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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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hat den Erwerb und Besitz materieller Güter in Einer Hand sehr ge¬
steigert, dadurch wieder die Möglichkeit, daß Besitz und Intelligenz die Kräfte
vieler Nebenmenschen für sich in Dienst nehmen und zu ihrem Vortheil aus¬
beuten, durch Theilung der Arbeit die Massenproduction, zunächst wieder für
ihren Vortheil, und dadurch wieder ein Mißverhältniß der Stellung Einzelner
in Besitz und Genuß der materiellen Güter zu der für Einzelne arbeitenden
und darbenden Menge herbeigeführt, hat so die Gier der darbenden Menge
nach gleichem Besitz und Genuß zum Hauptinteresse ihres Strebens und Lebens,
und so den rücksichtslosen Erwerb und Genuß der materiellen Güter zum
Götzen der Zeit gemacht, und damit die sinnliche Natur und alle Leiden¬
schaften mit Hintansetzung der religiösen und sittlichen Aufgaben und Zwecke
des Lebens, ja mit Schädigung der Interessen der Familie, des Staats und
der Kirche, zur Befriedigung der Sinnlichkeit entfesselt.*) Ein charakteristisches
Merkmal, wie sehr unsere Zeit aller edleren idealen Gefühle, im schreiendsten
Gegensatze zu frühern Zeiten, baar und ledig ist, ist unverkennbar die Art, wie
die Ehen, mit förmlichem Angebot, um den Preis des Vermögens geschlossen
werden. Mag dabei viel Humbugh, ja Betrug unterlaufen, indem die Zwischen¬
händler .nur eine Prämie für sich suchen, immerhin zeigt die Fortdauer solches
schmachvollen Treibens, wie es wohl kaum eine Zeit erlebt hat, daß die An¬
zeigen Beachtung finden, und wie der Götze Mammon auch in dem Gebiete
herrscht, wo nach Gottes Ordnung nur die heiligste Empfindung, die Liebe, als
Empfindung des in die menschliche Natur gelegten Abglanzes und Wiederscheines
der göttlichen Vollkommenheit gebieten sollte.

Ist es ein Wunder, wenn in solcher Richtung der Zeit auf den Cultus des
Mammons und der Sinnlichkeit auch die Jugend von dieser Zeitströmung ergrif¬
fen, allen höheren Idealen abgewendet wird, zumal die Zeitströmung, schon um sich
zu rechtfertigen, alle höheren geistigen religiös-sittlichen Momente bespöttelt,
während gerade die Jugend für die sinnlichen Genüsse am empfänglichsten ist?

Dazu kommt aber, daß auch die sog. Wissenschaft, die das rechte Ver¬
ständniß dieser Interessen des Lebens vermitteln sollte, sich in voller Einseitig¬
keit auf diese materielle Seite gestellt hat, daß auch die Wissenschaft Erwerb
und Genuß der materiellen Güter als Selbstzweck hingestellt hat, mit gänz¬
licher Verkennung der ewigen Wahrheit, daß sie nur den geistigen sittlichen
Zwecken dienen sollen. Denn so lehrt einer der hervorragendsten Wirthschafts¬
lehrer Adam Smith: "Die Erwägung des eignen Gewinnes ist der alleinige
Beweggrund, der den Besitzer irgend eines Capitals zu bestimmen vermag, dasselbe
in Landbau, in Fabriken, oder in irgend einem Zweige des Groß- oder Klein-
Handels anzulegen."**) Damit sind aller Erwerb, alle Arbeit, ja aller Besitz und




") A D. Red. uch diese voMwirthschaftlichen Ideen sind nur diejenigen des Verfassers.
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) Vergl. dagegen-Adam Smiths Theorie in Ro schers Geschichte der Nationalökonomie

hat den Erwerb und Besitz materieller Güter in Einer Hand sehr ge¬
steigert, dadurch wieder die Möglichkeit, daß Besitz und Intelligenz die Kräfte
vieler Nebenmenschen für sich in Dienst nehmen und zu ihrem Vortheil aus¬
beuten, durch Theilung der Arbeit die Massenproduction, zunächst wieder für
ihren Vortheil, und dadurch wieder ein Mißverhältniß der Stellung Einzelner
in Besitz und Genuß der materiellen Güter zu der für Einzelne arbeitenden
und darbenden Menge herbeigeführt, hat so die Gier der darbenden Menge
nach gleichem Besitz und Genuß zum Hauptinteresse ihres Strebens und Lebens,
und so den rücksichtslosen Erwerb und Genuß der materiellen Güter zum
Götzen der Zeit gemacht, und damit die sinnliche Natur und alle Leiden¬
schaften mit Hintansetzung der religiösen und sittlichen Aufgaben und Zwecke
des Lebens, ja mit Schädigung der Interessen der Familie, des Staats und
der Kirche, zur Befriedigung der Sinnlichkeit entfesselt.*) Ein charakteristisches
Merkmal, wie sehr unsere Zeit aller edleren idealen Gefühle, im schreiendsten
Gegensatze zu frühern Zeiten, baar und ledig ist, ist unverkennbar die Art, wie
die Ehen, mit förmlichem Angebot, um den Preis des Vermögens geschlossen
werden. Mag dabei viel Humbugh, ja Betrug unterlaufen, indem die Zwischen¬
händler .nur eine Prämie für sich suchen, immerhin zeigt die Fortdauer solches
schmachvollen Treibens, wie es wohl kaum eine Zeit erlebt hat, daß die An¬
zeigen Beachtung finden, und wie der Götze Mammon auch in dem Gebiete
herrscht, wo nach Gottes Ordnung nur die heiligste Empfindung, die Liebe, als
Empfindung des in die menschliche Natur gelegten Abglanzes und Wiederscheines
der göttlichen Vollkommenheit gebieten sollte.

Ist es ein Wunder, wenn in solcher Richtung der Zeit auf den Cultus des
Mammons und der Sinnlichkeit auch die Jugend von dieser Zeitströmung ergrif¬
fen, allen höheren Idealen abgewendet wird, zumal die Zeitströmung, schon um sich
zu rechtfertigen, alle höheren geistigen religiös-sittlichen Momente bespöttelt,
während gerade die Jugend für die sinnlichen Genüsse am empfänglichsten ist?

Dazu kommt aber, daß auch die sog. Wissenschaft, die das rechte Ver¬
ständniß dieser Interessen des Lebens vermitteln sollte, sich in voller Einseitig¬
keit auf diese materielle Seite gestellt hat, daß auch die Wissenschaft Erwerb
und Genuß der materiellen Güter als Selbstzweck hingestellt hat, mit gänz¬
licher Verkennung der ewigen Wahrheit, daß sie nur den geistigen sittlichen
Zwecken dienen sollen. Denn so lehrt einer der hervorragendsten Wirthschafts¬
lehrer Adam Smith: „Die Erwägung des eignen Gewinnes ist der alleinige
Beweggrund, der den Besitzer irgend eines Capitals zu bestimmen vermag, dasselbe
in Landbau, in Fabriken, oder in irgend einem Zweige des Groß- oder Klein-
Handels anzulegen."**) Damit sind aller Erwerb, alle Arbeit, ja aller Besitz und




") A D. Red. uch diese voMwirthschaftlichen Ideen sind nur diejenigen des Verfassers.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/291>, abgerufen am 23.07.2024.