Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht grade geistlichen Sinn oder priesterlichen Charakter an Alexander VI. oder
Julius II. oder Leo X., Clemens VII., Paul III. aufzudecken vermögen.

Indem nun diese Berweltlichung des römischen Papstthums aller Welt
offenkundig wurde, stellten dieselben Päpste auch die humanistische Wissen¬
schaft jener Tage unter ihren Schutz und in ihren Dienst: es war ja damals
das goldene Zeitalter des Humanismus schon angebrochen.

Es war damals jener großartige Umschwung der Wissenschaften und
Künste eingetreten, der von der Erneuerung der antiken Literatur und Kunst
ausgegangen ist. Aus dem Schlummer des Mittelalters ist der Geist wissen¬
schaftlichen Forschens und Denkens damals aufs neue erwacht; geboren aus
den Ueberlieferungen der Antike hat damals der Geist der Neuzeit zuerst
seine Schwingen geregt.

Und in Italien und am päpstlichen Hofe selbst reichte man den neuen
literarischen Bestrebungen förderlich die Hand. Daß sehr bald der Humanis¬
mus im offenen oder verdeckten Widerspruche zu den kirchlichen Einrichtungen
und Ideen und Lehrsätzen seine eigene Natur entfaltete, störte nicht die Freund¬
schaft der Kirchenfürsten und Humanisten; in der Praxis verstand man es
die Gegensätze zu vereinigen oder wenigstens nicht in Streit miteinander zu
bringen. Grade in den höchsten Spitzen der Kirche nahm der kirchliche Sinn
ab: Papst Leo X., der Typus dieses kirchlich-humanistischen Wesens, obwohl
seiner kirchlichen Stellung nach absoluter Herr der christlichen Kirche, war in
seinem persönlichen Wesen ein vollendeter Heide, --- allerdings ein sehr gebildeter
Heide, der im Priesterkleide keine Bedenken empfand als unfehlbarer Richter
über Glauben und Leben der europäischen Menschheit zu entscheiden.

Auch in Deutschland hatte der Humanismus sich Jünger erworben. Hier
verwuchs er sehr bald und sehr innig mit den Gefühlen eines nationalen
Patriotismus der Deutschen. Nirgendwo waren die Eingriffe der päpstlichen
Regierungsmethode so hart und so übel empfunden worden als grade in
Deutschland: von heftigen Klagen und Beschwerden sind die deutschen Reichs¬
tagsverhandlungen des 13. Jahrhunderts angefüllt. Man hatte wiederholt
versucht die Aussaugung Deutschlands durch die Italiener -- in dieser Form
faßte man das Verhältniß auf -- abzuwehren oder einzudämmen. Und diese
Stimmung der deutschen Nation gelangte nun vorwiegend in den Schriften
der deutschen Humanisten zum Ausdruck. Feindseligkeit gegen die Herrschaft
des ausländischen Priesterfürsten ist die Stimmung, aus der heraus die deut¬
schen Humanisten die Reformation der Kirche stürmisch und immer stürmischer
forderten.

Dieser Ruf nach Reformation der Kirche war keineswegs im 15. Jahr¬
hundert verstummt. Nach dem Scheitern der conciliaren Bewegung hatte
zwar Papst Pius II. -- er selbst als Enea Silvio in früheren Jahren ein


nicht grade geistlichen Sinn oder priesterlichen Charakter an Alexander VI. oder
Julius II. oder Leo X., Clemens VII., Paul III. aufzudecken vermögen.

Indem nun diese Berweltlichung des römischen Papstthums aller Welt
offenkundig wurde, stellten dieselben Päpste auch die humanistische Wissen¬
schaft jener Tage unter ihren Schutz und in ihren Dienst: es war ja damals
das goldene Zeitalter des Humanismus schon angebrochen.

Es war damals jener großartige Umschwung der Wissenschaften und
Künste eingetreten, der von der Erneuerung der antiken Literatur und Kunst
ausgegangen ist. Aus dem Schlummer des Mittelalters ist der Geist wissen¬
schaftlichen Forschens und Denkens damals aufs neue erwacht; geboren aus
den Ueberlieferungen der Antike hat damals der Geist der Neuzeit zuerst
seine Schwingen geregt.

