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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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nur das ein Mechanismus zu heißen verdient, dem die Teleologie in demselben
Sinne immanent ist wie der Locomotive, deren Dasein der Wilde mit Recht
als Beweis einer der seinigen überlegenen Intelligenz ansieht, und deren
staunenswerthe Zweckmäßigkeit sich dadurch um nichts vermindert, wenn man
den vollen Einblick in den Mechanismus als solchen erlangt hat. So bleiben
auch wir im Rechte, wenn wir in dem weit staunenswürdigeren großen
Mechanismus der Natur die Doeumentirung einer der unsrigen weit über¬
legenen Intelligenz bewundern, und unsre Bewunderung wird dadurch nicht
vermindert, sondern erhöht, wenn es uns gelingt mit unserem Verständniß
allmählich mehr und mehr in den Zusammenhang dieses Mechanismus ein¬
zudringen."

Soll ein Plan ausgeführt, ein Gedanke verwirklicht, ein Zweck erreicht
werden, so bedarf man dafür der Mittel, und diese wären unzureichend und
unbrauchbar, wenn sie etwas andres als eine Summe von Kräften wären,
die mit naturgesetzlicher Nothwendigkeit wirken, denn nur so kann man auf
sie rechnen, da sie nie den Dienst versagen können, der ihrer Natur gemäß
ist. Es setzt also. die Teleologie den Mechanismus voraus und beide sind
untrennbar für einander da. So ist es, weil es die Vernunft der Sache so
verlangt. Ohne Aetherwellen und Auge kein Sehen und kein Licht; aber erst
durch die Ltchtempstndung und das Sehen die Brechungsgesetze der Aether¬
wellen und die Construction des Auges als sinnreicher Mechanismus ver¬
ständlich. Hartmann schließt: "das organische Princip ohne anorganische Natur
könnte ebensowenig einen 'zweckvollen Organismus schaffen wie diese ohne
jenes. So erscheint von der einen Seite die Organisation als Wirkung des
Mechanismus der unorganischen Naturgesetze, von der andern Seite dieser
Mechanismus als ein System von Mitteln für die Hervorbringung der
Organisation und ihrer Zweckmäßigkeit; beides ist gleich wahr, und das eine
ist es nur, weil auch das andere es ist." -- Auch die Atomkräfte sehen wir
nicht mit Augen und betasten wir nicht mit Händen, sowenig wie die orga-
nisirenden Principien; wir erschließen beide aus ihren Wirkungen. Die orga-
nisirenden Principien setzen den zu organisirenden Stoff voraus; sie combiniren,
ordnen, beeinflussen die Atomkräfte, nicht gegen deren Gesetze, sondern diesen
Gesetzen gemäß, ähnlich wie auch unser Geist die Natur beherrscht, wenn er
die Dampfmaschine construirt und arbeiten läßt. Das Feuer, das Wasser,
das Eisen, die Hebel, die Schrauben haben die Maschine nicht gemacht, aber
ebensowenig that es der Geist ohne sie; kraft ihrer eignen Natur verwirklicht
er seinen Zweck und arbeiten sie für ihn.

Hartmann und Ulrici stimmen darin überein, daß die Philosophie die
gesicherten Ergebnisse der Naturwissenschaft zum Ausgangspunkte ihrer Spe¬
kulation nehmen soll und nichts ihnen Widerstreitendes behaupten darf; aber


nur das ein Mechanismus zu heißen verdient, dem die Teleologie in demselben
Sinne immanent ist wie der Locomotive, deren Dasein der Wilde mit Recht
als Beweis einer der seinigen überlegenen Intelligenz ansieht, und deren
staunenswerthe Zweckmäßigkeit sich dadurch um nichts vermindert, wenn man
den vollen Einblick in den Mechanismus als solchen erlangt hat. So bleiben
auch wir im Rechte, wenn wir in dem weit staunenswürdigeren großen
Mechanismus der Natur die Doeumentirung einer der unsrigen weit über¬
legenen Intelligenz bewundern, und unsre Bewunderung wird dadurch nicht
vermindert, sondern erhöht, wenn es uns gelingt mit unserem Verständniß
allmählich mehr und mehr in den Zusammenhang dieses Mechanismus ein¬
zudringen."

Soll ein Plan ausgeführt, ein Gedanke verwirklicht, ein Zweck erreicht
werden, so bedarf man dafür der Mittel, und diese wären unzureichend und
unbrauchbar, wenn sie etwas andres als eine Summe von Kräften wären,
die mit naturgesetzlicher Nothwendigkeit wirken, denn nur so kann man auf
sie rechnen, da sie nie den Dienst versagen können, der ihrer Natur gemäß
ist. Es setzt also. die Teleologie den Mechanismus voraus und beide sind
untrennbar für einander da. So ist es, weil es die Vernunft der Sache so
verlangt. Ohne Aetherwellen und Auge kein Sehen und kein Licht; aber erst
durch die Ltchtempstndung und das Sehen die Brechungsgesetze der Aether¬
wellen und die Construction des Auges als sinnreicher Mechanismus ver¬
ständlich. Hartmann schließt: „das organische Princip ohne anorganische Natur
könnte ebensowenig einen 'zweckvollen Organismus schaffen wie diese ohne
jenes. So erscheint von der einen Seite die Organisation als Wirkung des
Mechanismus der unorganischen Naturgesetze, von der andern Seite dieser
Mechanismus als ein System von Mitteln für die Hervorbringung der
Organisation und ihrer Zweckmäßigkeit; beides ist gleich wahr, und das eine
ist es nur, weil auch das andere es ist." — Auch die Atomkräfte sehen wir
nicht mit Augen und betasten wir nicht mit Händen, sowenig wie die orga-
nisirenden Principien; wir erschließen beide aus ihren Wirkungen. Die orga-
nisirenden Principien setzen den zu organisirenden Stoff voraus; sie combiniren,
ordnen, beeinflussen die Atomkräfte, nicht gegen deren Gesetze, sondern diesen
Gesetzen gemäß, ähnlich wie auch unser Geist die Natur beherrscht, wenn er
die Dampfmaschine construirt und arbeiten läßt. Das Feuer, das Wasser,
das Eisen, die Hebel, die Schrauben haben die Maschine nicht gemacht, aber
ebensowenig that es der Geist ohne sie; kraft ihrer eignen Natur verwirklicht
er seinen Zweck und arbeiten sie für ihn.

Hartmann und Ulrici stimmen darin überein, daß die Philosophie die
gesicherten Ergebnisse der Naturwissenschaft zum Ausgangspunkte ihrer Spe¬
kulation nehmen soll und nichts ihnen Widerstreitendes behaupten darf; aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/463>, abgerufen am 01.07.2024.