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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Wir antworten: es ist ein falscher Grundsatz, daß man das Ansehen
und den Nutzen des geistlichen Standes in dem Grade hebe oder vor Schaden
bewahre, indem man ihm die Mittel nimmt, auch materiell den übrigen ge¬
bildeten Ständen wenigstens gleich zu stehen. Zuerst sind die Geistlichen auch
Menschen, und bedürfen die materiellen Güter zu den Zwecken des Lebens
so gut, wie die anderen, ja sie haben den Anspruch, sich die sittlich erlaubten
sinnlichen Freuden so wenig verkümmert oder gar versagt zu sehen, wie alle
anderen auch, sowohl für sich, als für ihre Angehörigen. Das Gegentheil
ist eben eine unrichtige Ansicht, sowohl in Beziehung auf das Moralprincip,
als über Würde und Wesen des geistlichen Standes. An englische Zustände,
daß der Genuß einer sogenannten Pfründe den Geistlichen wirklich seinen
geistlichen Pflichten entfremdete, wird so leicht nicht zu denken sein. Davor
ist der deutsche Protestantismus sicher: schon 1S42 machte der Churfürst von
Sachsen Amsdorf zu einem lutherischen Bischöfe mit 600 si. Aber daß die
Geistlichen (sammt ihren Familien) ganz eigentlich die Aschenbrödel der soge¬
nannten gebildeten Gesellschaft sein sollen, die Hungerleider xar exevllonetz,
liegt ebensowenig im Wesen des Evangeliums, somit auch nicht im Wesen
des Protestantismus.

Dazu kommt, daß im wirklichen Leben sehr viele Anforderungen gerade
an den Geistlichen gestellt werden. Von ihm erwartet man nicht nur Theil¬
nahme an allen gemeinnützigen Bestrebungen der freien Vereinsthätigkeit für
humane Zwecke überhaupt, für Kirche und Schule insbesondere, sondern ganz
im Besonderen Unterstützung und Hülfe für die Armen, während in That
und Wirklichkeit die Geistlichen selbst, nach ihren Verhältnissen, mit Noth
kämpfen.

Dazu kommt weiter der Eindruck, den eine zu ärmliche Stellung der
Geistlichen auf die weniger gebildeten Classen macht. Je weniger gerade die
unteren Schichten des Volkes die ästhetischen Seiten des Lebens pflegen und
Pflegen können, um so höher achten sie sie: daraus gründet sich zum größten
Theile der Einfluß der höheren Bildung auf die weniger Gebildeten. Aller¬
dings kann eine höhere ästhetische Bildung ihren Träger auch dem Volke ent¬
fremden, doch nur, wo Egoismus die äußeren Verhältnisse als Zweck ansieht,
was bei den Geistlichen nicht zu besorgen ist.

Dagegen ist nun eine auch materiell bessere Stellung der Geistlichen mit
ihrer Folge der besseren Pflege der ästhetischen Seiten des Lebens den höheren
Ständen gegenüber eine unbedingte Nothwendigkeit. Wie da eine ungenü¬
gende, ärmliche, nach allen Seiten abhängige Lage für den Geistlichen selbst
niederdrückend, lähmend wirkt, so wirkt sie förmlich abstoßend auf die gebilde¬
ten Laien und hindert zugleich die eigne wissenschaftliche Fortbildung.

Wenden wir uns nun zu der Frage, woher und wie die Mittel beschafft


Wir antworten: es ist ein falscher Grundsatz, daß man das Ansehen
und den Nutzen des geistlichen Standes in dem Grade hebe oder vor Schaden
bewahre, indem man ihm die Mittel nimmt, auch materiell den übrigen ge¬
bildeten Ständen wenigstens gleich zu stehen. Zuerst sind die Geistlichen auch
Menschen, und bedürfen die materiellen Güter zu den Zwecken des Lebens
so gut, wie die anderen, ja sie haben den Anspruch, sich die sittlich erlaubten
sinnlichen Freuden so wenig verkümmert oder gar versagt zu sehen, wie alle
anderen auch, sowohl für sich, als für ihre Angehörigen. Das Gegentheil
ist eben eine unrichtige Ansicht, sowohl in Beziehung auf das Moralprincip,
als über Würde und Wesen des geistlichen Standes. An englische Zustände,
daß der Genuß einer sogenannten Pfründe den Geistlichen wirklich seinen
geistlichen Pflichten entfremdete, wird so leicht nicht zu denken sein. Davor
ist der deutsche Protestantismus sicher: schon 1S42 machte der Churfürst von
Sachsen Amsdorf zu einem lutherischen Bischöfe mit 600 si. Aber daß die
Geistlichen (sammt ihren Familien) ganz eigentlich die Aschenbrödel der soge¬
nannten gebildeten Gesellschaft sein sollen, die Hungerleider xar exevllonetz,
liegt ebensowenig im Wesen des Evangeliums, somit auch nicht im Wesen
des Protestantismus.

