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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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gebessert wird, als es bis jetzt geschehen ist, sich der Mangel an Theologen
schwerlich verlieren wird.

Betrachten wir einmal die Lage der Candidaten des evangelischen Predigt¬
amts im Großherzogthum Hessen, wie sie bis zur Bewilligung des Minimal¬
gehaltes von 1000 si. gewesen ist, durch einen concreten (auch ganz historischen)
Fall. Wir nehmen an, es gingen zwei junge Leute nach der Confirmation
aus der Volksschule ab, etwa 14 Jahre alt, der eine auf das Gymnasium,
um später Theologie zu studiren, der andere auf die Realschule. Nach 6 Jahren
hat der Realschüler eine Stelle als Commis in irgend einem Geschäfte mit
1000 --1200 si. Gehalt, der stuäios. tliczol. dagegen hat vielleicht 1 oder
2 Jahre seiner akademischen Studien überstanden, hat aber noch vor sich
1 oder 2 Jahre Aufenthalt in Gießen, 1 Jahr auf dem Predigerseminar in
Friedberg, dazu Faeultäts- und Staatsexamen, dann 10 Jahre als Vicar mit
100 (jetzt 250) si. und Essen bei dem Pfarrer, und -- nach 10 -- 12 Vicars-
jahren -- eine Pfarrstelle mit 500 -- 700 si., dabei aber die Präsentations¬
stellen nicht zu vergessen, so daß bei ^/z aller Pfarrstellen jüngere Candidaten
zu aller obigen Misere hinzu auch noch den älteren vorgezogen werden können.
Ist es da ein Wunder, wenn bis zur Aufstellung des Minimalgehaltes von
1000 si. niemand mehr im-Großherzogthum Hessen Theologie studiren wollte?

Durch die Aufstellung, bezw. Gewährung eines Minimalgehaltes ist die
Lage der Geistlichen, zunächst der Candidaten des Predigtamtes, nun soweit
verändert worden, daß statt der drohenden 500 -- 700 si. wenigstens 1000 si.
als Pfarrgehalt in Aussicht stehen. Aber nach welcher Zeit? -- Denn noch
geht das Vicariat fort, noch hört man die Klagen, daß junge Männer von
32 -- 36-- 38 Jahren noch Vicare sind, und daß eben Stellen -- vicarirt
werden. Daß man früher ein großes Unrecht damit gethan hat, daß man
die Stellen nicht definitiv mit neuen Pfarrern besetzte, sondern sie durch Vicare
versehen ließ, denen man nur einen Theil der Pfarrbesoldungen gab, während
der größere Theil zu Bau und Besserung der Kirchen-, Pfarr- und Schul¬
gebäude verwendet wurde, daß also eigentlich die armen Vicare mit
den ihnen abgezogenen oder vorenthaltenen (nicht gewährten) Be¬
soldungsquoten die Kirchen-, Psarr- und Schulgebäude haben
bauen müssen, wird, wenn auch die einzelnen Fälle nur actenmäßig zu con-
statiren sind, doch kaum geleugnet werden können, und hat sicher die Lust zum
Candidaten- bezw. Vicar-Stande nicht vermehrt.

Dazu kommen aber die noch immer äußerst geringen Dotationen der
meisten Pfarrstellen selbst, die mit den Besoldungen und Erträgnißen anderer
Berufsarten in gar keinem Verhältnisse stehen. Allerdings erhalten auch die
jungen Juristen längere Zeit als Accessisten nichts, oder doch wenig, durch
Diäten, oder durch besondere Verwendung, -- sonst nur, was sie durch ihre


gebessert wird, als es bis jetzt geschehen ist, sich der Mangel an Theologen
schwerlich verlieren wird.

Betrachten wir einmal die Lage der Candidaten des evangelischen Predigt¬
amts im Großherzogthum Hessen, wie sie bis zur Bewilligung des Minimal¬
gehaltes von 1000 si. gewesen ist, durch einen concreten (auch ganz historischen)
Fall. Wir nehmen an, es gingen zwei junge Leute nach der Confirmation
aus der Volksschule ab, etwa 14 Jahre alt, der eine auf das Gymnasium,
um später Theologie zu studiren, der andere auf die Realschule. Nach 6 Jahren
hat der Realschüler eine Stelle als Commis in irgend einem Geschäfte mit
1000 —1200 si. Gehalt, der stuäios. tliczol. dagegen hat vielleicht 1 oder
2 Jahre seiner akademischen Studien überstanden, hat aber noch vor sich
1 oder 2 Jahre Aufenthalt in Gießen, 1 Jahr auf dem Predigerseminar in
Friedberg, dazu Faeultäts- und Staatsexamen, dann 10 Jahre als Vicar mit
100 (jetzt 250) si. und Essen bei dem Pfarrer, und — nach 10 — 12 Vicars-
jahren — eine Pfarrstelle mit 500 — 700 si., dabei aber die Präsentations¬
stellen nicht zu vergessen, so daß bei ^/z aller Pfarrstellen jüngere Candidaten
zu aller obigen Misere hinzu auch noch den älteren vorgezogen werden können.
Ist es da ein Wunder, wenn bis zur Aufstellung des Minimalgehaltes von
1000 si. niemand mehr im-Großherzogthum Hessen Theologie studiren wollte?

