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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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lichen Autorität. In der ganzen Tage lang währenden Discussion Eck's mit
Karlstadt und Eck's mit Luther, in welcher vielerlei Themata abgehandelt
wurden, concentrirt sich das historische Interesse auf das Wortgefecht des
5. Juli über Papst und Kirche, das zu überraschenden Erklärungen hinführte.
Man stritt mit historischen Argumenten über Alter und Natur der päpstlichen
Macht; -- indem Luther die Aussagen der ältesten christlichen Jahrhunderte
und mit noch schärferem Nachdrucke die Zeugnisse der Bibel vorlegte, lehnte
er die göttliche Einsetzung des Papstthums ab. Das sprach er entschieden und
unzweideutig aus, daß er die in der Kirche des Mittelalters geglaubte Hoheit
des Papstthumes bestreiten und anzweifeln müsse. Derartiges aber war mit¬
unter schon gesagt und in den Streitschriften der conziliaren Schule wiederholt
schon erörtert worden.

Darauf brachte Eck endlich die Sache einen gewaltigen Schritt vorwärts;
er warf ein, Luther's Behauptungen seien als hussitische Ketzerei vom Constanzer
Concile schon verworfen: also das große Bollwerk der antipäpstlichen Schule,
das mit dem Zauber der Unfehlbarkeit grade von den Gegnern des Papstes
umkleidete allgemeine Concil der Kirche hielt er Luther entgegen: das ist die
welthistorische Minute, in der zögernd und zaghaft von Luther's Lippen die
Worte sich lösten "unter den vom Concile verworfenen Sätzen des Huß seien
manche sehr christliche und evangelische". "Ehrwürdiger Vater, erwiderte Eck,
wenn Ihr glaubt ein rechtmäßig versammeltes Concil der Kirche könne irren,
so seid Ihr mir wie ein Heide und Zöllner" -- und der Herzog von Sachsen,
der zuhörte, soll mit lauter durch den ganzen Saal ertönender Stimme ge¬
rufen haben "das walt die Sucht".

Derselbe Gedanke wurde von Eck und Luther noch mehrmals gestreift;
Luther trat auch wieder einige Schritte zurück von dem eingenommenen Stand¬
punkte. Aber das half ihm jetzt nichts mehr. Er hatte den Rubicon über-
schritten; er hatte die Unfehlbarkeit der Concile geläugnet; er hatte damit
die principiellen Fundamente des mittelalterlichen Kirchenthums untergraben,
der großen Heilsanstalt des Mittelalters principiell abgesagt.

Und wenn er in Leipzig, gleichsam selbst vor seinem neuen Gedanken er¬
schreckt, ihn noch nicht siegesgewiß und noch nicht mit vollem Bewußtsein der
Consequenzen ausgesprochen -- sehr bald entwickelte er in reicher und herr¬
licher literarischer Thätigkeit seine principielle Bedeutung. Die Tradition und
die Autorität der mittelalterlichen Kirche erkannte er jetzt nicht mehr als ma߬
gebende Quellen der Heilslehre an; allein aus die Bibel wollte er sich stützen.
Und die aus der Bibel erleuchtete Einsicht eines einzelnen frommen Christen
war ihm von größerem Gewichte als Lehrentscheidungen von Päpsten und
Concilien: "ich will frei sein" rief er aus, und durch keine Autorität, weder
des Conciles noch der Universitäten noch des Papstes, gebunden werden: "ich


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lichen Autorität. In der ganzen Tage lang währenden Discussion Eck's mit
Karlstadt und Eck's mit Luther, in welcher vielerlei Themata abgehandelt
wurden, concentrirt sich das historische Interesse auf das Wortgefecht des
5. Juli über Papst und Kirche, das zu überraschenden Erklärungen hinführte.
Man stritt mit historischen Argumenten über Alter und Natur der päpstlichen
Macht; — indem Luther die Aussagen der ältesten christlichen Jahrhunderte
und mit noch schärferem Nachdrucke die Zeugnisse der Bibel vorlegte, lehnte
er die göttliche Einsetzung des Papstthums ab. Das sprach er entschieden und
unzweideutig aus, daß er die in der Kirche des Mittelalters geglaubte Hoheit
des Papstthumes bestreiten und anzweifeln müsse. Derartiges aber war mit¬
unter schon gesagt und in den Streitschriften der conziliaren Schule wiederholt
schon erörtert worden.

Darauf brachte Eck endlich die Sache einen gewaltigen Schritt vorwärts;
er warf ein, Luther's Behauptungen seien als hussitische Ketzerei vom Constanzer
Concile schon verworfen: also das große Bollwerk der antipäpstlichen Schule,
das mit dem Zauber der Unfehlbarkeit grade von den Gegnern des Papstes
umkleidete allgemeine Concil der Kirche hielt er Luther entgegen: das ist die
welthistorische Minute, in der zögernd und zaghaft von Luther's Lippen die
Worte sich lösten „unter den vom Concile verworfenen Sätzen des Huß seien
manche sehr christliche und evangelische". „Ehrwürdiger Vater, erwiderte Eck,
wenn Ihr glaubt ein rechtmäßig versammeltes Concil der Kirche könne irren,
so seid Ihr mir wie ein Heide und Zöllner" — und der Herzog von Sachsen,
der zuhörte, soll mit lauter durch den ganzen Saal ertönender Stimme ge¬
rufen haben „das walt die Sucht".

