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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Theatern drängt sich einem sofort die Bemerkung auf, daß man sich in einem
sehr wohlhabenden Lande befindet, denn ganz abgesehen von den sehr hohen
Eintrittspreisen, selbst der letzten Plätze, die schon deutlich genug sprechen,
begegnet man hier einer solchen Fülle bedeutender fremder Künstler, sieht
man so viele Kunstproducte, die ein anderer als der englische Himmel gezei¬
tigt hat, in den hiesigen Sammlungen, daß man auch hier wieder bestätigt
findet, daß für Geld Vieles, rvo nicht Alles zu haben ist. Aber in engem
Zusammenhang mit diesem Bestreben für sein gutes Geld sich den Segen der
Kunst zu erkaufen, steht denn auch die Thatsache, daß neben sehr vielen Kunst¬
größen von europäischem Rufe auch eine große Masse solcher zu finden ist,
welche sich mit richtiger Menschenkenntniß dasjenige Land ausgesucht haben
um ihre herrlichen Talente glänzen zu lassen, in welchem die alte Wahrheit:
"es ist nicht alles Gold was glänzt" in Hinsicht aus die Kunst dann um so
weniger betrachtet wird, wenn dieser trügerische Glanz mit wirklichem Golde
aufgewogen werden muß.

Es hat wirklich den Anschein, als ob das englische Volk es nothwendig
hätte, in seinen Kunstgenüssen und besonders in der Musik zu fremden Kräften
feine Zuflucht zu nehmen. So bleibt z. B. von der sogenannten englischen
Musik sehr wenig übrig, wenn man Händel, den der Brite mit Borliebe zu
den Seinen gehörend aufführt, für Deutschland zurückfordert; und hinsichtlich
der Malerei kann man die Bemerkung machen, daß in der Nationalgallerie
zu London ganze große Säle mit Turner'schen Bildern angefüllt sind -- mit
Bildern, in denen das Verschwommene eines englischen Nebeltages eine allzu
hervorragende Rolle spielt -- deren Mannhaftigkeit in einer Sammlung von
Kunstwerken, nicht nur von Studien, sich trotz Turner's nationalenglischer
Herkunft wohl nur daraus erklären läßt, daß andere Nationen für derartige
Pinselproducte kein Verständniß haben und dieselben doch irgend wo unterge¬
bracht werden mußten; der Engländer aber wallfahrtet mit Kind und Kegel
hauptsächlich in diese Säle, verdirbt dabei seinen Geschmack und den der
jüngern Generation noch gründlicher und läßt die andern Abtheilungen, in
denen wirklich herrliche Kunstwerke hängen, mehr oder minder unbesehen.

Trotz des Reichthums der englischen Großstädte bieten dieselben, abge¬
sehen von der Hauptstadt, herzlich wenig an ernsten genußreichen Vergnügungen.
In Städten von weit über 100,000 Einwohnern bis zu solchen von nahe an
einer halben Million werden Concerte und Opernvorstellungen unter der leb¬
haftesten Betheiligung der sogenannten bessern Stände und dem widerwär¬
tigsten Beifallsgetöse der in feinstem Ballanzuge anwesenden Zuhörer aufge¬
führt, welche in einer deutschen Mittelstadt von noch nicht 50.000 Einwoh¬
nern als mittelmäßige Leistungen bezeichnet werden würden und die sich in
deutschen Großstädten kaum auf vorstädtische Winkelbühnen wagen dürften.


Theatern drängt sich einem sofort die Bemerkung auf, daß man sich in einem
sehr wohlhabenden Lande befindet, denn ganz abgesehen von den sehr hohen
Eintrittspreisen, selbst der letzten Plätze, die schon deutlich genug sprechen,
begegnet man hier einer solchen Fülle bedeutender fremder Künstler, sieht
man so viele Kunstproducte, die ein anderer als der englische Himmel gezei¬
tigt hat, in den hiesigen Sammlungen, daß man auch hier wieder bestätigt
findet, daß für Geld Vieles, rvo nicht Alles zu haben ist. Aber in engem
Zusammenhang mit diesem Bestreben für sein gutes Geld sich den Segen der
Kunst zu erkaufen, steht denn auch die Thatsache, daß neben sehr vielen Kunst¬
größen von europäischem Rufe auch eine große Masse solcher zu finden ist,
welche sich mit richtiger Menschenkenntniß dasjenige Land ausgesucht haben
um ihre herrlichen Talente glänzen zu lassen, in welchem die alte Wahrheit:
„es ist nicht alles Gold was glänzt" in Hinsicht aus die Kunst dann um so
weniger betrachtet wird, wenn dieser trügerische Glanz mit wirklichem Golde
aufgewogen werden muß.

