Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

für mich allein kann eine Autorität aufweisen, die besser ist
als ein Concil" -- mit vollem und kräftigem Ausdrucke legte er diese aus
innigster Religiosität geschöpften Ueberzeugungen dar.

Mit solchen Schriften gewann er sich Beifall und Unterstützung in weiten
Kreisen seiner Nation. Aus seinen theologischen Umgebungen und Gewohn¬
heiten trat er damit hinaus in die Reihen der Streiter wider Rom.

Die That des Einzelnen erreicht nur dann ihre volle Wirkung, wenn
die Zeit reif ist sie aufzunehmen und zu verbreiten. Das sind die großen
Führer der Weltgeschichte, die das Wort aussprechen, das im Herzen Vieler
zum Durchbruch gelangen kann. Das sind die großen Thaten und die Wen¬
depunkte der Weltgeschichte, welche vom rechten Mann und zur rechten Zeit
vollzogen werden.

Damals war in der That die Stimmung der deutschen Nation reif zum
Abfall von Rom. Die ungeheuere Wirkung, die Luther mit seinen Schriften
nach der Leipziger Disputation 1ö19 --1S2t hervorrief, erklärt sich aus der
wohl vorbereiteten öffentlichen Meinung der gebildeten Kreise in Deutschland.
Wiederholt war auf den deutschen Reichstagen über die Beschwerden der deut¬
schen Nation gegen Rom gehandelt worden; wiederholt war die Nothwendig¬
keit erklärt, in den Beziehungen der deutschen Gebiete zur Centralstelle der
Kirchenregierung Aenderungen zu schaffen, wiederholt waren schon Conflicte
vorgekommen zwischen der aufstrebenden Wissenschaft der Humanisten und den
Versuchen der Kirchenmänner, das freiere Wort der Aufklärung und Polemik
zu bannen. Schon seit Jahren war es dem umsichtigen und verständigen
Beobachter deutscher Dinge, dessen Wünsche auf Erhaltung und Besserung der
überlieferten Kirche ausgingen, zu voller Klarheit geworden, daß in Deutsch¬
land sich ein gewaltiger Sturm gegen das Papstthum erheben würde, sobald
sich erst Einer gefunden, der die Führung der Opposition übernehmen könnte.

Der Wittenberger Theologe war der Mann, der für diese Aufgabe geeignet.

Bisher hatte Luther der Humanistenwelt fremd gegenüber gestanden.
Reuchlin und Erasmus und Hütten und Crotus und die ganze Schaar der
kleinen humanistischen Propheten waren ihm antipathische Naturen gewesen.
Jetzt suchte er Beziehungen zu ihnen zu gewinnen.

Man kann von Erasmus nicht sagen, daß er den Annäherungsversuch
Luther's besonders eifrig aufgenommen habe. Ich berührte schon die reforma¬
torischen Gedanken des Erasmus: er wollte durch die Aufklärung wissenschaft¬
licher Cultur und Bildung die Kirche von ihren Schäden reinigen und eine
wissenschaftliche Reformation ihr verschaffen; nichts lag seinen Absichten ferner
als ihre Grundlagen anzugreifen oder ihr ganzes Princip in Frage zu stellen.
So hatte er keinen Gefallen an Luther's Radicalismus. Wohl gab es in
Luther's Schriften und Worten manches, dem auch Erasmus zustimmte; wohl


für mich allein kann eine Autorität aufweisen, die besser ist
als ein Concil" — mit vollem und kräftigem Ausdrucke legte er diese aus
innigster Religiosität geschöpften Ueberzeugungen dar.

Mit solchen Schriften gewann er sich Beifall und Unterstützung in weiten
Kreisen seiner Nation. Aus seinen theologischen Umgebungen und Gewohn¬
heiten trat er damit hinaus in die Reihen der Streiter wider Rom.

Die That des Einzelnen erreicht nur dann ihre volle Wirkung, wenn
die Zeit reif ist sie aufzunehmen und zu verbreiten. Das sind die großen
Führer der Weltgeschichte, die das Wort aussprechen, das im Herzen Vieler
zum Durchbruch gelangen kann. Das sind die großen Thaten und die Wen¬
depunkte der Weltgeschichte, welche vom rechten Mann und zur rechten Zeit
vollzogen werden.

