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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Rhein, Die Natur hat ihn noch einmal zu sich genommen, in ihr stilles
verborgenes Heiligthum, wie eine Mutter ihren wilden Knaben an sich nimmt
in die stille Kammer und wenn er dann heraustritt, ernst und bewegt, dann
ist sein Wesen gewandelt für alle Zeit.

Eine solche Stunde stiller Einkehr liegt hier -- der Bodensee ist gleich¬
sam das geheimnißvolle Gemach, wo dieser Wandel seines inneren Wesens
sich vollzieht, denn von nun an, sowie er den See verlassen hat, gehört der
Rhein dem großen thatenreichen Leben, hinter ihm liegt die Wildheit und die
Gefahr der Jugend!

Unsichtbar ist er geworden, aber wenn wir auch seine Fluth nicht sehen,
wir fühlen sie doch, wie sie da drunten pulst und strömt, und wie man es
bei den Menschen gewahrt, daß sie edles Blut in den Adern tragen, so merkt
man es hier, daß Rheinfluth durch die Wasser des Sees geht. Goldgrün
und sonnenhell ist die Farbe der Ufer, wie sie die alten Sagen dem Rheine geben,
und selbst bei wellenloser Fluth sieht man draußen jene leise getragene Be¬
wegung: Das ist der Herzschlag des großen Stromes, der da in der Tiefe
hindurchzieht.

Schon früh hat der Zauber, den diese Scholle besitzt, auch die Menschen
gelockt; mit dem Schwert in der Faust drangen sie vor in die Wildniß und
bauten ihre Städte ans Ufer, immer der Starke dem Stärkeren erliegend.
Und noch jetzt wie zur Erinnerung der hundertfältiger Werbung, stoßen die
Grenzender Länder hier zusammen, Oesterreich und Baiern, Württemberg und
Baden und mit dem Löwenantheil die freie Schweiz. Es ist ein Edelstein,
der zu werthvoll schien, als daß ihn ein einziges Reich besitzen sollte; fünf
Länder mit dunklem Walde und goldenen Saaten bilden die Fassung für das
schimmernde Juwel.

Die ersten, welche kamen und mit den alten Rhätiern um die Herrschaft
rangen, waren die Legionen von Rom; die erste Stadt, die das Ufer schmückte,
war Bregenz.

Schon Strabo und Plinius kannten sie unter dem Namen Brtgantium, nach
dem auch der See bezeichnet ward; der Ausdruck Bodensee oder Bodmansee
stammt aus späterer Zeit. Ergreifend schön in ihrer kraftvollen Einfachheit
ist die Schilderung, die uns ein römischer Autor vom Bodensee im vierten
Jahrhundert macht; riesige Wälder reichten damals noch herab bis ans Ufer
und auf den Fluthen dampften die Nebel; mühsam bahnte die Axt den ersten
Weg am Strande hin. Durch die "träge Ruhe des Sees" aber (sagt der
Erzähler dann) zieht mit reißender Gewalt und "schäumenden Wirbeln" ein
Fluß, der sein eilendes Wasser unvermischt bis zum Ausgang bewahrt.

Aber stark und geborgen stand in der herrlichsten Bucht des Sees das
alte Kastell von Brigantium, und eine blühende Stadt erwuchs unter seinen


Rhein, Die Natur hat ihn noch einmal zu sich genommen, in ihr stilles
verborgenes Heiligthum, wie eine Mutter ihren wilden Knaben an sich nimmt
in die stille Kammer und wenn er dann heraustritt, ernst und bewegt, dann
ist sein Wesen gewandelt für alle Zeit.

Eine solche Stunde stiller Einkehr liegt hier — der Bodensee ist gleich¬
sam das geheimnißvolle Gemach, wo dieser Wandel seines inneren Wesens
sich vollzieht, denn von nun an, sowie er den See verlassen hat, gehört der
Rhein dem großen thatenreichen Leben, hinter ihm liegt die Wildheit und die
Gefahr der Jugend!

Unsichtbar ist er geworden, aber wenn wir auch seine Fluth nicht sehen,
wir fühlen sie doch, wie sie da drunten pulst und strömt, und wie man es
bei den Menschen gewahrt, daß sie edles Blut in den Adern tragen, so merkt
man es hier, daß Rheinfluth durch die Wasser des Sees geht. Goldgrün
und sonnenhell ist die Farbe der Ufer, wie sie die alten Sagen dem Rheine geben,
und selbst bei wellenloser Fluth sieht man draußen jene leise getragene Be¬
wegung: Das ist der Herzschlag des großen Stromes, der da in der Tiefe
hindurchzieht.

