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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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humanistischer Literat und Anhänger der conciliaren Doctrinen -- ausdrücklich
die Forderung eines Conciles verboten; dennoch tauchte diese Idee immer
wieder auf: in Frankreich und in Deutschland kam sie auf den Reichstagen
oft zur Sprache: in den politischen Händeln der großen Mächte mit dem
Papste wurde das Schreckmittel eines Conciles und einer durch das Concil
zu erreichenden allgemeinen und gründlichen Reformation wiederholt hervor¬
gesucht; und diese Reformforderung wurde in der That von den verschiedensten
Stimmen und Richtungen unablässig wiederholt: es war ein Schlagwort, das
Beifall zu erwecken sicher war, eine Idee, an die, so lange sie so allgemein
hingestellt wurde, alle Welt glaubte -- eine Phrase, die, wenn man näher zu¬
sah, sehr verschiedenen Sinn haben konnte.

Was aber konnte damals mit diesem Neformverlcmgen erstrebt und welche
Aussichten des Erfolges konnten bei Neformversuchen ins Auge gefaßt werden?

Einmal, es konnte die Absicht sein, das was im Mittelalter zur Zufrieden¬
heit und zum Heile der Menschen bestanden hatte, ins Leben zurückzurufen.
Unmöglich war allerdings die Herstellung der vollen unbeschränkten Papst¬
macht Bonifaz' VIII. und seiner juristischen Nachfolger: die Staatsgewalten
waren so erstarkt und in solcher Machtsteigerung begriffen, daß sie nicht wohl
in den früheren Grad der Unterordnung vollständig zurückzubeugen waren.
Aber vorbehaltlich einer Vereinbarung zwischen dem Landesherrn und dem
Papste konnte ein Restaurationsversuch gutes versprechen, sobald er mit sitt¬
lichem Ernst und religiöser Hingebung unternommen wurde. Und diese Art
von Kirchenreformation ist am Ausgange des 15. Jahrhunderts in Spanien
durchgeführt worden.

Unter dem mächtigen Regiments der Könige Ferdinand und Jsabella,
vom italienischen Papste mit neutraler Minne zugelassen, feierte der mittel¬
alterliche Geist in der spanischen Kirche eine wirkliche Auferstehung und eine
neue Blüthezeit. Hier lebte in der That die mittelalterlich-christliche Religiosität
wieder auf. und den ganzen Apparat des Mittelalters stellte Ximenez wieder her.
Das Glaubensgericht der Inquisition fand eine umfassende Anwendung; reli¬
giöse Orden und begeisterte Heilige traten wieder auf. Kurz, eine Herstellung
des erschütterten Kirchenwesens fand hier in großem Maßstabe Statt.

Anders sah es aus bei den anderen Völkern. Von einem so mächtigen
und nachhaltigen Impulse mittelalterlicher Religiosität wie in Spanien war
anderwärts nichts zu sehen. Anderwärts zeigte sich vielmehr schon in den
weitesten Kreisen eine gewisse Entfremdung von kirchlichem Geiste, eine inner¬
liche Abwendung der Menschen von der Denkungsart des Mittelalters. Ander¬
wärts standen im Vordergrund des Interesses die Fragen, welche die Aus¬
einandersetzung des bürgerlichen und kirchlichen Rechtslebens betrafen, die
Ccintroversen zwischen der heimischen Verwaltung der Kirche und der absoluten
'


Grenzboten I. 18/5. 42

humanistischer Literat und Anhänger der conciliaren Doctrinen — ausdrücklich
die Forderung eines Conciles verboten; dennoch tauchte diese Idee immer
wieder auf: in Frankreich und in Deutschland kam sie auf den Reichstagen
oft zur Sprache: in den politischen Händeln der großen Mächte mit dem
Papste wurde das Schreckmittel eines Conciles und einer durch das Concil
zu erreichenden allgemeinen und gründlichen Reformation wiederholt hervor¬
gesucht; und diese Reformforderung wurde in der That von den verschiedensten
Stimmen und Richtungen unablässig wiederholt: es war ein Schlagwort, das
Beifall zu erwecken sicher war, eine Idee, an die, so lange sie so allgemein
hingestellt wurde, alle Welt glaubte — eine Phrase, die, wenn man näher zu¬
sah, sehr verschiedenen Sinn haben konnte.

Was aber konnte damals mit diesem Neformverlcmgen erstrebt und welche
Aussichten des Erfolges konnten bei Neformversuchen ins Auge gefaßt werden?

Einmal, es konnte die Absicht sein, das was im Mittelalter zur Zufrieden¬
heit und zum Heile der Menschen bestanden hatte, ins Leben zurückzurufen.
Unmöglich war allerdings die Herstellung der vollen unbeschränkten Papst¬
macht Bonifaz' VIII. und seiner juristischen Nachfolger: die Staatsgewalten
waren so erstarkt und in solcher Machtsteigerung begriffen, daß sie nicht wohl
in den früheren Grad der Unterordnung vollständig zurückzubeugen waren.
Aber vorbehaltlich einer Vereinbarung zwischen dem Landesherrn und dem
Papste konnte ein Restaurationsversuch gutes versprechen, sobald er mit sitt¬
lichem Ernst und religiöser Hingebung unternommen wurde. Und diese Art
von Kirchenreformation ist am Ausgange des 15. Jahrhunderts in Spanien
durchgeführt worden.