Damals war in der That die Stimmung der deutschen Nation reif zum
Abfall von Rom. Die ungeheuere Wirkung, die Luther mit seinen Schriften
nach der Leipziger Disputation 1ö19 —1S2t hervorrief, erklärt sich aus der
wohl vorbereiteten öffentlichen Meinung der gebildeten Kreise in Deutschland.
Wiederholt war auf den deutschen Reichstagen über die Beschwerden der deut¬
schen Nation gegen Rom gehandelt worden; wiederholt war die Nothwendig¬
keit erklärt, in den Beziehungen der deutschen Gebiete zur Centralstelle der
Kirchenregierung Aenderungen zu schaffen, wiederholt waren schon Conflicte
vorgekommen zwischen der aufstrebenden Wissenschaft der Humanisten und den
Versuchen der Kirchenmänner, das freiere Wort der Aufklärung und Polemik
zu bannen. Schon seit Jahren war es dem umsichtigen und verständigen
Beobachter deutscher Dinge, dessen Wünsche auf Erhaltung und Besserung der
überlieferten Kirche ausgingen, zu voller Klarheit geworden, daß in Deutsch¬
land sich ein gewaltiger Sturm gegen das Papstthum erheben würde, sobald
sich erst Einer gefunden, der die Führung der Opposition übernehmen könnte.

Der Wittenberger Theologe war der Mann, der für diese Aufgabe geeignet.

Bisher hatte Luther der Humanistenwelt fremd gegenüber gestanden.
Reuchlin und Erasmus und Hütten und Crotus und die ganze Schaar der
kleinen humanistischen Propheten waren ihm antipathische Naturen gewesen.
Jetzt suchte er Beziehungen zu ihnen zu gewinnen.

Man kann von Erasmus nicht sagen, daß er den Annäherungsversuch
Luther's besonders eifrig aufgenommen habe. Ich berührte schon die reforma¬
torischen Gedanken des Erasmus: er wollte durch die Aufklärung wissenschaft¬
licher Cultur und Bildung die Kirche von ihren Schäden reinigen und eine
wissenschaftliche Reformation ihr verschaffen; nichts lag seinen Absichten ferner
als ihre Grundlagen anzugreifen oder ihr ganzes Princip in Frage zu stellen.
So hatte er keinen Gefallen an Luther's Radicalismus. Wohl gab es in
Luther's Schriften und Worten manches, dem auch Erasmus zustimmte; wohl


