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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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keine zu große Bedeutung beilegen; es war nicht viel anders als ein theo¬
logischer Schulstreit, eine Fehde unter Theologen, wie sie damals, häufig vor¬
kamen und niemals ganz von der Tagesordnung verschwinden.

Als der literarische Kampf sich ausdehnte, wurden von höherer Stelle
Versuche gemacht ihn beizulegen oder wenigstens Stillschweigen zu erzielen;
und anfangs 1319 durfte die Aufregung interessirter Kreise nahezu als be¬
schwichtigt gelten. Die kirchliche Autorität hatte inzwischen Luther's Ansicht
verworfen, Luther aber zuerst an den Papst und dann an ein Concil appellirt.

Im Streite selbst waren allerdings hier und da in Luther vereinzelte
neue Gedanken und Ideen wachgerufen; sie waren ihm gekommen, ohne daß
er sie festhielt. Von Seiten seiner Gegner war -- man sieht nicht recht, ob
allein aus blindem Eifer oder auch vielleicht, um dem naiven Gegner einen
Fallstrick zu legen -- der Einwurf ihm gemacht, daß seine Polemik wider den
Ablaß die Autorität des Papstes verletze, ein Satz gegen den Luther sich mit
Leidenschaft und Heftigkeit immer wieder und wieder verwahrte. Doch veran¬
laßte diese von gegnerischer Seite in die Discussion hineingezogene Frage bei
Luther eifriges Studium der einschlagenden Literatur: mehr und mehr gingen
ihm nun die Augen auf über die historischen und biblischen Grundlagen,
auf welche die mittelalterliche Kirche die Papstmacht gestützt: in die heftigsten
Zweifel und Scrupel sah er sich hineingeworfen; zur Klarheit der Ueber¬
zeugung zu gelangen wurde ihm schwer. Und es dauerte geraume Zeit, bis
er sich hindurchgearbeitet hatte durch alle die Anschauungen und Vorstellungen,
in welchen er groß geworden war. Unter den heftigsten Kämpfen stieg in
selner Seele das neue Princip empor, das die mittelalterliche Kirche ins Herz
hinein traf.

Und ohne einen äußeren Anstoß, wer kann sagen ob es jemals das Licht
des Tages erblickt?

Die großen Entscheidungen der Weltgeschichte sind Eingebungen des
Momentes; wie in plötzlicher Inspiration erfaßt, treten die Ideen auf, welche
die Weltgeschichte bewegen. Was lange in der Seele verborgen gelegen, was
im Geiste hin und her bewegt worden, ohne eine Gestalt finden und ergreifen
M können: in einem einzigen Augenblicke, mit urplötzlicher Gewalt und Wir¬
kung verdichtet es sich zur That. Die Losung zu einer welthistorischen Revo¬
lution wird in plötzlich aufblitzenden Impulse des Geistes concipirt.

Mit einem seiner Gegner, mit Eck, hatte Luther Anfangs Juli 1619 in
Leipzig eine Disputation zu bestehen, ein gelehrtes Turnier vor Zeugen, in
welchem die entgegengesetzten Ansichten durch das Gewicht ihrer Gründe mit
Rede und Gegenrede einander zu überwinden sich vorsetzten. Hier war es
Eck's unbestreitbares Verdienst, von allen Nebenfragen frei die Hauptsache
zur Entscheidung zu stellen, das Verhalten Luther's zur kirchlichen und Papst-


keine zu große Bedeutung beilegen; es war nicht viel anders als ein theo¬
logischer Schulstreit, eine Fehde unter Theologen, wie sie damals, häufig vor¬
kamen und niemals ganz von der Tagesordnung verschwinden.

Als der literarische Kampf sich ausdehnte, wurden von höherer Stelle
Versuche gemacht ihn beizulegen oder wenigstens Stillschweigen zu erzielen;
und anfangs 1319 durfte die Aufregung interessirter Kreise nahezu als be¬
schwichtigt gelten. Die kirchliche Autorität hatte inzwischen Luther's Ansicht
verworfen, Luther aber zuerst an den Papst und dann an ein Concil appellirt.

Im Streite selbst waren allerdings hier und da in Luther vereinzelte
neue Gedanken und Ideen wachgerufen; sie waren ihm gekommen, ohne daß
er sie festhielt. Von Seiten seiner Gegner war — man sieht nicht recht, ob
allein aus blindem Eifer oder auch vielleicht, um dem naiven Gegner einen
Fallstrick zu legen — der Einwurf ihm gemacht, daß seine Polemik wider den
Ablaß die Autorität des Papstes verletze, ein Satz gegen den Luther sich mit
Leidenschaft und Heftigkeit immer wieder und wieder verwahrte. Doch veran¬
laßte diese von gegnerischer Seite in die Discussion hineingezogene Frage bei
Luther eifriges Studium der einschlagenden Literatur: mehr und mehr gingen
ihm nun die Augen auf über die historischen und biblischen Grundlagen,
auf welche die mittelalterliche Kirche die Papstmacht gestützt: in die heftigsten
Zweifel und Scrupel sah er sich hineingeworfen; zur Klarheit der Ueber¬
zeugung zu gelangen wurde ihm schwer. Und es dauerte geraume Zeit, bis
er sich hindurchgearbeitet hatte durch alle die Anschauungen und Vorstellungen,
in welchen er groß geworden war. Unter den heftigsten Kämpfen stieg in
selner Seele das neue Princip empor, das die mittelalterliche Kirche ins Herz
hinein traf.

