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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Deutschland der Nheinbundszeit gezeichnet ist. Dennoch ist in dem Ganzen
das Colorit des Taciteischen Germaniens mit Glück getroffen. Sind auch
Ideen und Zustände des Stücks der modernen Zeit entlehnt, die handelnden
Personen sind Naturen von einer urwüchsigen Derbheit, die sich mit dem
Wesen des heutigen Geschlechts nicht zusammenreimen lassen würde. Merk¬
würdig und doch sehr begreiflich: menschlich weitaus am nächsten stehen uns
in dieser fremden Welt die Feinde Germaniens. Der Römer Ventidius ist
ein Höfling unserer Tage; Varus erscheint als ein Mann von vornehmer
Bildung; als ihm jeder Weg abgeschnitten ist, fügt er sich mit weltverachtender
Resignation in sein Schicksal; mit der Verzweiflung eines modernen Philoso¬
phen stürzt er sich in sein Schwert. Wie anders die fellumgürteten Germa¬
nen! Ihre rauhe Art winkt imponirend, flößt Ehrfurcht und Entsetzen ein,
aber wäre nicht das patriotische Band, das uns unwiderstehlich an diese
Recken fesselt, sie würde uns eher abstoßen, als anziehen. Auf alle Fälle
jedoch bewundern wir die geniale Zeichnung und Motivirung der Charaktere.
Freilich hat auch hier die Tendenz den rein künstlerischen Impuls überwogen.
Der Held des Stückes ist, objectiv betrachtet, nichts weniger als ein Muster
der sprichwörtlichen deutschen Treue und Biederkett. Seine Hauptwaffe gegen
die Römer ist die diplomatische Verschlagenheit und Hinterlist, Eine streng
moralische Beurtheilung wird an diesem dominirenden Charakterzüge Anstoß
nehmen; dem Dichter aber galt es gerade, seinem Volke klar zu machen, daß
zur Abschüttelung fremder Herrschaft jedes Mittel erlaubt sei. Die gleiche
Absicht hat ihn bei der Zeichnung der Thusnelda geleitet. Wer von dieser
Figur ein von hohen Ideen begeistertes Heldenweib erwartet, steht sich ge¬
täuscht. Die persomficirte Naivetät, läßt sie sich von Ventidius arglos den
Hof machen, für die allgemeine Lage, für die Pläne ihres Mannes hat sie
weder Verständniß noch Sympathie; erst als sie erfährt, daß der freche Römer
eine ihr geraubte Locke nicht für sich behalten, sondern der Kaiserin "zur
Probe" übersandt hat, da lodert sie auf und verwandelt sich zur rachedurstigen
Furie. Solcher g,rZum<zuo g,ä dominem glaubte der Dichter zu bedürfen,
um den Haß der deutschen Frauen gegen die Franzosen zu entflammen.

Die sympathischste Figur des Stückes ist ohne Zweifel der alte Sueven-
fürst Marbod, Ihn ruft Hermann zu Hülfe. Anfangs zweifelt er an der
redlichen Absicht des Cheruskerfürsten -- so durfte der Deutsche nicht mehr
dem Deutschen trauen! -- ; aber als er erkannt, daß wirklich die Stunde
der Abschüttelung des fremden Joches und der Einigung des Vaterlandes
geschlagen, da ist sein Entschluß gefaßt, trotz aller Ohrenbläsereien, da weiß
er nicht schnell genug die Waffen umzugürten, um noch zur rechten Stunde
das Schlachtfeld zu erreichen. Die Scene, von dem wackern Berndal vortreff¬
lich gespielt, hat das Publikum zu Heller Begeisterung hingerissen; wie viel


Deutschland der Nheinbundszeit gezeichnet ist. Dennoch ist in dem Ganzen
das Colorit des Taciteischen Germaniens mit Glück getroffen. Sind auch
Ideen und Zustände des Stücks der modernen Zeit entlehnt, die handelnden
Personen sind Naturen von einer urwüchsigen Derbheit, die sich mit dem
Wesen des heutigen Geschlechts nicht zusammenreimen lassen würde. Merk¬
würdig und doch sehr begreiflich: menschlich weitaus am nächsten stehen uns
in dieser fremden Welt die Feinde Germaniens. Der Römer Ventidius ist
ein Höfling unserer Tage; Varus erscheint als ein Mann von vornehmer
Bildung; als ihm jeder Weg abgeschnitten ist, fügt er sich mit weltverachtender
Resignation in sein Schicksal; mit der Verzweiflung eines modernen Philoso¬
phen stürzt er sich in sein Schwert. Wie anders die fellumgürteten Germa¬
nen! Ihre rauhe Art winkt imponirend, flößt Ehrfurcht und Entsetzen ein,
aber wäre nicht das patriotische Band, das uns unwiderstehlich an diese
Recken fesselt, sie würde uns eher abstoßen, als anziehen. Auf alle Fälle
jedoch bewundern wir die geniale Zeichnung und Motivirung der Charaktere.
Freilich hat auch hier die Tendenz den rein künstlerischen Impuls überwogen.
Der Held des Stückes ist, objectiv betrachtet, nichts weniger als ein Muster
der sprichwörtlichen deutschen Treue und Biederkett. Seine Hauptwaffe gegen
die Römer ist die diplomatische Verschlagenheit und Hinterlist, Eine streng
moralische Beurtheilung wird an diesem dominirenden Charakterzüge Anstoß
nehmen; dem Dichter aber galt es gerade, seinem Volke klar zu machen, daß
zur Abschüttelung fremder Herrschaft jedes Mittel erlaubt sei. Die gleiche
Absicht hat ihn bei der Zeichnung der Thusnelda geleitet. Wer von dieser
Figur ein von hohen Ideen begeistertes Heldenweib erwartet, steht sich ge¬
täuscht. Die persomficirte Naivetät, läßt sie sich von Ventidius arglos den
Hof machen, für die allgemeine Lage, für die Pläne ihres Mannes hat sie
weder Verständniß noch Sympathie; erst als sie erfährt, daß der freche Römer
eine ihr geraubte Locke nicht für sich behalten, sondern der Kaiserin „zur
Probe" übersandt hat, da lodert sie auf und verwandelt sich zur rachedurstigen
Furie. Solcher g,rZum<zuo g,ä dominem glaubte der Dichter zu bedürfen,
um den Haß der deutschen Frauen gegen die Franzosen zu entflammen.

Die sympathischste Figur des Stückes ist ohne Zweifel der alte Sueven-
fürst Marbod, Ihn ruft Hermann zu Hülfe. Anfangs zweifelt er an der
redlichen Absicht des Cheruskerfürsten — so durfte der Deutsche nicht mehr
dem Deutschen trauen! — ; aber als er erkannt, daß wirklich die Stunde
der Abschüttelung des fremden Joches und der Einigung des Vaterlandes
geschlagen, da ist sein Entschluß gefaßt, trotz aller Ohrenbläsereien, da weiß
er nicht schnell genug die Waffen umzugürten, um noch zur rechten Stunde
das Schlachtfeld zu erreichen. Die Scene, von dem wackern Berndal vortreff¬
lich gespielt, hat das Publikum zu Heller Begeisterung hingerissen; wie viel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/283>, abgerufen am 22.07.2024.