Dazu kommt, daß im wirklichen Leben sehr viele Anforderungen gerade
an den Geistlichen gestellt werden. Von ihm erwartet man nicht nur Theil¬
nahme an allen gemeinnützigen Bestrebungen der freien Vereinsthätigkeit für
humane Zwecke überhaupt, für Kirche und Schule insbesondere, sondern ganz
im Besonderen Unterstützung und Hülfe für die Armen, während in That
und Wirklichkeit die Geistlichen selbst, nach ihren Verhältnissen, mit Noth
kämpfen.

Dazu kommt weiter der Eindruck, den eine zu ärmliche Stellung der
Geistlichen auf die weniger gebildeten Classen macht. Je weniger gerade die
unteren Schichten des Volkes die ästhetischen Seiten des Lebens pflegen und
Pflegen können, um so höher achten sie sie: daraus gründet sich zum größten
Theile der Einfluß der höheren Bildung auf die weniger Gebildeten. Aller¬
dings kann eine höhere ästhetische Bildung ihren Träger auch dem Volke ent¬
fremden, doch nur, wo Egoismus die äußeren Verhältnisse als Zweck ansieht,
was bei den Geistlichen nicht zu besorgen ist.

Dagegen ist nun eine auch materiell bessere Stellung der Geistlichen mit
ihrer Folge der besseren Pflege der ästhetischen Seiten des Lebens den höheren
Ständen gegenüber eine unbedingte Nothwendigkeit. Wie da eine ungenü¬
gende, ärmliche, nach allen Seiten abhängige Lage für den Geistlichen selbst
niederdrückend, lähmend wirkt, so wirkt sie förmlich abstoßend auf die gebilde¬
ten Laien und hindert zugleich die eigne wissenschaftliche Fortbildung.

Wenden wir uns nun zu der Frage, woher und wie die Mittel beschafft


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[0253] Wir antworten: es ist ein falscher Grundsatz, daß man das Ansehen und den Nutzen des geistlichen Standes in dem Grade hebe oder vor Schaden bewahre, indem man ihm die Mittel nimmt, auch materiell den übrigen ge¬ bildeten Ständen wenigstens gleich zu stehen. Zuerst sind die Geistlichen auch Menschen, und bedürfen die materiellen Güter zu den Zwecken des Lebens so gut, wie die anderen, ja sie haben den Anspruch, sich die sittlich erlaubten sinnlichen Freuden so wenig verkümmert oder gar versagt zu sehen, wie alle anderen auch, sowohl für sich, als für ihre Angehörigen. Das Gegentheil ist eben eine unrichtige Ansicht, sowohl in Beziehung auf das Moralprincip, als über Würde und Wesen des geistlichen Standes. An englische Zustände, daß der Genuß einer sogenannten Pfründe den Geistlichen wirklich seinen geistlichen Pflichten entfremdete, wird so leicht nicht zu denken sein. Davor ist der deutsche Protestantismus sicher: schon 1S42 machte der Churfürst von Sachsen Amsdorf zu einem lutherischen Bischöfe mit 600 si. Aber daß die Geistlichen (sammt ihren Familien) ganz eigentlich die Aschenbrödel der soge¬ nannten gebildeten Gesellschaft sein sollen, die Hungerleider xar exevllonetz, liegt ebensowenig im Wesen des Evangeliums, somit auch nicht im Wesen des Protestantismus. Dazu kommt, daß im wirklichen Leben sehr viele Anforderungen gerade an den Geistlichen gestellt werden. Von ihm erwartet man nicht nur Theil¬ nahme an allen gemeinnützigen Bestrebungen der freien Vereinsthätigkeit für humane Zwecke überhaupt, für Kirche und Schule insbesondere, sondern ganz im Besonderen Unterstützung und Hülfe für die Armen, während in That und Wirklichkeit die Geistlichen selbst, nach ihren Verhältnissen, mit Noth kämpfen. Dazu kommt weiter der Eindruck, den eine zu ärmliche Stellung der Geistlichen auf die weniger gebildeten Classen macht. Je weniger gerade die unteren Schichten des Volkes die ästhetischen Seiten des Lebens pflegen und Pflegen können, um so höher achten sie sie: daraus gründet sich zum größten Theile der Einfluß der höheren Bildung auf die weniger Gebildeten. Aller¬ dings kann eine höhere ästhetische Bildung ihren Träger auch dem Volke ent¬ fremden, doch nur, wo Egoismus die äußeren Verhältnisse als Zweck ansieht, was bei den Geistlichen nicht zu besorgen ist. Dagegen ist nun eine auch materiell bessere Stellung der Geistlichen mit ihrer Folge der besseren Pflege der ästhetischen Seiten des Lebens den höheren Ständen gegenüber eine unbedingte Nothwendigkeit. Wie da eine ungenü¬ gende, ärmliche, nach allen Seiten abhängige Lage für den Geistlichen selbst niederdrückend, lähmend wirkt, so wirkt sie förmlich abstoßend auf die gebilde¬ ten Laien und hindert zugleich die eigne wissenschaftliche Fortbildung. Wenden wir uns nun zu der Frage, woher und wie die Mittel beschafft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/253>, abgerufen am 23.07.2024.