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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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theologische Vorlesungen hielt. Früh hatte sich seine Seele den Regungen
der Frömmigkeit geöffnet; von den Schriften des Augustinus hatte er seine
Richtung empfangen. Wie schon vor ihm und neben ihm einzelne andere
Theologen des ausgehenden Mittelalters, so war auch Luther bestrebt, die
Theologie, der er diente, durch ächt religiöse Empfindungen und Ideen zu he¬
ben, die hergebrachten Formen des kirchlichen Lebens und die hergebrachten
Sätze der kirchlichen Lehre mit ursprünglicher Religiosität aufs neue zu erfüllen.
Bald war Luther in Wittenberg ein angesehener Lehrer, ein wirkungsreicher
Prediger, achtunggebietend durch seine ganze Persönlichkeit, durch die Energie
und Wahrhaftigkeit seines Charakters.

Lange Zeit lebte Luther durchaus im Gedankenkreis und in der Praxis der
Kirche, ein strenger, ernster, eifriger Augustinermönch. Lange Zeit war er
durchaus entfernt von jedem Gelüste einer Opposition zur Erscheinung der
Kirche: für den Augustinerorden ist er sogar mehrmals persönlich thätig
gewesen.

Es ist bekannt, daß im Auftrage seines Ordens Luther in Rom gewesen
ist. Wenn er selbst nun nachher im späteren Leben nach seinem Bruche mit
Rom auf die Eindrücke, die er in Rom von den Gräueln und Lastern der
Papstkirche empfangen habe, für den Umschwung seiner Gesinnung großes
Gewicht gelegt hat, so wird eine kritische Geschichtschreibung die allergrößten
Bedenken erheben, diesen späteren Angaben zu folgen: das gleichzeitige Ma¬
terial gestattet keinen weiteren Bericht über Luther's Nomreise, als daß er seine
Ausgaben in Rom in herkömmlicher Weise erfüllt, ohne daß sein Sinn in
Rom von der officiellen Kirche oder von dem Papstthums sich besonders ab¬
gestoßen gefühlt.

In seiner lehrenden und predigenden Wirksamkeit zu Wittenberg pflegte
er mit besonderer Energie die Nothwendigkeit eines innerlich religiösen Lebens
der Christen zu betonen. Als nun in diese seine Wirksamkeit die rohe und
unsittliche Ablaßpredigt Tetzel's einbrach, versuchte er die Schädigung, die seiner
religiösen Predigt durch jene marktschreierische Verbreitung ganz äußerlicher
Mittel drohen konnte, mit kräftigem Worte abzuwehren: er bekämpfte den
Mißbrauch, der mit dem Ablaß getrieben wurde. Freilich gerieth Luther 1517
durch sein Auftreten wider Tetzel in lebhaften Streit mit einigen anderen
Theologen, die für Tetzel aufstanden: er hatte eine ziemlich heftige dogmatische
Polemik zu bestehen. Doch enthielten Luther's Meinungsäußerungen damals
noch nichts weniger als einen Angriff auf Rom oder die Kirche; er kämpfte
wider einen einzelnen Mißbrauch an und hoffte selbst einflußreiche Theologen
auf seine Seite zu ziehen. Auch in diesen Schriften begegnet uns schon der
kräftige Brustton religiöser Innigkeit und Wärme, der für all sein Thun so
charakteristisch geworden: nichts destoweniger aber darf man dem Ablaßstreite


theologische Vorlesungen hielt. Früh hatte sich seine Seele den Regungen
der Frömmigkeit geöffnet; von den Schriften des Augustinus hatte er seine
Richtung empfangen. Wie schon vor ihm und neben ihm einzelne andere
Theologen des ausgehenden Mittelalters, so war auch Luther bestrebt, die
Theologie, der er diente, durch ächt religiöse Empfindungen und Ideen zu he¬
ben, die hergebrachten Formen des kirchlichen Lebens und die hergebrachten
Sätze der kirchlichen Lehre mit ursprünglicher Religiosität aufs neue zu erfüllen.
Bald war Luther in Wittenberg ein angesehener Lehrer, ein wirkungsreicher
Prediger, achtunggebietend durch seine ganze Persönlichkeit, durch die Energie
und Wahrhaftigkeit seines Charakters.

Lange Zeit lebte Luther durchaus im Gedankenkreis und in der Praxis der
Kirche, ein strenger, ernster, eifriger Augustinermönch. Lange Zeit war er
durchaus entfernt von jedem Gelüste einer Opposition zur Erscheinung der
Kirche: für den Augustinerorden ist er sogar mehrmals persönlich thätig
gewesen.

Es ist bekannt, daß im Auftrage seines Ordens Luther in Rom gewesen
ist. Wenn er selbst nun nachher im späteren Leben nach seinem Bruche mit
Rom auf die Eindrücke, die er in Rom von den Gräueln und Lastern der
Papstkirche empfangen habe, für den Umschwung seiner Gesinnung großes
Gewicht gelegt hat, so wird eine kritische Geschichtschreibung die allergrößten
Bedenken erheben, diesen späteren Angaben zu folgen: das gleichzeitige Ma¬
terial gestattet keinen weiteren Bericht über Luther's Nomreise, als daß er seine
Ausgaben in Rom in herkömmlicher Weise erfüllt, ohne daß sein Sinn in
Rom von der officiellen Kirche oder von dem Papstthums sich besonders ab¬
gestoßen gefühlt.