Unter dem mächtigen Regiments der Könige Ferdinand und Jsabella,
vom italienischen Papste mit neutraler Minne zugelassen, feierte der mittel¬
alterliche Geist in der spanischen Kirche eine wirkliche Auferstehung und eine
neue Blüthezeit. Hier lebte in der That die mittelalterlich-christliche Religiosität
wieder auf. und den ganzen Apparat des Mittelalters stellte Ximenez wieder her.
Das Glaubensgericht der Inquisition fand eine umfassende Anwendung; reli¬
giöse Orden und begeisterte Heilige traten wieder auf. Kurz, eine Herstellung
des erschütterten Kirchenwesens fand hier in großem Maßstabe Statt.

Anders sah es aus bei den anderen Völkern. Von einem so mächtigen
und nachhaltigen Impulse mittelalterlicher Religiosität wie in Spanien war
anderwärts nichts zu sehen. Anderwärts zeigte sich vielmehr schon in den
weitesten Kreisen eine gewisse Entfremdung von kirchlichem Geiste, eine inner¬
liche Abwendung der Menschen von der Denkungsart des Mittelalters. Ander¬
wärts standen im Vordergrund des Interesses die Fragen, welche die Aus¬
einandersetzung des bürgerlichen und kirchlichen Rechtslebens betrafen, die
Ccintroversen zwischen der heimischen Verwaltung der Kirche und der absoluten
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Grenzboten I. 18/5. 42
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[0337] humanistischer Literat und Anhänger der conciliaren Doctrinen — ausdrücklich die Forderung eines Conciles verboten; dennoch tauchte diese Idee immer wieder auf: in Frankreich und in Deutschland kam sie auf den Reichstagen oft zur Sprache: in den politischen Händeln der großen Mächte mit dem Papste wurde das Schreckmittel eines Conciles und einer durch das Concil zu erreichenden allgemeinen und gründlichen Reformation wiederholt hervor¬ gesucht; und diese Reformforderung wurde in der That von den verschiedensten Stimmen und Richtungen unablässig wiederholt: es war ein Schlagwort, das Beifall zu erwecken sicher war, eine Idee, an die, so lange sie so allgemein hingestellt wurde, alle Welt glaubte — eine Phrase, die, wenn man näher zu¬ sah, sehr verschiedenen Sinn haben konnte. Was aber konnte damals mit diesem Neformverlcmgen erstrebt und welche Aussichten des Erfolges konnten bei Neformversuchen ins Auge gefaßt werden? Einmal, es konnte die Absicht sein, das was im Mittelalter zur Zufrieden¬ heit und zum Heile der Menschen bestanden hatte, ins Leben zurückzurufen. Unmöglich war allerdings die Herstellung der vollen unbeschränkten Papst¬ macht Bonifaz' VIII. und seiner juristischen Nachfolger: die Staatsgewalten waren so erstarkt und in solcher Machtsteigerung begriffen, daß sie nicht wohl in den früheren Grad der Unterordnung vollständig zurückzubeugen waren. Aber vorbehaltlich einer Vereinbarung zwischen dem Landesherrn und dem Papste konnte ein Restaurationsversuch gutes versprechen, sobald er mit sitt¬ lichem Ernst und religiöser Hingebung unternommen wurde. Und diese Art von Kirchenreformation ist am Ausgange des 15. Jahrhunderts in Spanien durchgeführt worden. Unter dem mächtigen Regiments der Könige Ferdinand und Jsabella, vom italienischen Papste mit neutraler Minne zugelassen, feierte der mittel¬ alterliche Geist in der spanischen Kirche eine wirkliche Auferstehung und eine neue Blüthezeit. Hier lebte in der That die mittelalterlich-christliche Religiosität wieder auf. und den ganzen Apparat des Mittelalters stellte Ximenez wieder her. Das Glaubensgericht der Inquisition fand eine umfassende Anwendung; reli¬ giöse Orden und begeisterte Heilige traten wieder auf. Kurz, eine Herstellung des erschütterten Kirchenwesens fand hier in großem Maßstabe Statt. Anders sah es aus bei den anderen Völkern. Von einem so mächtigen und nachhaltigen Impulse mittelalterlicher Religiosität wie in Spanien war anderwärts nichts zu sehen. Anderwärts zeigte sich vielmehr schon in den weitesten Kreisen eine gewisse Entfremdung von kirchlichem Geiste, eine inner¬ liche Abwendung der Menschen von der Denkungsart des Mittelalters. Ander¬ wärts standen im Vordergrund des Interesses die Fragen, welche die Aus¬ einandersetzung des bürgerlichen und kirchlichen Rechtslebens betrafen, die Ccintroversen zwischen der heimischen Verwaltung der Kirche und der absoluten ' Grenzboten I. 18/5. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/337>, abgerufen am 23.07.2024.