Durch die Aufstellung, bezw. Gewährung eines Minimalgehaltes ist die
Lage der Geistlichen, zunächst der Candidaten des Predigtamtes, nun soweit
verändert worden, daß statt der drohenden 500 — 700 si. wenigstens 1000 si.
als Pfarrgehalt in Aussicht stehen. Aber nach welcher Zeit? — Denn noch
geht das Vicariat fort, noch hört man die Klagen, daß junge Männer von
32 — 36— 38 Jahren noch Vicare sind, und daß eben Stellen — vicarirt
werden. Daß man früher ein großes Unrecht damit gethan hat, daß man
die Stellen nicht definitiv mit neuen Pfarrern besetzte, sondern sie durch Vicare
versehen ließ, denen man nur einen Theil der Pfarrbesoldungen gab, während
der größere Theil zu Bau und Besserung der Kirchen-, Pfarr- und Schul¬
gebäude verwendet wurde, daß also eigentlich die armen Vicare mit
den ihnen abgezogenen oder vorenthaltenen (nicht gewährten) Be¬
soldungsquoten die Kirchen-, Psarr- und Schulgebäude haben
bauen müssen, wird, wenn auch die einzelnen Fälle nur actenmäßig zu con-
statiren sind, doch kaum geleugnet werden können, und hat sicher die Lust zum
Candidaten- bezw. Vicar-Stande nicht vermehrt.

Dazu kommen aber die noch immer äußerst geringen Dotationen der
meisten Pfarrstellen selbst, die mit den Besoldungen und Erträgnißen anderer
Berufsarten in gar keinem Verhältnisse stehen. Allerdings erhalten auch die
jungen Juristen längere Zeit als Accessisten nichts, oder doch wenig, durch
Diäten, oder durch besondere Verwendung, — sonst nur, was sie durch ihre


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[0251] gebessert wird, als es bis jetzt geschehen ist, sich der Mangel an Theologen schwerlich verlieren wird. Betrachten wir einmal die Lage der Candidaten des evangelischen Predigt¬ amts im Großherzogthum Hessen, wie sie bis zur Bewilligung des Minimal¬ gehaltes von 1000 si. gewesen ist, durch einen concreten (auch ganz historischen) Fall. Wir nehmen an, es gingen zwei junge Leute nach der Confirmation aus der Volksschule ab, etwa 14 Jahre alt, der eine auf das Gymnasium, um später Theologie zu studiren, der andere auf die Realschule. Nach 6 Jahren hat der Realschüler eine Stelle als Commis in irgend einem Geschäfte mit 1000 —1200 si. Gehalt, der stuäios. tliczol. dagegen hat vielleicht 1 oder 2 Jahre seiner akademischen Studien überstanden, hat aber noch vor sich 1 oder 2 Jahre Aufenthalt in Gießen, 1 Jahr auf dem Predigerseminar in Friedberg, dazu Faeultäts- und Staatsexamen, dann 10 Jahre als Vicar mit 100 (jetzt 250) si. und Essen bei dem Pfarrer, und — nach 10 — 12 Vicars- jahren — eine Pfarrstelle mit 500 — 700 si., dabei aber die Präsentations¬ stellen nicht zu vergessen, so daß bei ^/z aller Pfarrstellen jüngere Candidaten zu aller obigen Misere hinzu auch noch den älteren vorgezogen werden können. Ist es da ein Wunder, wenn bis zur Aufstellung des Minimalgehaltes von 1000 si. niemand mehr im-Großherzogthum Hessen Theologie studiren wollte? Durch die Aufstellung, bezw. Gewährung eines Minimalgehaltes ist die Lage der Geistlichen, zunächst der Candidaten des Predigtamtes, nun soweit verändert worden, daß statt der drohenden 500 — 700 si. wenigstens 1000 si. als Pfarrgehalt in Aussicht stehen. Aber nach welcher Zeit? — Denn noch geht das Vicariat fort, noch hört man die Klagen, daß junge Männer von 32 — 36— 38 Jahren noch Vicare sind, und daß eben Stellen — vicarirt werden. Daß man früher ein großes Unrecht damit gethan hat, daß man die Stellen nicht definitiv mit neuen Pfarrern besetzte, sondern sie durch Vicare versehen ließ, denen man nur einen Theil der Pfarrbesoldungen gab, während der größere Theil zu Bau und Besserung der Kirchen-, Pfarr- und Schul¬ gebäude verwendet wurde, daß also eigentlich die armen Vicare mit den ihnen abgezogenen oder vorenthaltenen (nicht gewährten) Be¬ soldungsquoten die Kirchen-, Psarr- und Schulgebäude haben bauen müssen, wird, wenn auch die einzelnen Fälle nur actenmäßig zu con- statiren sind, doch kaum geleugnet werden können, und hat sicher die Lust zum Candidaten- bezw. Vicar-Stande nicht vermehrt. Dazu kommen aber die noch immer äußerst geringen Dotationen der meisten Pfarrstellen selbst, die mit den Besoldungen und Erträgnißen anderer Berufsarten in gar keinem Verhältnisse stehen. Allerdings erhalten auch die jungen Juristen längere Zeit als Accessisten nichts, oder doch wenig, durch Diäten, oder durch besondere Verwendung, — sonst nur, was sie durch ihre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/251>, abgerufen am 03.07.2024.