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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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zuHeben und aus die Regierungsbezirke das französische Präfektensystem zu
übertragen. Da Hansemann ein orthodoxer Anhänger der parlamentarischen
Regierung, d. h. der Uebertragung der Staatssouveränität auf die jeweilige
Kammermajorität war, so konnte seine Verwaltungsreform Nicht als liberal
gelten. Gleichwohl erhoben sich die alten Vertheidiger der großen Provinzen
stürmisch gegen Hansemann. Es hatten sich neue Gesichtspunkte für die Ver¬
theidigung gefunden. Man sagte jetzt: "der französische Constitutionalismus
mit centralisirter Verwaltung gebiert nur die Revolution. Zum wahren
Constitutionalismus gehört Autonomie, wie man damals, noch nicht von
Gneist belehrt, sagte, der Gemeinden, Provinzen u. s. w." Also wurden die
unglücklichen Provinzen wiederum gerettet, und als nach der Novemberkrists
der König wieder die volle Macht hatte, war an eine Beseitigung derselben
vollends nicht mehr zu denken. Es kam die Zeit, wo man am liebsten wieder
nur Provinzialstände gehabt hätte.

Während noch das deutsche Parlament in Frankfurt a. M. tagte, säete
Gervinus in seiner "Deutschen Zeitung" nach der Novemberkrisis zu Berlin
einen der verderblichsten Gedanken aus, welche die neuere deutsche Entwicklung
bedroht haben. Er construirte ein deutsches Reich aus sechszehn Bundes¬
staaten, von denen die acht preußischen Provinzen bei administrativer und
legislativer Autonomie nur durch Personalunion unter dem Kaiser verbunden
sein sollten. Der unbelehrbare Doktrinär hatte den Untergang des alten
Reichs vergessen, der erfolgt war, weil der Kaiser, wenn er zum Thron ge¬
langte, nicht einmal mehr über soviel straff organisirte Gewalt als einer seiner
Vasallen verfügte. Der unverständige Einfall ist aber zum Lieblingsgedanken
demokratischer und conservativer Partikularisten geworden und leider bis heute
nicht aus den deutschen Köpfen hinausgefegt.

Nach 1848 ist die Veränderung der Provinzialeintheilung in Preußen
selbst nicht wieder in Frage gekommen. Wir müssen es aber dem Minister
des Innern zum Vorwurf machen, daß er die Frage nicht schon wieder bei
den Annexionen von 1866 gestellt hat. Die entscheidende Gelegenheit zur
Wiederauswerfung und hoffentlich zur richtigen Beantwortung ist aber jetzt
mit der Verwaltungsreform gekommen. Wenn wir auch bei der jetzigen Ge¬
legenheit die schädliche Provinzialeintheilung zu beseitigen nicht die Einsicht
haben sollten, so müßte man an preußischer Staatskunst auf dem Felde der
Verwaltung verzweifeln.

Um aus der Allgemeinheit herauszukommen, machen wir einen Versuch,
der Discussion eine naturgemäße Provinzialeintheilung zu unterbreiten. Denn
allerdings befürworten auch wir nicht die Verwandlung der Regierungsbe¬
zirke in Departements. Vielmehr müssen mit den jetzigen Provinzen auch die
jetzigen Regierungsbezirke fallen. Das scheint umständlich, ohne es zu sein.


zuHeben und aus die Regierungsbezirke das französische Präfektensystem zu
übertragen. Da Hansemann ein orthodoxer Anhänger der parlamentarischen
Regierung, d. h. der Uebertragung der Staatssouveränität auf die jeweilige
Kammermajorität war, so konnte seine Verwaltungsreform Nicht als liberal
gelten. Gleichwohl erhoben sich die alten Vertheidiger der großen Provinzen
stürmisch gegen Hansemann. Es hatten sich neue Gesichtspunkte für die Ver¬
theidigung gefunden. Man sagte jetzt: „der französische Constitutionalismus
mit centralisirter Verwaltung gebiert nur die Revolution. Zum wahren
Constitutionalismus gehört Autonomie, wie man damals, noch nicht von
Gneist belehrt, sagte, der Gemeinden, Provinzen u. s. w." Also wurden die
unglücklichen Provinzen wiederum gerettet, und als nach der Novemberkrists
der König wieder die volle Macht hatte, war an eine Beseitigung derselben
vollends nicht mehr zu denken. Es kam die Zeit, wo man am liebsten wieder
nur Provinzialstände gehabt hätte.