In seiner lehrenden und predigenden Wirksamkeit zu Wittenberg pflegte
er mit besonderer Energie die Nothwendigkeit eines innerlich religiösen Lebens
der Christen zu betonen. Als nun in diese seine Wirksamkeit die rohe und
unsittliche Ablaßpredigt Tetzel's einbrach, versuchte er die Schädigung, die seiner
religiösen Predigt durch jene marktschreierische Verbreitung ganz äußerlicher
Mittel drohen konnte, mit kräftigem Worte abzuwehren: er bekämpfte den
Mißbrauch, der mit dem Ablaß getrieben wurde. Freilich gerieth Luther 1517
durch sein Auftreten wider Tetzel in lebhaften Streit mit einigen anderen
Theologen, die für Tetzel aufstanden: er hatte eine ziemlich heftige dogmatische
Polemik zu bestehen. Doch enthielten Luther's Meinungsäußerungen damals
noch nichts weniger als einen Angriff auf Rom oder die Kirche; er kämpfte
wider einen einzelnen Mißbrauch an und hoffte selbst einflußreiche Theologen
auf seine Seite zu ziehen. Auch in diesen Schriften begegnet uns schon der
kräftige Brustton religiöser Innigkeit und Wärme, der für all sein Thun so
charakteristisch geworden: nichts destoweniger aber darf man dem Ablaßstreite


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[0370] theologische Vorlesungen hielt. Früh hatte sich seine Seele den Regungen der Frömmigkeit geöffnet; von den Schriften des Augustinus hatte er seine Richtung empfangen. Wie schon vor ihm und neben ihm einzelne andere Theologen des ausgehenden Mittelalters, so war auch Luther bestrebt, die Theologie, der er diente, durch ächt religiöse Empfindungen und Ideen zu he¬ ben, die hergebrachten Formen des kirchlichen Lebens und die hergebrachten Sätze der kirchlichen Lehre mit ursprünglicher Religiosität aufs neue zu erfüllen. Bald war Luther in Wittenberg ein angesehener Lehrer, ein wirkungsreicher Prediger, achtunggebietend durch seine ganze Persönlichkeit, durch die Energie und Wahrhaftigkeit seines Charakters. Lange Zeit lebte Luther durchaus im Gedankenkreis und in der Praxis der Kirche, ein strenger, ernster, eifriger Augustinermönch. Lange Zeit war er durchaus entfernt von jedem Gelüste einer Opposition zur Erscheinung der Kirche: für den Augustinerorden ist er sogar mehrmals persönlich thätig gewesen. Es ist bekannt, daß im Auftrage seines Ordens Luther in Rom gewesen ist. Wenn er selbst nun nachher im späteren Leben nach seinem Bruche mit Rom auf die Eindrücke, die er in Rom von den Gräueln und Lastern der Papstkirche empfangen habe, für den Umschwung seiner Gesinnung großes Gewicht gelegt hat, so wird eine kritische Geschichtschreibung die allergrößten Bedenken erheben, diesen späteren Angaben zu folgen: das gleichzeitige Ma¬ terial gestattet keinen weiteren Bericht über Luther's Nomreise, als daß er seine Ausgaben in Rom in herkömmlicher Weise erfüllt, ohne daß sein Sinn in Rom von der officiellen Kirche oder von dem Papstthums sich besonders ab¬ gestoßen gefühlt. In seiner lehrenden und predigenden Wirksamkeit zu Wittenberg pflegte er mit besonderer Energie die Nothwendigkeit eines innerlich religiösen Lebens der Christen zu betonen. Als nun in diese seine Wirksamkeit die rohe und unsittliche Ablaßpredigt Tetzel's einbrach, versuchte er die Schädigung, die seiner religiösen Predigt durch jene marktschreierische Verbreitung ganz äußerlicher Mittel drohen konnte, mit kräftigem Worte abzuwehren: er bekämpfte den Mißbrauch, der mit dem Ablaß getrieben wurde. Freilich gerieth Luther 1517 durch sein Auftreten wider Tetzel in lebhaften Streit mit einigen anderen Theologen, die für Tetzel aufstanden: er hatte eine ziemlich heftige dogmatische Polemik zu bestehen. Doch enthielten Luther's Meinungsäußerungen damals noch nichts weniger als einen Angriff auf Rom oder die Kirche; er kämpfte wider einen einzelnen Mißbrauch an und hoffte selbst einflußreiche Theologen auf seine Seite zu ziehen. Auch in diesen Schriften begegnet uns schon der kräftige Brustton religiöser Innigkeit und Wärme, der für all sein Thun so charakteristisch geworden: nichts destoweniger aber darf man dem Ablaßstreite

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/370>, abgerufen am 01.07.2024.