufzufassen, welche einzeln nach
oder neben einander durch Züchtung oder Gewöhnung erworben worden sind.
Er nahm an die Variabilität sei unbestimmt und beruhe auf äußeren Ein¬
flüssen, jetzt bekennt er, daß mit jeder Abänderung noch andre correlativ
verbunden sind, die also nicht zufällig und äußerlich hervorgerufen werden,
sondern innerlich bedingt find. Das Correlationsgesetz aber umfaßt die ganze
Natur, es ist genau dasselbe was man seither die gesetzmäßige Ordnung und
Harmonie des Schöpfungsplanes benannt, und das organische Entwicklungs¬
gesetz ist damit von Darwin selbst anerkannt!

Damit fällt die den Plan und Zweck leugnende mechanische Weltansicht,
und die Erklärungsprincipien Darwin's werden wie bei uns zu mitwirkenden
technischen Behelfer. Daß er diese ins Licht gestellt, ist sein großes Verdienst;
aber „Darwin selbst, der sich anfangs von den Gedanken leiten ließ die or¬
ganischen Typen als Prägstücke zu erklären, die ihr Gepräge ausschließlich von
der Matrize der äußern Umgebung erhalten, mußte mit dem Bekenntniß
enden, daß dieselben nur als Resultate eines inneren Entwicklungsgesetzes
erklärlich seien."

Kant hat mit seinem genialen Blick in der Kritik der Urtheilskraft eigent¬
lich schon vorausgesehen, was die heutige Philosophie aus dem Darwinismus
als Gewinn ihrer Prüfung davonträgt. Auch er sieht in der Natur eine
aufsteigende Entwicklung, auch ihm ist ein Bildungstrieb nothwendig zur Er¬
klärung der organischen Formen, auch für ihn vollzieht sich der Fortschritt
dadurch, daß durch eine Metamorphose des befruchteten Keimes ein von den
Eltern abweichendes neues Individuum sich entfaltet. Und dabei fordert er,
daß die Naturwissenschaft allerwärts die mechanischen Erklärungsversuche so
weit als möglich ausdehne. Wenn nun auch Strauß es an Darwin pries,
daß derselbe gezeigt, wie die zweckmäßigen Gebilde der Natur auf rein mecha¬
nischem Weg hervorgebracht worden, so stellt Hartmann die Alternative: ob
das zweckmäßig Organische ein wesentliches oder zufälliges Ergebniß der mecha¬
nischen Naturgesetze sei. Die Annahme des Zufalls verzichtet auf gesetzmäßig
wirkende Principien; geht aber das Organische aus dem Anorganischen nach
gesetzlicher Nothwendigkeit hervor, nun dann ist eben der Mechanismus der
Natur das Mittel zur Verwirklichung des Lebens und dessen lebendiger Mutter-
schoos. Hartmann fährt fort: „Hcickel geht in der natürlichen Schöpfungs¬
geschichte so weit, den Mechanismus einer Locomotive, dessen Leistungen der
Wilde als unmittelbare Wirkung eines mächtigen Geistes anstaunt, als Beispiel
dafür heranzuziehen, daß es nur darauf ankomme, einen so verwickelten Apparat
wie die Locomotive oder das menschliche Auge ist, in seiner rein mechanischen
Natur zu begreifen um von ideologischen Wahnvorstellungen zurückzukommen.
Aber das Beispiel beweist stritte das Gegentheil; es beweist nehmlich, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/462>, abgerufen am 03.07.2024.