Es hat wirklich den Anschein, als ob das englische Volk es nothwendig
hätte, in seinen Kunstgenüssen und besonders in der Musik zu fremden Kräften
feine Zuflucht zu nehmen. So bleibt z. B. von der sogenannten englischen
Musik sehr wenig übrig, wenn man Händel, den der Brite mit Borliebe zu
den Seinen gehörend aufführt, für Deutschland zurückfordert; und hinsichtlich
der Malerei kann man die Bemerkung machen, daß in der Nationalgallerie
zu London ganze große Säle mit Turner'schen Bildern angefüllt sind — mit
Bildern, in denen das Verschwommene eines englischen Nebeltages eine allzu
hervorragende Rolle spielt — deren Mannhaftigkeit in einer Sammlung von
Kunstwerken, nicht nur von Studien, sich trotz Turner's nationalenglischer
Herkunft wohl nur daraus erklären läßt, daß andere Nationen für derartige
Pinselproducte kein Verständniß haben und dieselben doch irgend wo unterge¬
bracht werden mußten; der Engländer aber wallfahrtet mit Kind und Kegel
hauptsächlich in diese Säle, verdirbt dabei seinen Geschmack und den der
jüngern Generation noch gründlicher und läßt die andern Abtheilungen, in
denen wirklich herrliche Kunstwerke hängen, mehr oder minder unbesehen.

Trotz des Reichthums der englischen Großstädte bieten dieselben, abge¬
sehen von der Hauptstadt, herzlich wenig an ernsten genußreichen Vergnügungen.
In Städten von weit über 100,000 Einwohnern bis zu solchen von nahe an
einer halben Million werden Concerte und Opernvorstellungen unter der leb¬
haftesten Betheiligung der sogenannten bessern Stände und dem widerwär¬
tigsten Beifallsgetöse der in feinstem Ballanzuge anwesenden Zuhörer aufge¬
führt, welche in einer deutschen Mittelstadt von noch nicht 50.000 Einwoh¬
nern als mittelmäßige Leistungen bezeichnet werden würden und die sich in
deutschen Großstädten kaum auf vorstädtische Winkelbühnen wagen dürften.


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[0226] Theatern drängt sich einem sofort die Bemerkung auf, daß man sich in einem sehr wohlhabenden Lande befindet, denn ganz abgesehen von den sehr hohen Eintrittspreisen, selbst der letzten Plätze, die schon deutlich genug sprechen, begegnet man hier einer solchen Fülle bedeutender fremder Künstler, sieht man so viele Kunstproducte, die ein anderer als der englische Himmel gezei¬ tigt hat, in den hiesigen Sammlungen, daß man auch hier wieder bestätigt findet, daß für Geld Vieles, rvo nicht Alles zu haben ist. Aber in engem Zusammenhang mit diesem Bestreben für sein gutes Geld sich den Segen der Kunst zu erkaufen, steht denn auch die Thatsache, daß neben sehr vielen Kunst¬ größen von europäischem Rufe auch eine große Masse solcher zu finden ist, welche sich mit richtiger Menschenkenntniß dasjenige Land ausgesucht haben um ihre herrlichen Talente glänzen zu lassen, in welchem die alte Wahrheit: „es ist nicht alles Gold was glänzt" in Hinsicht aus die Kunst dann um so weniger betrachtet wird, wenn dieser trügerische Glanz mit wirklichem Golde aufgewogen werden muß. Es hat wirklich den Anschein, als ob das englische Volk es nothwendig hätte, in seinen Kunstgenüssen und besonders in der Musik zu fremden Kräften feine Zuflucht zu nehmen. So bleibt z. B. von der sogenannten englischen Musik sehr wenig übrig, wenn man Händel, den der Brite mit Borliebe zu den Seinen gehörend aufführt, für Deutschland zurückfordert; und hinsichtlich der Malerei kann man die Bemerkung machen, daß in der Nationalgallerie zu London ganze große Säle mit Turner'schen Bildern angefüllt sind — mit Bildern, in denen das Verschwommene eines englischen Nebeltages eine allzu hervorragende Rolle spielt — deren Mannhaftigkeit in einer Sammlung von Kunstwerken, nicht nur von Studien, sich trotz Turner's nationalenglischer Herkunft wohl nur daraus erklären läßt, daß andere Nationen für derartige Pinselproducte kein Verständniß haben und dieselben doch irgend wo unterge¬ bracht werden mußten; der Engländer aber wallfahrtet mit Kind und Kegel hauptsächlich in diese Säle, verdirbt dabei seinen Geschmack und den der jüngern Generation noch gründlicher und läßt die andern Abtheilungen, in denen wirklich herrliche Kunstwerke hängen, mehr oder minder unbesehen. Trotz des Reichthums der englischen Großstädte bieten dieselben, abge¬ sehen von der Hauptstadt, herzlich wenig an ernsten genußreichen Vergnügungen. In Städten von weit über 100,000 Einwohnern bis zu solchen von nahe an einer halben Million werden Concerte und Opernvorstellungen unter der leb¬ haftesten Betheiligung der sogenannten bessern Stände und dem widerwär¬ tigsten Beifallsgetöse der in feinstem Ballanzuge anwesenden Zuhörer aufge¬ führt, welche in einer deutschen Mittelstadt von noch nicht 50.000 Einwoh¬ nern als mittelmäßige Leistungen bezeichnet werden würden und die sich in deutschen Großstädten kaum auf vorstädtische Winkelbühnen wagen dürften.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/226>, abgerufen am 23.07.2024.