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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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liebes Blau beginnt und der starke Nordwind faßt die Wogen, daß das Segel
flattert und der Schaum die Flanken netzt. Ha wie das rauscht und fliegt,
nur fest die Hand ans Steuer, denn unter uns liegt eine unermeßliche Tiefe!

Kein anderer von allen deutschen Seen bietet diese unermeßliche Skala
von Tönen dar, vom holden Wogensang bis zum brausenden Sturmgeheul
und diese Skala von Farben vom rosigen Dämmerlicht bis zur finsteren
Wetternacht. Eine wundersame Schönheit und eine furchtbare Kraft, wie sie
nur die Natur und nicht der Mensch vereinigt, sind verbunden in diesem
Namen und darin liegt gewiß die unbewußte Macht, die der Bodensee, die alle
großen Seen auf uns üben. Auch sie, wie der Schooß der Berge sind eine ge¬
heimnißvolle Werkstatt der Natur, in die kein menschliches Auge dringt, holder
Segen und wüste Verheerung wird dort gezeugt, aber das Walten beider ist
unserer Macht entrückt. Schon manchmal stieg der See bei spiegelglatter
Fluth fast einen Fuß hoch über das Ufer und ging plötzlich wieder zurück;
oft drängen sich riesige Wassermassen in den schmalen nördlichen Arm zusam¬
men, bis der Föhn über die Berge bricht und die strömenden Fluthen zurück¬
wirft in das breite offene Becken. Bis in die innersten Tiefen wird dann
die Fluth erregt, kein Schiff ist dann mehr sicher vor den rasenden Wogen
und selbst die starken Dampfer wagen es kaum den Hafen zu verlassen! So
herrscht der heiße Wind, der im Lenz und im Herbst über die Berge kommt,
bis es Winter wird, bis der Frost die Wogen mit seinem eisigen Hauche
bannt, daß sie stille stehen und wie eingeschläfert erstarren. Oh, wie schaurig
ist es dann in wilder Dezembernacht, wenn die gefangene Fluth an ihren
Kerker pocht und ihn sprengt, daß mit brüllenden Schall das Eis von einem
Ufer zum andern birst!

Der Untersee gefriert alljährlich, die ganze Fläche aber schließt sich so
selten, daß die betreffenden Jahre noch jetzt historisch sind. Der Merkwürdig¬
keit zu liebe ward 1695 ein großes Schützenfest auf dem Eise gehalten, das
gar fröhlich verlief. Die schaurige Seite hat uns Gustav Schwab in seiner
bekannten Ballade gezeichnet. Wer denkt ohne Grauen an den Reiter, der
ahnungslos über die stundenlange verschneite Fläche jagt -- und diese Fläche
ist der Bodensee!

Von der wirklichen Größe desselben und von dem Spielraum aber, den
er den Elementen bietet, geben schließlich doch nur die Ziffern ein Bild, und
so mögen auch sie am Platze sein; man muß bedenken, daß sein Umkreis
26 Meilen und seine Länge fast 14 Stunden mißt. Nimmt man hiezu die
gewaltige Breite und die furchtbare Tiefe, so fühlt man gleichsam die kolossalen
Wassermassen, die dieses Riesenbecken umschließt. Es handelt sich um Millio¬
nen, um Milliarden unserer Fassungskraft.

Mitten hindurch durch diese endlose Tiefe aber strömt unsichtbar der


GreUzlwleu I. l8?5. 37

liebes Blau beginnt und der starke Nordwind faßt die Wogen, daß das Segel
flattert und der Schaum die Flanken netzt. Ha wie das rauscht und fliegt,
nur fest die Hand ans Steuer, denn unter uns liegt eine unermeßliche Tiefe!

Kein anderer von allen deutschen Seen bietet diese unermeßliche Skala
von Tönen dar, vom holden Wogensang bis zum brausenden Sturmgeheul
und diese Skala von Farben vom rosigen Dämmerlicht bis zur finsteren
Wetternacht. Eine wundersame Schönheit und eine furchtbare Kraft, wie sie
nur die Natur und nicht der Mensch vereinigt, sind verbunden in diesem
Namen und darin liegt gewiß die unbewußte Macht, die der Bodensee, die alle
großen Seen auf uns üben. Auch sie, wie der Schooß der Berge sind eine ge¬
heimnißvolle Werkstatt der Natur, in die kein menschliches Auge dringt, holder
Segen und wüste Verheerung wird dort gezeugt, aber das Walten beider ist
unserer Macht entrückt. Schon manchmal stieg der See bei spiegelglatter
Fluth fast einen Fuß hoch über das Ufer und ging plötzlich wieder zurück;
oft drängen sich riesige Wassermassen in den schmalen nördlichen Arm zusam¬
men, bis der Föhn über die Berge bricht und die strömenden Fluthen zurück¬
wirft in das breite offene Becken. Bis in die innersten Tiefen wird dann
die Fluth erregt, kein Schiff ist dann mehr sicher vor den rasenden Wogen
und selbst die starken Dampfer wagen es kaum den Hafen zu verlassen! So
herrscht der heiße Wind, der im Lenz und im Herbst über die Berge kommt,
bis es Winter wird, bis der Frost die Wogen mit seinem eisigen Hauche
bannt, daß sie stille stehen und wie eingeschläfert erstarren. Oh, wie schaurig
ist es dann in wilder Dezembernacht, wenn die gefangene Fluth an ihren
Kerker pocht und ihn sprengt, daß mit brüllenden Schall das Eis von einem
Ufer zum andern birst!