Und in Italien und am päpstlichen Hofe selbst reichte man den neuen
literarischen Bestrebungen förderlich die Hand. Daß sehr bald der Humanis¬
mus im offenen oder verdeckten Widerspruche zu den kirchlichen Einrichtungen
und Ideen und Lehrsätzen seine eigene Natur entfaltete, störte nicht die Freund¬
schaft der Kirchenfürsten und Humanisten; in der Praxis verstand man es
die Gegensätze zu vereinigen oder wenigstens nicht in Streit miteinander zu
bringen. Grade in den höchsten Spitzen der Kirche nahm der kirchliche Sinn
ab: Papst Leo X., der Typus dieses kirchlich-humanistischen Wesens, obwohl
seiner kirchlichen Stellung nach absoluter Herr der christlichen Kirche, war in
seinem persönlichen Wesen ein vollendeter Heide, —- allerdings ein sehr gebildeter
Heide, der im Priesterkleide keine Bedenken empfand als unfehlbarer Richter
über Glauben und Leben der europäischen Menschheit zu entscheiden.

Auch in Deutschland hatte der Humanismus sich Jünger erworben. Hier
verwuchs er sehr bald und sehr innig mit den Gefühlen eines nationalen
Patriotismus der Deutschen. Nirgendwo waren die Eingriffe der päpstlichen
Regierungsmethode so hart und so übel empfunden worden als grade in
Deutschland: von heftigen Klagen und Beschwerden sind die deutschen Reichs¬
tagsverhandlungen des 13. Jahrhunderts angefüllt. Man hatte wiederholt
versucht die Aussaugung Deutschlands durch die Italiener — in dieser Form
faßte man das Verhältniß auf — abzuwehren oder einzudämmen. Und diese
Stimmung der deutschen Nation gelangte nun vorwiegend in den Schriften
der deutschen Humanisten zum Ausdruck. Feindseligkeit gegen die Herrschaft
des ausländischen Priesterfürsten ist die Stimmung, aus der heraus die deut¬
schen Humanisten die Reformation der Kirche stürmisch und immer stürmischer
forderten.

Dieser Ruf nach Reformation der Kirche war keineswegs im 15. Jahr¬
hundert verstummt. Nach dem Scheitern der conciliaren Bewegung hatte
zwar Papst Pius II. — er selbst als Enea Silvio in früheren Jahren ein