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0373" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133133"/>
          <p xml:id="ID_1328" prev="#ID_1327"> für mich allein kann eine Autorität aufweisen, die besser ist<lb/>
als ein Concil" &#x2014; mit vollem und kräftigem Ausdrucke legte er diese aus<lb/>
innigster Religiosität geschöpften Ueberzeugungen dar.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1329"> Mit solchen Schriften gewann er sich Beifall und Unterstützung in weiten<lb/>
Kreisen seiner Nation. Aus seinen theologischen Umgebungen und Gewohn¬<lb/>
heiten trat er damit hinaus in die Reihen der Streiter wider Rom.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1330"> Die That des Einzelnen erreicht nur dann ihre volle Wirkung, wenn<lb/>
die Zeit reif ist sie aufzunehmen und zu verbreiten. Das sind die großen<lb/>
Führer der Weltgeschichte, die das Wort aussprechen, das im Herzen Vieler<lb/>
zum Durchbruch gelangen kann. Das sind die großen Thaten und die Wen¬<lb/>
depunkte der Weltgeschichte, welche vom rechten Mann und zur rechten Zeit<lb/>
vollzogen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1331"> Damals war in der That die Stimmung der deutschen Nation reif zum<lb/>
Abfall von Rom. Die ungeheuere Wirkung, die Luther mit seinen Schriften<lb/>
nach der Leipziger Disputation 1ö19 &#x2014;1S2t hervorrief, erklärt sich aus der<lb/>
wohl vorbereiteten öffentlichen Meinung der gebildeten Kreise in Deutschland.<lb/>
Wiederholt war auf den deutschen Reichstagen über die Beschwerden der deut¬<lb/>
schen Nation gegen Rom gehandelt worden; wiederholt war die Nothwendig¬<lb/>
keit erklärt, in den Beziehungen der deutschen Gebiete zur Centralstelle der<lb/>
Kirchenregierung Aenderungen zu schaffen, wiederholt waren schon Conflicte<lb/>
vorgekommen zwischen der aufstrebenden Wissenschaft der Humanisten und den<lb/>
Versuchen der Kirchenmänner, das freiere Wort der Aufklärung und Polemik<lb/>
zu bannen. Schon seit Jahren war es dem umsichtigen und verständigen<lb/>
Beobachter deutscher Dinge, dessen Wünsche auf Erhaltung und Besserung der<lb/>
überlieferten Kirche ausgingen, zu voller Klarheit geworden, daß in Deutsch¬<lb/>
land sich ein gewaltiger Sturm gegen das Papstthum erheben würde, sobald<lb/>
sich erst Einer gefunden, der die Führung der Opposition übernehmen könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1332"> Der Wittenberger Theologe war der Mann, der für diese Aufgabe geeignet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1333"> Bisher hatte Luther der Humanistenwelt fremd gegenüber gestanden.<lb/>
Reuchlin und Erasmus und Hütten und Crotus und die ganze Schaar der<lb/>
kleinen humanistischen Propheten waren ihm antipathische Naturen gewesen.<lb/>
Jetzt suchte er Beziehungen zu ihnen zu gewinnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1334" next="#ID_1335"> Man kann von Erasmus nicht sagen, daß er den Annäherungsversuch<lb/>
Luther's besonders eifrig aufgenommen habe. Ich berührte schon die reforma¬<lb/>
torischen Gedanken des Erasmus: er wollte durch die Aufklärung wissenschaft¬<lb/>
licher Cultur und Bildung die Kirche von ihren Schäden reinigen und eine<lb/>
wissenschaftliche Reformation ihr verschaffen; nichts lag seinen Absichten ferner<lb/>
als ihre Grundlagen anzugreifen oder ihr ganzes Princip in Frage zu stellen.<lb/>
So hatte er keinen Gefallen an Luther's Radicalismus. Wohl gab es in<lb/>
Luther's Schriften und Worten manches, dem auch Erasmus zustimmte; wohl</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0373] für mich allein kann eine Autorität aufweisen, die besser ist als ein Concil" — mit vollem und kräftigem Ausdrucke legte er diese aus innigster Religiosität geschöpften Ueberzeugungen dar. Mit solchen Schriften gewann er sich Beifall und Unterstützung in weiten Kreisen seiner Nation. Aus seinen theologischen Umgebungen und Gewohn¬ heiten trat er damit hinaus in die Reihen der Streiter wider Rom. Die That des Einzelnen erreicht nur dann ihre volle Wirkung, wenn die Zeit reif ist sie aufzunehmen und zu verbreiten. Das sind die großen Führer der Weltgeschichte, die das Wort aussprechen, das im Herzen Vieler zum Durchbruch gelangen kann. Das sind die großen Thaten und die Wen¬ depunkte der Weltgeschichte, welche vom rechten Mann und zur rechten Zeit vollzogen werden. Damals war in der That die Stimmung der deutschen Nation reif zum Abfall von Rom. Die ungeheuere Wirkung, die Luther mit seinen Schriften nach der Leipziger Disputation 1ö19 —1S2t hervorrief, erklärt sich aus der wohl vorbereiteten öffentlichen Meinung der gebildeten Kreise in Deutschland. Wiederholt war auf den deutschen Reichstagen über die Beschwerden der deut¬ schen Nation gegen Rom gehandelt worden; wiederholt war die Nothwendig¬ keit erklärt, in den Beziehungen der deutschen Gebiete zur Centralstelle der Kirchenregierung Aenderungen zu schaffen, wiederholt waren schon Conflicte vorgekommen zwischen der aufstrebenden Wissenschaft der Humanisten und den Versuchen der Kirchenmänner, das freiere Wort der Aufklärung und Polemik zu bannen. Schon seit Jahren war es dem umsichtigen und verständigen Beobachter deutscher Dinge, dessen Wünsche auf Erhaltung und Besserung der überlieferten Kirche ausgingen, zu voller Klarheit geworden, daß in Deutsch¬ land sich ein gewaltiger Sturm gegen das Papstthum erheben würde, sobald sich erst Einer gefunden, der die Führung der Opposition übernehmen könnte. Der Wittenberger Theologe war der Mann, der für diese Aufgabe geeignet. Bisher hatte Luther der Humanistenwelt fremd gegenüber gestanden. Reuchlin und Erasmus und Hütten und Crotus und die ganze Schaar der kleinen humanistischen Propheten waren ihm antipathische Naturen gewesen. Jetzt suchte er Beziehungen zu ihnen zu gewinnen. Man kann von Erasmus nicht sagen, daß er den Annäherungsversuch Luther's besonders eifrig aufgenommen habe. Ich berührte schon die reforma¬ torischen Gedanken des Erasmus: er wollte durch die Aufklärung wissenschaft¬ licher Cultur und Bildung die Kirche von ihren Schäden reinigen und eine wissenschaftliche Reformation ihr verschaffen; nichts lag seinen Absichten ferner als ihre Grundlagen anzugreifen oder ihr ganzes Princip in Frage zu stellen. So hatte er keinen Gefallen an Luther's Radicalismus. Wohl gab es in Luther's Schriften und Worten manches, dem auch Erasmus zustimmte; wohl

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/373
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/373>, abgerufen am 23.07.2024.