Der Untersee gefriert alljährlich, die ganze Fläche aber schließt sich so
selten, daß die betreffenden Jahre noch jetzt historisch sind. Der Merkwürdig¬
keit zu liebe ward 1695 ein großes Schützenfest auf dem Eise gehalten, das
gar fröhlich verlief. Die schaurige Seite hat uns Gustav Schwab in seiner
bekannten Ballade gezeichnet. Wer denkt ohne Grauen an den Reiter, der
ahnungslos über die stundenlange verschneite Fläche jagt — und diese Fläche
ist der Bodensee!

Von der wirklichen Größe desselben und von dem Spielraum aber, den
er den Elementen bietet, geben schließlich doch nur die Ziffern ein Bild, und
so mögen auch sie am Platze sein; man muß bedenken, daß sein Umkreis
26 Meilen und seine Länge fast 14 Stunden mißt. Nimmt man hiezu die
gewaltige Breite und die furchtbare Tiefe, so fühlt man gleichsam die kolossalen
Wassermassen, die dieses Riesenbecken umschließt. Es handelt sich um Millio¬
nen, um Milliarden unserer Fassungskraft.

Mitten hindurch durch diese endlose Tiefe aber strömt unsichtbar der


GreUzlwleu I. l8?5. 37
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[0297] liebes Blau beginnt und der starke Nordwind faßt die Wogen, daß das Segel flattert und der Schaum die Flanken netzt. Ha wie das rauscht und fliegt, nur fest die Hand ans Steuer, denn unter uns liegt eine unermeßliche Tiefe! Kein anderer von allen deutschen Seen bietet diese unermeßliche Skala von Tönen dar, vom holden Wogensang bis zum brausenden Sturmgeheul und diese Skala von Farben vom rosigen Dämmerlicht bis zur finsteren Wetternacht. Eine wundersame Schönheit und eine furchtbare Kraft, wie sie nur die Natur und nicht der Mensch vereinigt, sind verbunden in diesem Namen und darin liegt gewiß die unbewußte Macht, die der Bodensee, die alle großen Seen auf uns üben. Auch sie, wie der Schooß der Berge sind eine ge¬ heimnißvolle Werkstatt der Natur, in die kein menschliches Auge dringt, holder Segen und wüste Verheerung wird dort gezeugt, aber das Walten beider ist unserer Macht entrückt. Schon manchmal stieg der See bei spiegelglatter Fluth fast einen Fuß hoch über das Ufer und ging plötzlich wieder zurück; oft drängen sich riesige Wassermassen in den schmalen nördlichen Arm zusam¬ men, bis der Föhn über die Berge bricht und die strömenden Fluthen zurück¬ wirft in das breite offene Becken. Bis in die innersten Tiefen wird dann die Fluth erregt, kein Schiff ist dann mehr sicher vor den rasenden Wogen und selbst die starken Dampfer wagen es kaum den Hafen zu verlassen! So herrscht der heiße Wind, der im Lenz und im Herbst über die Berge kommt, bis es Winter wird, bis der Frost die Wogen mit seinem eisigen Hauche bannt, daß sie stille stehen und wie eingeschläfert erstarren. Oh, wie schaurig ist es dann in wilder Dezembernacht, wenn die gefangene Fluth an ihren Kerker pocht und ihn sprengt, daß mit brüllenden Schall das Eis von einem Ufer zum andern birst! Der Untersee gefriert alljährlich, die ganze Fläche aber schließt sich so selten, daß die betreffenden Jahre noch jetzt historisch sind. Der Merkwürdig¬ keit zu liebe ward 1695 ein großes Schützenfest auf dem Eise gehalten, das gar fröhlich verlief. Die schaurige Seite hat uns Gustav Schwab in seiner bekannten Ballade gezeichnet. Wer denkt ohne Grauen an den Reiter, der ahnungslos über die stundenlange verschneite Fläche jagt — und diese Fläche ist der Bodensee! Von der wirklichen Größe desselben und von dem Spielraum aber, den er den Elementen bietet, geben schließlich doch nur die Ziffern ein Bild, und so mögen auch sie am Platze sein; man muß bedenken, daß sein Umkreis 26 Meilen und seine Länge fast 14 Stunden mißt. Nimmt man hiezu die gewaltige Breite und die furchtbare Tiefe, so fühlt man gleichsam die kolossalen Wassermassen, die dieses Riesenbecken umschließt. Es handelt sich um Millio¬ nen, um Milliarden unserer Fassungskraft. Mitten hindurch durch diese endlose Tiefe aber strömt unsichtbar der GreUzlwleu I. l8?5. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/297>, abgerufen am 23.07.2024.