Und ohne einen äußeren Anstoß, wer kann sagen ob es jemals das Licht
des Tages erblickt?

Die großen Entscheidungen der Weltgeschichte sind Eingebungen des
Momentes; wie in plötzlicher Inspiration erfaßt, treten die Ideen auf, welche
die Weltgeschichte bewegen. Was lange in der Seele verborgen gelegen, was
im Geiste hin und her bewegt worden, ohne eine Gestalt finden und ergreifen
M können: in einem einzigen Augenblicke, mit urplötzlicher Gewalt und Wir¬
kung verdichtet es sich zur That. Die Losung zu einer welthistorischen Revo¬
lution wird in plötzlich aufblitzenden Impulse des Geistes concipirt.

Mit einem seiner Gegner, mit Eck, hatte Luther Anfangs Juli 1619 in
Leipzig eine Disputation zu bestehen, ein gelehrtes Turnier vor Zeugen, in
welchem die entgegengesetzten Ansichten durch das Gewicht ihrer Gründe mit
Rede und Gegenrede einander zu überwinden sich vorsetzten. Hier war es
Eck's unbestreitbares Verdienst, von allen Nebenfragen frei die Hauptsache
zur Entscheidung zu stellen, das Verhalten Luther's zur kirchlichen und Papst-


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[0371] keine zu große Bedeutung beilegen; es war nicht viel anders als ein theo¬ logischer Schulstreit, eine Fehde unter Theologen, wie sie damals, häufig vor¬ kamen und niemals ganz von der Tagesordnung verschwinden. Als der literarische Kampf sich ausdehnte, wurden von höherer Stelle Versuche gemacht ihn beizulegen oder wenigstens Stillschweigen zu erzielen; und anfangs 1319 durfte die Aufregung interessirter Kreise nahezu als be¬ schwichtigt gelten. Die kirchliche Autorität hatte inzwischen Luther's Ansicht verworfen, Luther aber zuerst an den Papst und dann an ein Concil appellirt. Im Streite selbst waren allerdings hier und da in Luther vereinzelte neue Gedanken und Ideen wachgerufen; sie waren ihm gekommen, ohne daß er sie festhielt. Von Seiten seiner Gegner war — man sieht nicht recht, ob allein aus blindem Eifer oder auch vielleicht, um dem naiven Gegner einen Fallstrick zu legen — der Einwurf ihm gemacht, daß seine Polemik wider den Ablaß die Autorität des Papstes verletze, ein Satz gegen den Luther sich mit Leidenschaft und Heftigkeit immer wieder und wieder verwahrte. Doch veran¬ laßte diese von gegnerischer Seite in die Discussion hineingezogene Frage bei Luther eifriges Studium der einschlagenden Literatur: mehr und mehr gingen ihm nun die Augen auf über die historischen und biblischen Grundlagen, auf welche die mittelalterliche Kirche die Papstmacht gestützt: in die heftigsten Zweifel und Scrupel sah er sich hineingeworfen; zur Klarheit der Ueber¬ zeugung zu gelangen wurde ihm schwer. Und es dauerte geraume Zeit, bis er sich hindurchgearbeitet hatte durch alle die Anschauungen und Vorstellungen, in welchen er groß geworden war. Unter den heftigsten Kämpfen stieg in selner Seele das neue Princip empor, das die mittelalterliche Kirche ins Herz hinein traf. Und ohne einen äußeren Anstoß, wer kann sagen ob es jemals das Licht des Tages erblickt? Die großen Entscheidungen der Weltgeschichte sind Eingebungen des Momentes; wie in plötzlicher Inspiration erfaßt, treten die Ideen auf, welche die Weltgeschichte bewegen. Was lange in der Seele verborgen gelegen, was im Geiste hin und her bewegt worden, ohne eine Gestalt finden und ergreifen M können: in einem einzigen Augenblicke, mit urplötzlicher Gewalt und Wir¬ kung verdichtet es sich zur That. Die Losung zu einer welthistorischen Revo¬ lution wird in plötzlich aufblitzenden Impulse des Geistes concipirt. Mit einem seiner Gegner, mit Eck, hatte Luther Anfangs Juli 1619 in Leipzig eine Disputation zu bestehen, ein gelehrtes Turnier vor Zeugen, in welchem die entgegengesetzten Ansichten durch das Gewicht ihrer Gründe mit Rede und Gegenrede einander zu überwinden sich vorsetzten. Hier war es Eck's unbestreitbares Verdienst, von allen Nebenfragen frei die Hauptsache zur Entscheidung zu stellen, das Verhalten Luther's zur kirchlichen und Papst-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/371>, abgerufen am 03.07.2024.