Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

werden sollen, oder können, so ist das scheinbar zuerst und am natürlichsten
sich darbietende, auch schon vielfach wirklich angewendete, daß man den
besser dotirter Stellen, ähnlich wie in England, ihren Ueberfluß
nimmt und den bedürftigen, d. h. geringer dotirter Stellen zuwend et.
Gleichwohl müssen wir diesen Rath, und dieses Verfahren für die übelste
Auskunft erklären. Man wird diese Nachahmung Englands erst dann für
richtig erklären dürfen, wenn die in Frage kommenden sogenannten "guten"
Stellen sich auch nur annähernd mit den englischen Pfründen und Einkünften
vergleichen ließen. Da sie aber damit nicht verglichen werden können, so wird
man viel besser thun, den Gemeinden die Möglichkeit zu lassen, daß auch die
materielle Lage für begabtere Jünglinge ein Reiz mehr werde, sich dem geist¬
lichen Stande zu widmen, zumal durch die Schmälerung des Einkommens
der kleinen Zahl besser dotirter Stellen im Ganzen nichts gebessert wird.
Dazu kommt, daß die Gemeinden, die ein besser dotirtes Kirchengut haben,
schwerlich ihre Einwilligung gutwillig geben werden und schwerlich dazu ge¬
zwungen werden können. Die evangelische Kirche kennt die katholische Fiction
eines Besitzes der Kirche in communi nicht: wie immer früher die Dotationen
der einzelnen Gemeindepfarrstellen entstanden sein mögen, sie gehören, soweit
die Fundirung von anderer Seite nicht nachweisbar ist, der Kirchengemeinde,
und gerade durch eine Verfassung mit Vertretung der Einzelgemeinden werden
sich diese nicht nur ihrer Rechte bewußt werden, sondern sie auch vertheidigen.
Noch mehr werden natürlich die Patrone die Rechte ihrer Dotationen schützen,
und soweit sie ihre Rechte beweisen können, mit demselben Erfolge, wie in
Schottland. Daran wird schon jene Auskunft, die geringeren Dotationen
durch die höheren zu bessern, ihre Schranke und Hemmung finden, im besten
Falle nur eine geringe und dazu zweifelhafte Hülfe bringen.

Dagegen wird nun das Besteuerungsrecht der Gemeinden aller¬
dings ein Hauptfactor der Hülfe werden und bleiben, kann aber ebenso sicher
allein doch nicht auskömmlich helfen. In der Stimmung und Verwirrung
der Zeit ist das Besteuerungsrecht ein zweischneidig Schwert. Bei der Frei¬
heit, die wir billigen, nach Luther's Grundsatz, "daß Niemand zum Glauben
zu zwingen, noch von seinem Unglauben mit Gebot oder Gewalt zu dringen
ist, sintemal Gott kein gezwungener Dienst gefällt, und eitel freiwillige Diener
haben will", wir sagen, bei der Freiheit, aus einer kirchlichen Gemeinschaft
auszutreten, ohne in eine andere einzutreten, und bei der Leichtigkeit (um S Sgr.)
auszutreten, werden sicher zuerst ganz wunderliche Zustände entstehen. Es ist
natürlich weder unser Wunsch, daß ein solcher Zustand allgemein werde, noch
unsere Ansicht, daß er es werden könne, aber eine ganz andere Frage ist,
ob nicht das an sich richtige Princip, so gefährlich, ja verderblich es scheint, doch
gerade durch seine Freigebung praktisch ein ganz anderes Resultat erzeugen,


werden sollen, oder können, so ist das scheinbar zuerst und am natürlichsten
sich darbietende, auch schon vielfach wirklich angewendete, daß man den
besser dotirter Stellen, ähnlich wie in England, ihren Ueberfluß
nimmt und den bedürftigen, d. h. geringer dotirter Stellen zuwend et.
Gleichwohl müssen wir diesen Rath, und dieses Verfahren für die übelste
Auskunft erklären. Man wird diese Nachahmung Englands erst dann für
richtig erklären dürfen, wenn die in Frage kommenden sogenannten „guten"
Stellen sich auch nur annähernd mit den englischen Pfründen und Einkünften
vergleichen ließen. Da sie aber damit nicht verglichen werden können, so wird
man viel besser thun, den Gemeinden die Möglichkeit zu lassen, daß auch die
materielle Lage für begabtere Jünglinge ein Reiz mehr werde, sich dem geist¬
lichen Stande zu widmen, zumal durch die Schmälerung des Einkommens
der kleinen Zahl besser dotirter Stellen im Ganzen nichts gebessert wird.