Während noch das deutsche Parlament in Frankfurt a. M. tagte, säete
Gervinus in seiner „Deutschen Zeitung" nach der Novemberkrisis zu Berlin
einen der verderblichsten Gedanken aus, welche die neuere deutsche Entwicklung
bedroht haben. Er construirte ein deutsches Reich aus sechszehn Bundes¬
staaten, von denen die acht preußischen Provinzen bei administrativer und
legislativer Autonomie nur durch Personalunion unter dem Kaiser verbunden
sein sollten. Der unbelehrbare Doktrinär hatte den Untergang des alten
Reichs vergessen, der erfolgt war, weil der Kaiser, wenn er zum Thron ge¬
langte, nicht einmal mehr über soviel straff organisirte Gewalt als einer seiner
Vasallen verfügte. Der unverständige Einfall ist aber zum Lieblingsgedanken
demokratischer und conservativer Partikularisten geworden und leider bis heute
nicht aus den deutschen Köpfen hinausgefegt.

Nach 1848 ist die Veränderung der Provinzialeintheilung in Preußen
selbst nicht wieder in Frage gekommen. Wir müssen es aber dem Minister
des Innern zum Vorwurf machen, daß er die Frage nicht schon wieder bei
den Annexionen von 1866 gestellt hat. Die entscheidende Gelegenheit zur
Wiederauswerfung und hoffentlich zur richtigen Beantwortung ist aber jetzt
mit der Verwaltungsreform gekommen. Wenn wir auch bei der jetzigen Ge¬
legenheit die schädliche Provinzialeintheilung zu beseitigen nicht die Einsicht
haben sollten, so müßte man an preußischer Staatskunst auf dem Felde der
Verwaltung verzweifeln.

Um aus der Allgemeinheit herauszukommen, machen wir einen Versuch,
der Discussion eine naturgemäße Provinzialeintheilung zu unterbreiten. Denn
allerdings befürworten auch wir nicht die Verwandlung der Regierungsbe¬
zirke in Departements. Vielmehr müssen mit den jetzigen Provinzen auch die
jetzigen Regierungsbezirke fallen. Das scheint umständlich, ohne es zu sein.


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[0363] zuHeben und aus die Regierungsbezirke das französische Präfektensystem zu übertragen. Da Hansemann ein orthodoxer Anhänger der parlamentarischen Regierung, d. h. der Uebertragung der Staatssouveränität auf die jeweilige Kammermajorität war, so konnte seine Verwaltungsreform Nicht als liberal gelten. Gleichwohl erhoben sich die alten Vertheidiger der großen Provinzen stürmisch gegen Hansemann. Es hatten sich neue Gesichtspunkte für die Ver¬ theidigung gefunden. Man sagte jetzt: „der französische Constitutionalismus mit centralisirter Verwaltung gebiert nur die Revolution. Zum wahren Constitutionalismus gehört Autonomie, wie man damals, noch nicht von Gneist belehrt, sagte, der Gemeinden, Provinzen u. s. w." Also wurden die unglücklichen Provinzen wiederum gerettet, und als nach der Novemberkrists der König wieder die volle Macht hatte, war an eine Beseitigung derselben vollends nicht mehr zu denken. Es kam die Zeit, wo man am liebsten wieder nur Provinzialstände gehabt hätte. Während noch das deutsche Parlament in Frankfurt a. M. tagte, säete Gervinus in seiner „Deutschen Zeitung" nach der Novemberkrisis zu Berlin einen der verderblichsten Gedanken aus, welche die neuere deutsche Entwicklung bedroht haben. Er construirte ein deutsches Reich aus sechszehn Bundes¬ staaten, von denen die acht preußischen Provinzen bei administrativer und legislativer Autonomie nur durch Personalunion unter dem Kaiser verbunden sein sollten. Der unbelehrbare Doktrinär hatte den Untergang des alten Reichs vergessen, der erfolgt war, weil der Kaiser, wenn er zum Thron ge¬ langte, nicht einmal mehr über soviel straff organisirte Gewalt als einer seiner Vasallen verfügte. Der unverständige Einfall ist aber zum Lieblingsgedanken demokratischer und conservativer Partikularisten geworden und leider bis heute nicht aus den deutschen Köpfen hinausgefegt. Nach 1848 ist die Veränderung der Provinzialeintheilung in Preußen selbst nicht wieder in Frage gekommen. Wir müssen es aber dem Minister des Innern zum Vorwurf machen, daß er die Frage nicht schon wieder bei den Annexionen von 1866 gestellt hat. Die entscheidende Gelegenheit zur Wiederauswerfung und hoffentlich zur richtigen Beantwortung ist aber jetzt mit der Verwaltungsreform gekommen. Wenn wir auch bei der jetzigen Ge¬ legenheit die schädliche Provinzialeintheilung zu beseitigen nicht die Einsicht haben sollten, so müßte man an preußischer Staatskunst auf dem Felde der Verwaltung verzweifeln. Um aus der Allgemeinheit herauszukommen, machen wir einen Versuch, der Discussion eine naturgemäße Provinzialeintheilung zu unterbreiten. Denn allerdings befürworten auch wir nicht die Verwandlung der Regierungsbe¬ zirke in Departements. Vielmehr müssen mit den jetzigen Provinzen auch die jetzigen Regierungsbezirke fallen. Das scheint umständlich, ohne es zu sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/363>, abgerufen am 23.07.2024.