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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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ist dieser Erfolg bedingt worden durch die Bundesgenossenschaft sehr entgegen¬
gesetzter Tendenzen. Für die großen Provinzen trat ein die romantisch-anti¬
staatliche Reaktion, geführt von dem Kronprinzen, nachmaligen König Friedrich
Wilhelm IV. Für dieselben Provinzen treit aber auch ein der Liberalismus,
für welchen die sogenannte Centralisation mehr und mehr ein Schreckgespenst
wurde. Friedrich Wilhelm IV. liebte den Gedanken, über einen Staat von
großen Gliedern zu herrschen. Seitdem er noch als Kronprinz den Gedanken
an eine allgemeine Landesvertretung bei seinem Vater, dem König Friedrich
Wilhelm III., beseitigt hatte, bedürfte man der großen Provinzen auch zu
dem Zweck, Provinzialstände möglich zu machen. Die Provinzialstände aber er¬
schienen unentbehrlich, um die allgemeine Landesvertretung überflüssig zu machen.

Wenn der Kronprinz in den Provinzen des künftig von ihm zu beherr¬
schenden Staates organische Glieder sah, so verhielt es sich damit genau so
wie mit den Ständen, welche als die Schöpfung des künftigen Königs zu
betrachten waren. Sowie diese angeblich uralten Stände eine gelehrte Er¬
findung im mittelalterlichen Costüme, so waren die angeblichen organischen
Glieder des Staats völlig künstlichen Ursprungs, in dem Grade, daß eine
mehr als fünfzigjährige Dauer und Gewohnheit in keiner einzigen Provinz
den künstlichen Ursprung bis heute hat verwischen können.

Trotz der Provinzialstände, welche den Bestand der großen Provinzen
verbürgen zu müssen schienen, unterlagen sie erneuerten Angriffen, weil sie
fortfuhren, der Verwaltung Schwierigkeiten zu bereiten. Nun aber erheben
Romantik und Liberalismus den gemeinsamen Angstschrei vor der französischen
Centralisation. Es hieß: "wenn unter dem Staatscentrum sogleich die Re¬
gierungsbezirke stehen sollen, so haben wir die französische Departementalver-
fassung. Dann muß anhoben Regierungspräsidenten nothwendig der fran¬
zösische Präfekt werden. Denn die Centralbehörden können nicht immer mit
Collegialbehörden verhandeln. Der provinzielle Oberpräsident ist nöthig, den
einheitlichen Einfluß der Centralbehörden aus die collegialischen Verwaltungs¬
behörden der Regierungsbezirke geltend zu machen und zu sichern. Wenn der
Oberpräsident wegfällt, wird das Collegialsystem bei den Bezirksregierungen
unhaltbar." So erhielt sich denn das wunderliche System am Leben, wo
man zwischen Centrum und Lokalverwaltung, welche letztere bei dem Kreis
beginnt, eine zerrissene Mittelinstanz hatte und den untern Theil der Mittel¬
instanz, was doch wenigstens richtiger bei dem oberen Theil hätte geschehen
müssen, collegialisch gestaltete, freilich auch das in inconsequenter Weise.

Die Opposition gegen dieses System war aber nie zu beschwichtigen, es
war viel zu unnatürlich. Als im Sommer 1848 David Hansemann erst
Finanzminister, darauf Finanzminister und faktischer Ministerpräsident war,
trug er sich alsbald mit dem Plane, die bestehende Provinzialeintheilung auf-


ist dieser Erfolg bedingt worden durch die Bundesgenossenschaft sehr entgegen¬
gesetzter Tendenzen. Für die großen Provinzen trat ein die romantisch-anti¬
staatliche Reaktion, geführt von dem Kronprinzen, nachmaligen König Friedrich
Wilhelm IV. Für dieselben Provinzen treit aber auch ein der Liberalismus,
für welchen die sogenannte Centralisation mehr und mehr ein Schreckgespenst
wurde. Friedrich Wilhelm IV. liebte den Gedanken, über einen Staat von
großen Gliedern zu herrschen. Seitdem er noch als Kronprinz den Gedanken
an eine allgemeine Landesvertretung bei seinem Vater, dem König Friedrich
Wilhelm III., beseitigt hatte, bedürfte man der großen Provinzen auch zu
dem Zweck, Provinzialstände möglich zu machen. Die Provinzialstände aber er¬
schienen unentbehrlich, um die allgemeine Landesvertretung überflüssig zu machen.

Wenn der Kronprinz in den Provinzen des künftig von ihm zu beherr¬
schenden Staates organische Glieder sah, so verhielt es sich damit genau so
wie mit den Ständen, welche als die Schöpfung des künftigen Königs zu
betrachten waren. Sowie diese angeblich uralten Stände eine gelehrte Er¬
findung im mittelalterlichen Costüme, so waren die angeblichen organischen
Glieder des Staats völlig künstlichen Ursprungs, in dem Grade, daß eine
mehr als fünfzigjährige Dauer und Gewohnheit in keiner einzigen Provinz
den künstlichen Ursprung bis heute hat verwischen können.

Trotz der Provinzialstände, welche den Bestand der großen Provinzen
verbürgen zu müssen schienen, unterlagen sie erneuerten Angriffen, weil sie
fortfuhren, der Verwaltung Schwierigkeiten zu bereiten. Nun aber erheben
Romantik und Liberalismus den gemeinsamen Angstschrei vor der französischen
Centralisation. Es hieß: „wenn unter dem Staatscentrum sogleich die Re¬
gierungsbezirke stehen sollen, so haben wir die französische Departementalver-
fassung. Dann muß anhoben Regierungspräsidenten nothwendig der fran¬
zösische Präfekt werden. Denn die Centralbehörden können nicht immer mit
Collegialbehörden verhandeln. Der provinzielle Oberpräsident ist nöthig, den
einheitlichen Einfluß der Centralbehörden aus die collegialischen Verwaltungs¬
behörden der Regierungsbezirke geltend zu machen und zu sichern. Wenn der
Oberpräsident wegfällt, wird das Collegialsystem bei den Bezirksregierungen
unhaltbar." So erhielt sich denn das wunderliche System am Leben, wo
man zwischen Centrum und Lokalverwaltung, welche letztere bei dem Kreis
beginnt, eine zerrissene Mittelinstanz hatte und den untern Theil der Mittel¬
instanz, was doch wenigstens richtiger bei dem oberen Theil hätte geschehen
müssen, collegialisch gestaltete, freilich auch das in inconsequenter Weise.

Die Opposition gegen dieses System war aber nie zu beschwichtigen, es
war viel zu unnatürlich. Als im Sommer 1848 David Hansemann erst
Finanzminister, darauf Finanzminister und faktischer Ministerpräsident war,
trug er sich alsbald mit dem Plane, die bestehende Provinzialeintheilung auf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/362>, abgerufen am 23.07.2024.