Dazu kommt, daß die Gemeinden, die ein besser dotirtes Kirchengut haben,
schwerlich ihre Einwilligung gutwillig geben werden und schwerlich dazu ge¬
zwungen werden können. Die evangelische Kirche kennt die katholische Fiction
eines Besitzes der Kirche in communi nicht: wie immer früher die Dotationen
der einzelnen Gemeindepfarrstellen entstanden sein mögen, sie gehören, soweit
die Fundirung von anderer Seite nicht nachweisbar ist, der Kirchengemeinde,
und gerade durch eine Verfassung mit Vertretung der Einzelgemeinden werden
sich diese nicht nur ihrer Rechte bewußt werden, sondern sie auch vertheidigen.
Noch mehr werden natürlich die Patrone die Rechte ihrer Dotationen schützen,
und soweit sie ihre Rechte beweisen können, mit demselben Erfolge, wie in
Schottland. Daran wird schon jene Auskunft, die geringeren Dotationen
durch die höheren zu bessern, ihre Schranke und Hemmung finden, im besten
Falle nur eine geringe und dazu zweifelhafte Hülfe bringen.

Dagegen wird nun das Besteuerungsrecht der Gemeinden aller¬
dings ein Hauptfactor der Hülfe werden und bleiben, kann aber ebenso sicher
allein doch nicht auskömmlich helfen. In der Stimmung und Verwirrung
der Zeit ist das Besteuerungsrecht ein zweischneidig Schwert. Bei der Frei¬
heit, die wir billigen, nach Luther's Grundsatz, „daß Niemand zum Glauben
zu zwingen, noch von seinem Unglauben mit Gebot oder Gewalt zu dringen
ist, sintemal Gott kein gezwungener Dienst gefällt, und eitel freiwillige Diener
haben will", wir sagen, bei der Freiheit, aus einer kirchlichen Gemeinschaft
auszutreten, ohne in eine andere einzutreten, und bei der Leichtigkeit (um S Sgr.)
auszutreten, werden sicher zuerst ganz wunderliche Zustände entstehen. Es ist
natürlich weder unser Wunsch, daß ein solcher Zustand allgemein werde, noch
unsere Ansicht, daß er es werden könne, aber eine ganz andere Frage ist,
ob nicht das an sich richtige Princip, so gefährlich, ja verderblich es scheint, doch
gerade durch seine Freigebung praktisch ein ganz anderes Resultat erzeugen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0254" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133014"/>
          <p xml:id="ID_849" prev="#ID_848"> werden sollen, oder können, so ist das scheinbar zuerst und am natürlichsten<lb/>
sich darbietende, auch schon vielfach wirklich angewendete, daß man den<lb/>
besser dotirter Stellen, ähnlich wie in England, ihren Ueberfluß<lb/>
nimmt und den bedürftigen, d. h. geringer dotirter Stellen zuwend et.<lb/>
Gleichwohl müssen wir diesen Rath, und dieses Verfahren für die übelste<lb/>
Auskunft erklären. Man wird diese Nachahmung Englands erst dann für<lb/>
richtig erklären dürfen, wenn die in Frage kommenden sogenannten &#x201E;guten"<lb/>
Stellen sich auch nur annähernd mit den englischen Pfründen und Einkünften<lb/>
vergleichen ließen. Da sie aber damit nicht verglichen werden können, so wird<lb/>
man viel besser thun, den Gemeinden die Möglichkeit zu lassen, daß auch die<lb/>
materielle Lage für begabtere Jünglinge ein Reiz mehr werde, sich dem geist¬<lb/>
lichen Stande zu widmen, zumal durch die Schmälerung des Einkommens<lb/>
der kleinen Zahl besser dotirter Stellen im Ganzen nichts gebessert wird.<lb/>
Dazu kommt, daß die Gemeinden, die ein besser dotirtes Kirchengut haben,<lb/>
schwerlich ihre Einwilligung gutwillig geben werden und schwerlich dazu ge¬<lb/>
zwungen werden können. Die evangelische Kirche kennt die katholische Fiction<lb/>
eines Besitzes der Kirche in communi nicht: wie immer früher die Dotationen<lb/>
der einzelnen Gemeindepfarrstellen entstanden sein mögen, sie gehören, soweit<lb/>
die Fundirung von anderer Seite nicht nachweisbar ist, der Kirchengemeinde,<lb/>
und gerade durch eine Verfassung mit Vertretung der Einzelgemeinden werden<lb/>
sich diese nicht nur ihrer Rechte bewußt werden, sondern sie auch vertheidigen.<lb/>
Noch mehr werden natürlich die Patrone die Rechte ihrer Dotationen schützen,<lb/>
und soweit sie ihre Rechte beweisen können, mit demselben Erfolge, wie in<lb/>
Schottland. Daran wird schon jene Auskunft, die geringeren Dotationen<lb/>
durch die höheren zu bessern, ihre Schranke und Hemmung finden, im besten<lb/>
Falle nur eine geringe und dazu zweifelhafte Hülfe bringen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_850" next="#ID_851"> Dagegen wird nun das Besteuerungsrecht der Gemeinden aller¬<lb/>