Schon früh hat der Zauber, den diese Scholle besitzt, auch die Menschen
gelockt; mit dem Schwert in der Faust drangen sie vor in die Wildniß und
bauten ihre Städte ans Ufer, immer der Starke dem Stärkeren erliegend.
Und noch jetzt wie zur Erinnerung der hundertfältiger Werbung, stoßen die
Grenzender Länder hier zusammen, Oesterreich und Baiern, Württemberg und
Baden und mit dem Löwenantheil die freie Schweiz. Es ist ein Edelstein,
der zu werthvoll schien, als daß ihn ein einziges Reich besitzen sollte; fünf
Länder mit dunklem Walde und goldenen Saaten bilden die Fassung für das
schimmernde Juwel.

Die ersten, welche kamen und mit den alten Rhätiern um die Herrschaft
rangen, waren die Legionen von Rom; die erste Stadt, die das Ufer schmückte,
war Bregenz.

Schon Strabo und Plinius kannten sie unter dem Namen Brtgantium, nach
dem auch der See bezeichnet ward; der Ausdruck Bodensee oder Bodmansee
stammt aus späterer Zeit. Ergreifend schön in ihrer kraftvollen Einfachheit
ist die Schilderung, die uns ein römischer Autor vom Bodensee im vierten
Jahrhundert macht; riesige Wälder reichten damals noch herab bis ans Ufer
und auf den Fluthen dampften die Nebel; mühsam bahnte die Axt den ersten
Weg am Strande hin. Durch die „träge Ruhe des Sees" aber (sagt der
Erzähler dann) zieht mit reißender Gewalt und „schäumenden Wirbeln" ein
Fluß, der sein eilendes Wasser unvermischt bis zum Ausgang bewahrt.

Aber stark und geborgen stand in der herrlichsten Bucht des Sees das
alte Kastell von Brigantium, und eine blühende Stadt erwuchs unter seinen


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[0298] Rhein, Die Natur hat ihn noch einmal zu sich genommen, in ihr stilles verborgenes Heiligthum, wie eine Mutter ihren wilden Knaben an sich nimmt in die stille Kammer und wenn er dann heraustritt, ernst und bewegt, dann ist sein Wesen gewandelt für alle Zeit. Eine solche Stunde stiller Einkehr liegt hier — der Bodensee ist gleich¬ sam das geheimnißvolle Gemach, wo dieser Wandel seines inneren Wesens sich vollzieht, denn von nun an, sowie er den See verlassen hat, gehört der Rhein dem großen thatenreichen Leben, hinter ihm liegt die Wildheit und die Gefahr der Jugend! Unsichtbar ist er geworden, aber wenn wir auch seine Fluth nicht sehen, wir fühlen sie doch, wie sie da drunten pulst und strömt, und wie man es bei den Menschen gewahrt, daß sie edles Blut in den Adern tragen, so merkt man es hier, daß Rheinfluth durch die Wasser des Sees geht. Goldgrün und sonnenhell ist die Farbe der Ufer, wie sie die alten Sagen dem Rheine geben, und selbst bei wellenloser Fluth sieht man draußen jene leise getragene Be¬ wegung: Das ist der Herzschlag des großen Stromes, der da in der Tiefe hindurchzieht. Schon früh hat der Zauber, den diese Scholle besitzt, auch die Menschen gelockt; mit dem Schwert in der Faust drangen sie vor in die Wildniß und bauten ihre Städte ans Ufer, immer der Starke dem Stärkeren erliegend. Und noch jetzt wie zur Erinnerung der hundertfältiger Werbung, stoßen die Grenzender Länder hier zusammen, Oesterreich und Baiern, Württemberg und Baden und mit dem Löwenantheil die freie Schweiz. Es ist ein Edelstein, der zu werthvoll schien, als daß ihn ein einziges Reich besitzen sollte; fünf Länder mit dunklem Walde und goldenen Saaten bilden die Fassung für das schimmernde Juwel. Die ersten, welche kamen und mit den alten Rhätiern um die Herrschaft rangen, waren die Legionen von Rom; die erste Stadt, die das Ufer schmückte, war Bregenz. Schon Strabo und Plinius kannten sie unter dem Namen Brtgantium, nach dem auch der See bezeichnet ward; der Ausdruck Bodensee oder Bodmansee stammt aus späterer Zeit. Ergreifend schön in ihrer kraftvollen Einfachheit ist die Schilderung, die uns ein römischer Autor vom Bodensee im vierten Jahrhundert macht; riesige Wälder reichten damals noch herab bis ans Ufer und auf den Fluthen dampften die Nebel; mühsam bahnte die Axt den ersten Weg am Strande hin. Durch die „träge Ruhe des Sees" aber (sagt der Erzähler dann) zieht mit reißender Gewalt und „schäumenden Wirbeln" ein Fluß, der sein eilendes Wasser unvermischt bis zum Ausgang bewahrt. Aber stark und geborgen stand in der herrlichsten Bucht des Sees das alte Kastell von Brigantium, und eine blühende Stadt erwuchs unter seinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/298>, abgerufen am 23.07.2024.