Derselbe Gedanke wurde von Eck und Luther noch mehrmals gestreift;
Luther trat auch wieder einige Schritte zurück von dem eingenommenen Stand¬
punkte. Aber das half ihm jetzt nichts mehr. Er hatte den Rubicon über-
schritten; er hatte die Unfehlbarkeit der Concile geläugnet; er hatte damit
die principiellen Fundamente des mittelalterlichen Kirchenthums untergraben,
der großen Heilsanstalt des Mittelalters principiell abgesagt.

Und wenn er in Leipzig, gleichsam selbst vor seinem neuen Gedanken er¬
schreckt, ihn noch nicht siegesgewiß und noch nicht mit vollem Bewußtsein der
Consequenzen ausgesprochen — sehr bald entwickelte er in reicher und herr¬
licher literarischer Thätigkeit seine principielle Bedeutung. Die Tradition und
die Autorität der mittelalterlichen Kirche erkannte er jetzt nicht mehr als ma߬
gebende Quellen der Heilslehre an; allein aus die Bibel wollte er sich stützen.
Und die aus der Bibel erleuchtete Einsicht eines einzelnen frommen Christen
war ihm von größerem Gewichte als Lehrentscheidungen von Päpsten und
Concilien: „ich will frei sein" rief er aus, und durch keine Autorität, weder
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[0372] 364 lichen Autorität. In der ganzen Tage lang währenden Discussion Eck's mit Karlstadt und Eck's mit Luther, in welcher vielerlei Themata abgehandelt wurden, concentrirt sich das historische Interesse auf das Wortgefecht des 5. Juli über Papst und Kirche, das zu überraschenden Erklärungen hinführte. Man stritt mit historischen Argumenten über Alter und Natur der päpstlichen Macht; — indem Luther die Aussagen der ältesten christlichen Jahrhunderte und mit noch schärferem Nachdrucke die Zeugnisse der Bibel vorlegte, lehnte er die göttliche Einsetzung des Papstthums ab. Das sprach er entschieden und unzweideutig aus, daß er die in der Kirche des Mittelalters geglaubte Hoheit des Papstthumes bestreiten und anzweifeln müsse. Derartiges aber war mit¬ unter schon gesagt und in den Streitschriften der conziliaren Schule wiederholt schon erörtert worden. Darauf brachte Eck endlich die Sache einen gewaltigen Schritt vorwärts; er warf ein, Luther's Behauptungen seien als hussitische Ketzerei vom Constanzer Concile schon verworfen: also das große Bollwerk der antipäpstlichen Schule, das mit dem Zauber der Unfehlbarkeit grade von den Gegnern des Papstes umkleidete allgemeine Concil der Kirche hielt er Luther entgegen: das ist die welthistorische Minute, in der zögernd und zaghaft von Luther's Lippen die Worte sich lösten „unter den vom Concile verworfenen Sätzen des Huß seien manche sehr christliche und evangelische". „Ehrwürdiger Vater, erwiderte Eck, wenn Ihr glaubt ein rechtmäßig versammeltes Concil der Kirche könne irren, so seid Ihr mir wie ein Heide und Zöllner" — und der Herzog von Sachsen, der zuhörte, soll mit lauter durch den ganzen Saal ertönender Stimme ge¬ rufen haben „das walt die Sucht". Derselbe Gedanke wurde von Eck und Luther noch mehrmals gestreift; Luther trat auch wieder einige Schritte zurück von dem eingenommenen Stand¬ punkte. Aber das half ihm jetzt nichts mehr. Er hatte den Rubicon über- schritten; er hatte die Unfehlbarkeit der Concile geläugnet; er hatte damit die principiellen Fundamente des mittelalterlichen Kirchenthums untergraben, der großen Heilsanstalt des Mittelalters principiell abgesagt. Und wenn er in Leipzig, gleichsam selbst vor seinem neuen Gedanken er¬ schreckt, ihn noch nicht siegesgewiß und noch nicht mit vollem Bewußtsein der Consequenzen ausgesprochen — sehr bald entwickelte er in reicher und herr¬ licher literarischer Thätigkeit seine principielle Bedeutung. Die Tradition und die Autorität der mittelalterlichen Kirche erkannte er jetzt nicht mehr als ma߬ gebende Quellen der Heilslehre an; allein aus die Bibel wollte er sich stützen. Und die aus der Bibel erleuchtete Einsicht eines einzelnen frommen Christen war ihm von größerem Gewichte als Lehrentscheidungen von Päpsten und Concilien: „ich will frei sein" rief er aus, und durch keine Autorität, weder des Conciles noch der Universitäten noch des Papstes, gebunden werden: „ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/372>, abgerufen am 03.07.2024.