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0336" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133096"/>
          <p xml:id="ID_1186" prev="#ID_1185"> nicht grade geistlichen Sinn oder priesterlichen Charakter an Alexander VI. oder<lb/>
Julius II. oder Leo X., Clemens VII., Paul III. aufzudecken vermögen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1187"> Indem nun diese Berweltlichung des römischen Papstthums aller Welt<lb/>
offenkundig wurde, stellten dieselben Päpste auch die humanistische Wissen¬<lb/>
schaft jener Tage unter ihren Schutz und in ihren Dienst: es war ja damals<lb/>
das goldene Zeitalter des Humanismus schon angebrochen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1188"> Es war damals jener großartige Umschwung der Wissenschaften und<lb/>
Künste eingetreten, der von der Erneuerung der antiken Literatur und Kunst<lb/>
ausgegangen ist. Aus dem Schlummer des Mittelalters ist der Geist wissen¬<lb/>
schaftlichen Forschens und Denkens damals aufs neue erwacht; geboren aus<lb/>
den Ueberlieferungen der Antike hat damals der Geist der Neuzeit zuerst<lb/>
seine Schwingen geregt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1189"> Und in Italien und am päpstlichen Hofe selbst reichte man den neuen<lb/>
literarischen Bestrebungen förderlich die Hand. Daß sehr bald der Humanis¬<lb/>
mus im offenen oder verdeckten Widerspruche zu den kirchlichen Einrichtungen<lb/>
und Ideen und Lehrsätzen seine eigene Natur entfaltete, störte nicht die Freund¬<lb/>
schaft der Kirchenfürsten und Humanisten; in der Praxis verstand man es<lb/>
die Gegensätze zu vereinigen oder wenigstens nicht in Streit miteinander zu<lb/>
bringen. Grade in den höchsten Spitzen der Kirche nahm der kirchliche Sinn<lb/>
ab: Papst Leo X., der Typus dieses kirchlich-humanistischen Wesens, obwohl<lb/>
seiner kirchlichen Stellung nach absoluter Herr der christlichen Kirche, war in<lb/>
seinem persönlichen Wesen ein vollendeter Heide, &#x2014;- allerdings ein sehr gebildeter<lb/>
Heide, der im Priesterkleide keine Bedenken empfand als unfehlbarer Richter<lb/>
über Glauben und Leben der europäischen Menschheit zu entscheiden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1190"> Auch in Deutschland hatte der Humanismus sich Jünger erworben. Hier<lb/>
verwuchs er sehr bald und sehr innig mit den Gefühlen eines nationalen<lb/>
Patriotismus der Deutschen. Nirgendwo waren die Eingriffe der päpstlichen<lb/>
Regierungsmethode so hart und so übel empfunden worden als grade in<lb/>
Deutschland: von heftigen Klagen und Beschwerden sind die deutschen Reichs¬<lb/>
tagsverhandlungen des 13. Jahrhunderts angefüllt. Man hatte wiederholt<lb/>
versucht die Aussaugung Deutschlands durch die Italiener &#x2014; in dieser Form<lb/>
faßte man das Verhältniß auf &#x2014; abzuwehren oder einzudämmen. Und diese<lb/>
Stimmung der deutschen Nation gelangte nun vorwiegend in den Schriften<lb/>
der deutschen Humanisten zum Ausdruck. Feindseligkeit gegen die Herrschaft<lb/>
des ausländischen Priesterfürsten ist die Stimmung, aus der heraus die deut¬<lb/>
schen Humanisten die Reformation der Kirche stürmisch und immer stürmischer<lb/>
forderten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1191" next="#ID_1192"> Dieser Ruf nach Reformation der Kirche war keineswegs im 15. Jahr¬<lb/>
hundert verstummt. Nach dem Scheitern der conciliaren Bewegung hatte<lb/>
zwar Papst Pius II. &#x2014; er selbst als Enea Silvio in früheren Jahren ein</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0336] nicht grade geistlichen Sinn oder priesterlichen Charakter an Alexander VI. oder Julius II. oder Leo X., Clemens VII., Paul III. aufzudecken vermögen. Indem nun diese Berweltlichung des römischen Papstthums aller Welt offenkundig wurde, stellten dieselben Päpste auch die humanistische Wissen¬ schaft jener Tage unter ihren Schutz und in ihren Dienst: es war ja damals das goldene Zeitalter des Humanismus schon angebrochen. Es war damals jener großartige Umschwung der Wissenschaften und Künste eingetreten, der von der Erneuerung der antiken Literatur und Kunst ausgegangen ist. Aus dem Schlummer des Mittelalters ist der Geist wissen¬ schaftlichen Forschens und Denkens damals aufs neue erwacht; geboren aus den Ueberlieferungen der Antike hat damals der Geist der Neuzeit zuerst seine Schwingen geregt. Und in Italien und am päpstlichen Hofe selbst reichte man den neuen literarischen Bestrebungen förderlich die Hand. Daß sehr bald der Humanis¬ mus im offenen oder verdeckten Widerspruche zu den kirchlichen Einrichtungen und Ideen und Lehrsätzen seine eigene Natur entfaltete, störte nicht die Freund¬ schaft der Kirchenfürsten und Humanisten; in der Praxis verstand man es die Gegensätze zu vereinigen oder wenigstens nicht in Streit miteinander zu bringen. Grade in den höchsten Spitzen der Kirche nahm der kirchliche Sinn ab: Papst Leo X., der Typus dieses kirchlich-humanistischen Wesens, obwohl seiner kirchlichen Stellung nach absoluter Herr der christlichen Kirche, war in seinem persönlichen Wesen ein vollendeter Heide, —- allerdings ein sehr gebildeter Heide, der im Priesterkleide keine Bedenken empfand als unfehlbarer Richter über Glauben und Leben der europäischen Menschheit zu entscheiden. Auch in Deutschland hatte der Humanismus sich Jünger erworben. Hier verwuchs er sehr bald und sehr innig mit den Gefühlen eines nationalen Patriotismus der Deutschen. Nirgendwo waren die Eingriffe der päpstlichen Regierungsmethode so hart und so übel empfunden worden als grade in Deutschland: von heftigen Klagen und Beschwerden sind die deutschen Reichs¬ tagsverhandlungen des 13. Jahrhunderts angefüllt. Man hatte wiederholt versucht die Aussaugung Deutschlands durch die Italiener — in dieser Form faßte man das Verhältniß auf — abzuwehren oder einzudämmen. Und diese Stimmung der deutschen Nation gelangte nun vorwiegend in den Schriften der deutschen Humanisten zum Ausdruck. Feindseligkeit gegen die Herrschaft des ausländischen Priesterfürsten ist die Stimmung, aus der heraus die deut¬ schen Humanisten die Reformation der Kirche stürmisch und immer stürmischer forderten. Dieser Ruf nach Reformation der Kirche war keineswegs im 15. Jahr¬ hundert verstummt. Nach dem Scheitern der conciliaren Bewegung hatte zwar Papst Pius II. — er selbst als Enea Silvio in früheren Jahren ein

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/336
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/336>, abgerufen am 23.07.2024.