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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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genug gestiegen ist, will man das Prinzip der Wahl für alle geistlichen Stellen
einführen? --

Das führt uns nun zu den Gründen, die nicht in dem ungenügenden
Einkommen der Geistlichen, sondern in der Richtung der Zeit liegen.

Da ist der tiefste und letzte Grund, der, mit dem vorigen verwandt,
alle übrigen als Grundcharakter einschließt, der realisti sah e Zu g unserer
Zeit bis zum gröbsten Materialismus.

Man kann freilich dahin Alles rechnen, was dem Volksbewußtsein von
den irdischen Gütern überhaupt zeitweilig als das höchste Gut erscheint, und
damit auch die politischen hohen Güter, die im Vordergrunde der Wünsche der
Zeit standen und stehen, die Einigung. Entwicklung und Bedeutung der Na¬
tion, ihre staatliche und kirchliche Ordnung zur Verwirklichung der politi¬
schen bürgerlichen mehr oder weniger berechtigten Ideale und Wünsche.

Aber so sehr diese auch im Mittelpunkte des Volksbewußtseins standen
und stehen, in den politischen Gütern und Wünschen liegt schwerlich ein
Grund der Abkehr von den religiösen und kirchlichen Interessen, im Gegen¬
theile, wenn sie auch zeitweilig das Denken und Streben der Nation vorzugs¬
weise beschäftigen, sie vertragen sich recht wohl mit der idealen Anschauung
des Lebens, ja sie erhalten durch diese erst ihre Weihe und Stärke, wie die
politische Wiedergeburt der deutschen Nation sicher gerade durch das Erwachen
des religiösen Elementes sich vollzogen hat, und umgekehrt das Wiedererwachen
des religiösen Elementes durch die politische Noth aber auch durch die poli¬
tischen Ideale seine Anregung und" Stärke erhalten hat.

Ganz anders aber steht es mit der materialistischen Richtung der Zeit,
in der nun allerdings, soweit nicht die materielle Noth der Geistlichen un¬
mittelbar abschreckend gewirkt hat, ein Hauptgrund der Abneigung gegen das
Studium der Theologie gefunden werden muß.

Der Mensch kann seine Bestimmung als Einzelwesen wie als Mitglied
der Gemeinschaft nur erreichen durch den rechten Gebrauch der geistigen und
materiellen Güter, aber die Geschichte lehrt, daß die Werthschätzung dieser
Güter in verschiedenen Zeiten verschieden ist. Auf die Vorherrschaft der
religiösen und anderer geistigen Interessen folgt ein Uebergewicht oder die
Vorherrschaft der politischen oder materiellen, und umgekehrt. Die Signa¬
tur unserer Zeit ist nun, zusammenhängend mit der Entwicklung der
Naturwissenschaften, das materielle Interesse,*) wenn auch der Kampf
der geistigen und politischen Interessen nicht fehlt.

Aber die zunächst auf die Betrachtung des Causalzusammenhangs der
materiellen Erscheinungen und dann auf die Ausnutzung der materiellen Güter
zum äußerlichen sinnlichen Wohlbefinden der Menschen gerichtete Naturforschung



") Dies D. Red. e Ansicht theilen wir keineswegs.

genug gestiegen ist, will man das Prinzip der Wahl für alle geistlichen Stellen
einführen? —

Das führt uns nun zu den Gründen, die nicht in dem ungenügenden
Einkommen der Geistlichen, sondern in der Richtung der Zeit liegen.

Da ist der tiefste und letzte Grund, der, mit dem vorigen verwandt,
alle übrigen als Grundcharakter einschließt, der realisti sah e Zu g unserer
Zeit bis zum gröbsten Materialismus.

Man kann freilich dahin Alles rechnen, was dem Volksbewußtsein von
den irdischen Gütern überhaupt zeitweilig als das höchste Gut erscheint, und
damit auch die politischen hohen Güter, die im Vordergrunde der Wünsche der
Zeit standen und stehen, die Einigung. Entwicklung und Bedeutung der Na¬
tion, ihre staatliche und kirchliche Ordnung zur Verwirklichung der politi¬
schen bürgerlichen mehr oder weniger berechtigten Ideale und Wünsche.

Aber so sehr diese auch im Mittelpunkte des Volksbewußtseins standen
und stehen, in den politischen Gütern und Wünschen liegt schwerlich ein
Grund der Abkehr von den religiösen und kirchlichen Interessen, im Gegen¬
theile, wenn sie auch zeitweilig das Denken und Streben der Nation vorzugs¬
weise beschäftigen, sie vertragen sich recht wohl mit der idealen Anschauung
des Lebens, ja sie erhalten durch diese erst ihre Weihe und Stärke, wie die
politische Wiedergeburt der deutschen Nation sicher gerade durch das Erwachen
des religiösen Elementes sich vollzogen hat, und umgekehrt das Wiedererwachen
des religiösen Elementes durch die politische Noth aber auch durch die poli¬
tischen Ideale seine Anregung und" Stärke erhalten hat.

Ganz anders aber steht es mit der materialistischen Richtung der Zeit,
in der nun allerdings, soweit nicht die materielle Noth der Geistlichen un¬
mittelbar abschreckend gewirkt hat, ein Hauptgrund der Abneigung gegen das
Studium der Theologie gefunden werden muß.

Der Mensch kann seine Bestimmung als Einzelwesen wie als Mitglied
der Gemeinschaft nur erreichen durch den rechten Gebrauch der geistigen und
materiellen Güter, aber die Geschichte lehrt, daß die Werthschätzung dieser
Güter in verschiedenen Zeiten verschieden ist. Auf die Vorherrschaft der
religiösen und anderer geistigen Interessen folgt ein Uebergewicht oder die
Vorherrschaft der politischen oder materiellen, und umgekehrt. Die Signa¬
tur unserer Zeit ist nun, zusammenhängend mit der Entwicklung der
Naturwissenschaften, das materielle Interesse,*) wenn auch der Kampf
der geistigen und politischen Interessen nicht fehlt.

Aber die zunächst auf die Betrachtung des Causalzusammenhangs der
materiellen Erscheinungen und dann auf die Ausnutzung der materiellen Güter
zum äußerlichen sinnlichen Wohlbefinden der Menschen gerichtete Naturforschung



") Dies D. Red. e Ansicht theilen wir keineswegs.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/290>, abgerufen am 25.08.2024.