dings ein Hauptfactor der Hülfe werden und bleiben, kann aber ebenso sicher<lb/>
allein doch nicht auskömmlich helfen. In der Stimmung und Verwirrung<lb/>
der Zeit ist das Besteuerungsrecht ein zweischneidig Schwert. Bei der Frei¬<lb/>
heit, die wir billigen, nach Luther's Grundsatz, &#x201E;daß Niemand zum Glauben<lb/>
zu zwingen, noch von seinem Unglauben mit Gebot oder Gewalt zu dringen<lb/>
ist, sintemal Gott kein gezwungener Dienst gefällt, und eitel freiwillige Diener<lb/>
haben will", wir sagen, bei der Freiheit, aus einer kirchlichen Gemeinschaft<lb/>
auszutreten, ohne in eine andere einzutreten, und bei der Leichtigkeit (um S Sgr.)<lb/>
auszutreten, werden sicher zuerst ganz wunderliche Zustände entstehen. Es ist<lb/>
natürlich weder unser Wunsch, daß ein solcher Zustand allgemein werde, noch<lb/>
unsere Ansicht, daß er es werden könne, aber eine ganz andere Frage ist,<lb/>
ob nicht das an sich richtige Princip, so gefährlich, ja verderblich es scheint, doch<lb/>
gerade durch seine Freigebung praktisch ein ganz anderes Resultat erzeugen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0254] werden sollen, oder können, so ist das scheinbar zuerst und am natürlichsten sich darbietende, auch schon vielfach wirklich angewendete, daß man den besser dotirter Stellen, ähnlich wie in England, ihren Ueberfluß nimmt und den bedürftigen, d. h. geringer dotirter Stellen zuwend et. Gleichwohl müssen wir diesen Rath, und dieses Verfahren für die übelste Auskunft erklären. Man wird diese Nachahmung Englands erst dann für richtig erklären dürfen, wenn die in Frage kommenden sogenannten „guten" Stellen sich auch nur annähernd mit den englischen Pfründen und Einkünften vergleichen ließen. Da sie aber damit nicht verglichen werden können, so wird man viel besser thun, den Gemeinden die Möglichkeit zu lassen, daß auch die materielle Lage für begabtere Jünglinge ein Reiz mehr werde, sich dem geist¬ lichen Stande zu widmen, zumal durch die Schmälerung des Einkommens der kleinen Zahl besser dotirter Stellen im Ganzen nichts gebessert wird. Dazu kommt, daß die Gemeinden, die ein besser dotirtes Kirchengut haben, schwerlich ihre Einwilligung gutwillig geben werden und schwerlich dazu ge¬ zwungen werden können. Die evangelische Kirche kennt die katholische Fiction eines Besitzes der Kirche in communi nicht: wie immer früher die Dotationen der einzelnen Gemeindepfarrstellen entstanden sein mögen, sie gehören, soweit die Fundirung von anderer Seite nicht nachweisbar ist, der Kirchengemeinde, und gerade durch eine Verfassung mit Vertretung der Einzelgemeinden werden sich diese nicht nur ihrer Rechte bewußt werden, sondern sie auch vertheidigen. Noch mehr werden natürlich die Patrone die Rechte ihrer Dotationen schützen, und soweit sie ihre Rechte beweisen können, mit demselben Erfolge, wie in Schottland. Daran wird schon jene Auskunft, die geringeren Dotationen durch die höheren zu bessern, ihre Schranke und Hemmung finden, im besten Falle nur eine geringe und dazu zweifelhafte Hülfe bringen. Dagegen wird nun das Besteuerungsrecht der Gemeinden aller¬ dings ein Hauptfactor der Hülfe werden und bleiben, kann aber ebenso sicher allein doch nicht auskömmlich helfen. In der Stimmung und Verwirrung der Zeit ist das Besteuerungsrecht ein zweischneidig Schwert. Bei der Frei¬ heit, die wir billigen, nach Luther's Grundsatz, „daß Niemand zum Glauben zu zwingen, noch von seinem Unglauben mit Gebot oder Gewalt zu dringen ist, sintemal Gott kein gezwungener Dienst gefällt, und eitel freiwillige Diener haben will", wir sagen, bei der Freiheit, aus einer kirchlichen Gemeinschaft auszutreten, ohne in eine andere einzutreten, und bei der Leichtigkeit (um S Sgr.) auszutreten, werden sicher zuerst ganz wunderliche Zustände entstehen. Es ist natürlich weder unser Wunsch, daß ein solcher Zustand allgemein werde, noch unsere Ansicht, daß er es werden könne, aber eine ganz andere Frage ist, ob nicht das an sich richtige Princip, so gefährlich, ja verderblich es scheint, doch gerade durch seine Freigebung praktisch ein ganz anderes Resultat erzeugen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/254
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/254>, abgerufen am 23.07.2024.