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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Flügeln. Aber die Blüthe währte nicht lange; andere Stämme kamen und
wurden wieder von anderen zertreten, -- bis endlich aus Irland die ersten
Glaubensboten herüberzogen und mildere Sitten brachten. Es war Se. Gallus
und Columban; auch sie faßten zuerst in dem südöstlichen Theil des Landes
Fuß, da wo jetzt die Städte Bregenz und Lindau stehen, hier lag der Schlüssel
für die Cultur des gesammten Gebietes.

So wollen denn auch wir an dieser Stätte beginnen zunächst mit Lindau,
dessen junges Bild uns noch heute aus dem schönen Namen entgegenschaut.
Jetzt wo der allmächtige Verkehr sich überall eiserne Pfade baut und festen
Boden schafft, wo die Natur ihn nicht geschaffen, jetzt merken wir es kaum
mehr, daß Lindau mitten auf einer Insel liegt, denn brausend trägt uns der
Schnellzug bis in das Herz der Stadt. Damals aber, als unsere Ahnen ihr
den holden Namen gaben, da war das grüne Eiland noch rings umspült
von der blauen Fluth und keine Brücke führte vom Festland hinüber aus die
sonnige An, durch deren alte Linden der Wind zog.

Kirche und Kloster, die zur Zeit der Karolinger entstanden, waren die
ersten Bauten von deutscher Hand und zu ihren Füßen siedelten sich bald die
Grundholden an in reicher Zahl. Schon lang ehe Rudolph von Habsburg
den Thron bestieg, war die Stadt zur freien Reichsstadt erhoben worden,
und da ihre Lage vorzüglich war, kam Handel und Verkehr zu ungeahnter
Blüthe. Mit den mächtigsten Städten des Reichs, ja selbst mit dem deutschen
Hause in Venedig stand die Stadt in reger Beziehung und dieselbe Rührig¬
keit bewährte sich auf geistigem Gebiet, als der erste Ruf der großen Refor¬
mation erklang.

Erst der dreißigjährige Krieg ward ein Wendepunkt für die Geschicke der
Stadt; um sich der Fehde zu erwehren, ward sie befestigt und mit starken
Außenwerken umgeben, allein das Alles schärfte nur den Trotz der Feinde.
Tausende von Geschossen warf der zornige Wrangel in die belagerte Stadt,
die von den Kaiserlichen vertheidigt wurde, und wenn er auch unverrichteter
Dinge abzog, vom Hohne der Bürger begleitet, so war doch der eigene Wohl¬
stand derselben für Jahrhunderte unterwühlt. Die Zeit, wo nahe an 30 Städte
und über 1400 Wagen auf jedem Wochenmärkte zu Lindau erschienen, (wie
Achilles Gaßer uns stolz berichtet) war für immer dahin, mit dem Reichthum
schwand auch die Bevölkerung und dringende Hilfe that noth als die Stadt
1806 an Baiern fiel.

So ward denn auch bald alles Mögliche zur Hebung derselben gethan,
Straßen und Anlagen wurden gebaut und in den Rahmen der alterthüm¬
lichen malerischen Bastionen, die zum Theil noch erhalten sind, fügte sich
rasch das bewegliche Bild moderner Entwicklung. Der Schwerpunkt der letz¬
teren ruht naturgemäß in der Bahn, die auf einem ungeheuren Damme vom


Flügeln. Aber die Blüthe währte nicht lange; andere Stämme kamen und
wurden wieder von anderen zertreten, — bis endlich aus Irland die ersten
Glaubensboten herüberzogen und mildere Sitten brachten. Es war Se. Gallus
und Columban; auch sie faßten zuerst in dem südöstlichen Theil des Landes
Fuß, da wo jetzt die Städte Bregenz und Lindau stehen, hier lag der Schlüssel
für die Cultur des gesammten Gebietes.

So wollen denn auch wir an dieser Stätte beginnen zunächst mit Lindau,
dessen junges Bild uns noch heute aus dem schönen Namen entgegenschaut.
Jetzt wo der allmächtige Verkehr sich überall eiserne Pfade baut und festen
Boden schafft, wo die Natur ihn nicht geschaffen, jetzt merken wir es kaum
mehr, daß Lindau mitten auf einer Insel liegt, denn brausend trägt uns der
Schnellzug bis in das Herz der Stadt. Damals aber, als unsere Ahnen ihr
den holden Namen gaben, da war das grüne Eiland noch rings umspült
von der blauen Fluth und keine Brücke führte vom Festland hinüber aus die
sonnige An, durch deren alte Linden der Wind zog.

Kirche und Kloster, die zur Zeit der Karolinger entstanden, waren die
ersten Bauten von deutscher Hand und zu ihren Füßen siedelten sich bald die
Grundholden an in reicher Zahl. Schon lang ehe Rudolph von Habsburg
den Thron bestieg, war die Stadt zur freien Reichsstadt erhoben worden,
und da ihre Lage vorzüglich war, kam Handel und Verkehr zu ungeahnter
Blüthe. Mit den mächtigsten Städten des Reichs, ja selbst mit dem deutschen
Hause in Venedig stand die Stadt in reger Beziehung und dieselbe Rührig¬
keit bewährte sich auf geistigem Gebiet, als der erste Ruf der großen Refor¬
mation erklang.

Erst der dreißigjährige Krieg ward ein Wendepunkt für die Geschicke der
Stadt; um sich der Fehde zu erwehren, ward sie befestigt und mit starken
Außenwerken umgeben, allein das Alles schärfte nur den Trotz der Feinde.
Tausende von Geschossen warf der zornige Wrangel in die belagerte Stadt,
die von den Kaiserlichen vertheidigt wurde, und wenn er auch unverrichteter
Dinge abzog, vom Hohne der Bürger begleitet, so war doch der eigene Wohl¬
stand derselben für Jahrhunderte unterwühlt. Die Zeit, wo nahe an 30 Städte
und über 1400 Wagen auf jedem Wochenmärkte zu Lindau erschienen, (wie
Achilles Gaßer uns stolz berichtet) war für immer dahin, mit dem Reichthum
schwand auch die Bevölkerung und dringende Hilfe that noth als die Stadt
1806 an Baiern fiel.

So ward denn auch bald alles Mögliche zur Hebung derselben gethan,
Straßen und Anlagen wurden gebaut und in den Rahmen der alterthüm¬
lichen malerischen Bastionen, die zum Theil noch erhalten sind, fügte sich
rasch das bewegliche Bild moderner Entwicklung. Der Schwerpunkt der letz¬
teren ruht naturgemäß in der Bahn, die auf einem ungeheuren Damme vom


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/299>, abgerufen am 25.08.2024.