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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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eine Koppelung der nebeneinander laufenden Triebwerke in einer großen
Maschine.

Nachdem Hartmann dies und Ähnliches mit häufigerem Bezug auf
A. Wigand's vortreffliches Werk, "der Darwinismus und die Naturforschung
Newton's und Cuvier's" erörtert hat. zieht er die anderen Erklärungsversuche
in Betracht, die Darwin zu Hilfe genommen, und die Zugeständnisse, die der¬
selbe gemacht hat. Dahin gehört der Reiz, den das Schöne und Neue aus
den Menschen macht, und den Darwin heranzieht um bei der geschlechtlichen
Auswahl den Blick der Individuen gerade auf die schöneren und neuen For¬
men zu lenken. Mit Recht sieht Hartmann hierin nichts Mechanisches, son¬
dern eine Aeußerung des Schönheitstriebes, der das gesammte innere Entwick¬
lungsgesetz durchwebt. Die Schönheit liegt außerhalb der Nützlichkeit im
Kampf ums Dasein, sie ist eine freie Zugabe zur Nothdurft des Lebens von
eigenem idealem Werth, nach ewigem Gesetz an der Offenbarung der Idee in
der Erscheinung gekettet. "Die Schönheit der Natur allein sollte hinreichen,
uns von der in ihr sich offenbarenden Idee unmittelbar zu überzeugen, und
uns für immer vor dem Irrthum zu bewahren, als ob jemals ein todter
Mechanismus die Natur würde erklären können." In gleichem Sinn hat
meine Aesthetik sich ausgesprochen.

Darwin selbst räumt bereits ein. daß der Mensch und jedes Thier Ge¬
bilde darbietet, welche von keinem Nutzen für sie sind. Derartige Gebilde, sagt
er selbst, können weder als Wirkung des Gebrauchs oder Nichtgebrauchs noch
aus natürlicher Zuchtwahl erklärt werden; die Ursache werden wir in der
innern Natur des Organismus suchen müssen, wenn auch äußere Einflüsse
thätig waren, um sie hervorzurufen. Das ist ja ganz, was wir wollen. Da
nun die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale der Species zu solchen Gebilden
gehören, so sind wir von Darwin selbst auf die innern Triebe und Entwick¬
lungsgesetze hingeführt. Dies Entwicklungsgesetz nun erkennt Darwin gleich¬
falls an. wenn er sich auf das Gesetz der Correlation des Wachsthums und
der sympathischen Veränderungen beruft. Dies besteht darin, daß alle Organe
desselben Organismus innerlich zusammenhängen, im Lebensprocesse solidarisch
verbunden sind, sodaß das Ganze gestört wird, wenn eins zurückbleibt oder
überwuchert; es besteht darin, daß die Gestaltung aller Glieder in systema¬
tischer Wechselwirkung steht bis auf den mikroskopisch anatomischen Bau der
Gewebe. Die Abänderung eines Körpertheils zieht die eines andern nach sich;
wenn eine Species sich umändern soll, so geschieht das nicht durch das Her¬
vortreten eines einzelnen neuen Gebildes oder durch Veränderung eines be¬
stimmten Organs, sondern der ganze Complex muß sich ändern. Allein die
mechanischen Erklärungsprincipien des Darwinismus liefen ja darauf hinaus,
den Typus des Organismus als ein zufälliges äußerliches mosaikartig zu-


eine Koppelung der nebeneinander laufenden Triebwerke in einer großen
Maschine.

Nachdem Hartmann dies und Ähnliches mit häufigerem Bezug auf
A. Wigand's vortreffliches Werk, „der Darwinismus und die Naturforschung
Newton's und Cuvier's" erörtert hat. zieht er die anderen Erklärungsversuche
in Betracht, die Darwin zu Hilfe genommen, und die Zugeständnisse, die der¬
selbe gemacht hat. Dahin gehört der Reiz, den das Schöne und Neue aus
den Menschen macht, und den Darwin heranzieht um bei der geschlechtlichen
Auswahl den Blick der Individuen gerade auf die schöneren und neuen For¬
men zu lenken. Mit Recht sieht Hartmann hierin nichts Mechanisches, son¬
dern eine Aeußerung des Schönheitstriebes, der das gesammte innere Entwick¬
lungsgesetz durchwebt. Die Schönheit liegt außerhalb der Nützlichkeit im
Kampf ums Dasein, sie ist eine freie Zugabe zur Nothdurft des Lebens von
eigenem idealem Werth, nach ewigem Gesetz an der Offenbarung der Idee in
der Erscheinung gekettet. „Die Schönheit der Natur allein sollte hinreichen,
uns von der in ihr sich offenbarenden Idee unmittelbar zu überzeugen, und
uns für immer vor dem Irrthum zu bewahren, als ob jemals ein todter
Mechanismus die Natur würde erklären können." In gleichem Sinn hat
meine Aesthetik sich ausgesprochen.

Darwin selbst räumt bereits ein. daß der Mensch und jedes Thier Ge¬
bilde darbietet, welche von keinem Nutzen für sie sind. Derartige Gebilde, sagt
er selbst, können weder als Wirkung des Gebrauchs oder Nichtgebrauchs noch
aus natürlicher Zuchtwahl erklärt werden; die Ursache werden wir in der
innern Natur des Organismus suchen müssen, wenn auch äußere Einflüsse
thätig waren, um sie hervorzurufen. Das ist ja ganz, was wir wollen. Da
nun die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale der Species zu solchen Gebilden
gehören, so sind wir von Darwin selbst auf die innern Triebe und Entwick¬
lungsgesetze hingeführt. Dies Entwicklungsgesetz nun erkennt Darwin gleich¬
falls an. wenn er sich auf das Gesetz der Correlation des Wachsthums und
der sympathischen Veränderungen beruft. Dies besteht darin, daß alle Organe
desselben Organismus innerlich zusammenhängen, im Lebensprocesse solidarisch
verbunden sind, sodaß das Ganze gestört wird, wenn eins zurückbleibt oder
überwuchert; es besteht darin, daß die Gestaltung aller Glieder in systema¬
tischer Wechselwirkung steht bis auf den mikroskopisch anatomischen Bau der
Gewebe. Die Abänderung eines Körpertheils zieht die eines andern nach sich;
wenn eine Species sich umändern soll, so geschieht das nicht durch das Her¬
vortreten eines einzelnen neuen Gebildes oder durch Veränderung eines be¬
stimmten Organs, sondern der ganze Complex muß sich ändern. Allein die
mechanischen Erklärungsprincipien des Darwinismus liefen ja darauf hinaus,
den Typus des Organismus als ein zufälliges äußerliches mosaikartig zu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/461>, abgerufen am 23.07.2024.