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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Arbeiten bei den Advocaten verdienen, und dann nach vielleicht auch 10 Jah¬
ren als Assessoren auch nur 1000--1200 si.. Aber sie rücken weiter, und können,
wenn sie sich nichts zu Schulden kommen lassen, aufs Weiterrücken zählen,
und auf bedeutend höhere Gehalte, während die Geistlichen durchschnittlich
bei einer Besoldung bleiben, die dort nur das Anfangsgehalt ist, die Mediciner
aber sehr bald in eine zufriedenstellende Lage kommen, und Alles, was zur
Industrie und zum Handel gehört, sich mit dem Gehalte der Beamten kaum
mehr vergleichen läßt. Darnach ist es begreiflich, daß auch die bisherige Besse¬
rung der Pfarrstellen noch keine eigentliche Hülfe gegen den Theologen - Man¬
gel gebracht hat und bringen wird.

Wie soll und kann es nun anders werden? -- Damit treten
wir in eine allgemeinere Betrachtung ein, wie im Grunde die Ursache auch
ganz allgemein, d. h. überall gleich ist, wenn wir auch von den Hessischen
Zuständen ausgegangen sind, um eben die Ursache an concreten realen Zu¬
ständen nachzuweisen.

Unsere Antwort lautet kurz und entschieden dahin: liegt die Hauptursache
in der gänzlich ungenügenden Dotation oder äußern materiellen Lage der geist¬
lichen Stellen, so muß man diese genügend aufbessern.

Zuerst haben wir uns aber nun mit dem Einwürfe abzufinden, der Grund
der Abnahme der Theologie Studirenden liege schwerlich in der äußeren un¬
günstigen materiellen Lage, weil man doch annehmen müsse, daß nicht die
äußere Stellung, sondern der innere Beruf die jungen Männer zur Wahl der
kirchlichen Wirksamkeit treibe. Wer das sagt, der kennt die Wirklichkeit der
Lebensverhältnisse nicht. Nicht allein in der katholischen Kirche, wenn auch
dort noch mehr, so daß Kinder aus den niederen Gesellschaftsklassen förmlich
um der zu erwartenden Vortheile willen in ganz unzurechnungsfähigen Alter
von den Verwandten zum geistlichen Stande bestimmt werden, auch in der
evangelischen Kirche geht die Bestimmung zum geistlichen Berufe meist von
den Eltern aus. Natürlich soll damit nicht ausgeschlossen sein, weder, daß
auch in vielen angehenden Jünglingen schon eine innere Neigung, ein innerer
Beruf, dabei mitwirke, noch daß im Laufe des theologischen Studiums die
Neigung dazu gewonnen werde. Aber das Mißverhältniß der Stellung der
Geistlichen zu den anderen Berufsarten erscheint eben darin, daß Geistliche,
Schullehrer, Bürger und Bauern ihre Söhne nicht mehr in eine solche Lage
bringen wollen.

Zweitens wird eingewendet, oder kann wenigstens eingewendet werden,
daß durch eine bessere, den andern Berufsarten gleichstehende Stellung der
Geistlichen der geistliche Beruf selbst in seinem inneren Wesen verändert werde,
der gleichsam ein Sinnbild der Niedrigkeit und Demuth sein müsse, so
daß die Geistlichen auf die materiellen Güter keinen Werth legen dürften.


Arbeiten bei den Advocaten verdienen, und dann nach vielleicht auch 10 Jah¬
ren als Assessoren auch nur 1000—1200 si.. Aber sie rücken weiter, und können,
wenn sie sich nichts zu Schulden kommen lassen, aufs Weiterrücken zählen,
und auf bedeutend höhere Gehalte, während die Geistlichen durchschnittlich
bei einer Besoldung bleiben, die dort nur das Anfangsgehalt ist, die Mediciner
aber sehr bald in eine zufriedenstellende Lage kommen, und Alles, was zur
Industrie und zum Handel gehört, sich mit dem Gehalte der Beamten kaum
mehr vergleichen läßt. Darnach ist es begreiflich, daß auch die bisherige Besse¬
rung der Pfarrstellen noch keine eigentliche Hülfe gegen den Theologen - Man¬
gel gebracht hat und bringen wird.

Wie soll und kann es nun anders werden? — Damit treten
wir in eine allgemeinere Betrachtung ein, wie im Grunde die Ursache auch
ganz allgemein, d. h. überall gleich ist, wenn wir auch von den Hessischen
Zuständen ausgegangen sind, um eben die Ursache an concreten realen Zu¬
ständen nachzuweisen.

Unsere Antwort lautet kurz und entschieden dahin: liegt die Hauptursache
in der gänzlich ungenügenden Dotation oder äußern materiellen Lage der geist¬
lichen Stellen, so muß man diese genügend aufbessern.

Zuerst haben wir uns aber nun mit dem Einwürfe abzufinden, der Grund
der Abnahme der Theologie Studirenden liege schwerlich in der äußeren un¬
günstigen materiellen Lage, weil man doch annehmen müsse, daß nicht die
äußere Stellung, sondern der innere Beruf die jungen Männer zur Wahl der
kirchlichen Wirksamkeit treibe. Wer das sagt, der kennt die Wirklichkeit der
Lebensverhältnisse nicht. Nicht allein in der katholischen Kirche, wenn auch
dort noch mehr, so daß Kinder aus den niederen Gesellschaftsklassen förmlich
um der zu erwartenden Vortheile willen in ganz unzurechnungsfähigen Alter
von den Verwandten zum geistlichen Stande bestimmt werden, auch in der
evangelischen Kirche geht die Bestimmung zum geistlichen Berufe meist von
den Eltern aus. Natürlich soll damit nicht ausgeschlossen sein, weder, daß
auch in vielen angehenden Jünglingen schon eine innere Neigung, ein innerer
Beruf, dabei mitwirke, noch daß im Laufe des theologischen Studiums die
Neigung dazu gewonnen werde. Aber das Mißverhältniß der Stellung der
Geistlichen zu den anderen Berufsarten erscheint eben darin, daß Geistliche,
Schullehrer, Bürger und Bauern ihre Söhne nicht mehr in eine solche Lage
bringen wollen.

Zweitens wird eingewendet, oder kann wenigstens eingewendet werden,
daß durch eine bessere, den andern Berufsarten gleichstehende Stellung der
Geistlichen der geistliche Beruf selbst in seinem inneren Wesen verändert werde,
der gleichsam ein Sinnbild der Niedrigkeit und Demuth sein müsse, so
daß die Geistlichen auf die materiellen Güter keinen Werth legen dürften.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/252>, abgerufen am 22.07.2024.