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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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10 Fr. Als Motto trägt das erste Kapitel "1.0 Vcmillotiömv" das interessante
Wort L. Veuillot's in seinen "?616riimFvs av Luisss": "Ich für meine Person
gestehe offen, daß ich es bedaure, daß man Johannes Huß nicht früher und
Luthern überhaupt nicht verbrannt hat, daß sich kein Fürst fand, der fromm
und politisch genug gewesen ist, einen Kreuzzug gegen die Protestanten zu
unternehmen."

Das Urtheil, welches die Flugschrift -- ihr Verfasser ist ein Herr Eduard
de Pompery, Bruder des radicalen Abgeordneten, der schon mehrfach unter
dem angenommenen Namen Sempronius geschrieben hat -- das Urtheil,
welches die Flugschrift über diesen liebevollen Christen , dem die Kirchenge¬
schichte zu wenig Bluthochzeiten hervorgebracht hat, und über diese Art von
Christenthum fällt, können wir füglich bei Seite lassen. Auch die weitern
Kapitel, welche sich kaum über das Niveau leichter Freidenkerei nach freige¬
meindlicher Art erheben, sind kaum des Lesens, geschweige einer Uebersetzung
werth. Was uns interessirt. ist lediglich das letzte Kapitel mit jener über¬
raschenden Ueberschrift, die den "Univers" mit der höchsten Entrüstung er¬
füllt hat. Denn der Inhalt ist nicht weniger überraschend, als die Ueber¬
schrift, und man staunt, daß sich ein Franzose mit diesem Gedanken, wenn
ihn auch viele schon lange im Geheimen hegen mögen, an die Oeffentlichkeit
gewagt hat. Das deutet jedenfalls auf das Vorhandensein einer gewissen
Empfänglichkeit wenigstens in radicalen Kreisen, welche man vom deutschen
und liberalen Standpunkt nur mit Freude begrüßen kann.

Das vorletzte Kapitel VMgion" schließt mit folgendem Resume': "Die
Frage wird mehr und mehr einfach: der Katholicismus -- so sagt der
radicale Sempronius durchweg für Ultramontanismus -- bedeutet Herab¬
würdigung, charakterisirt und hervorgebracht durch das, was man Unter¬
werfung nennt, d. h. Abdankung der Vernunft, Erwürgung des Gewissens,
moralische Sclaverei, das Vorspiel jeder anderen; der Protestantismus
dagegen bedeutet Fortschritt durch Befreiung des Geistes, durch Erweckung des
Gewissens und das Gefühl persönlicher Verantwortlichkeit, die Vorbedingung
aller anderen Freiheiten. Es gilt zu wählen!" --

Dann folgt das Kapitel: "Nerei ü. Suillaume!" Es lautet in wört¬
licher Uebersetzung:

"Mit Veuillot haben wir begonnen, mit Wilhelm endigen wir. Dank
Dir, Wilhelm von Hohenzollern! Nicht als ob ich Deine Hand berühren wollte.
Sie ist befleckt vom Herzblut eines Volkes! Aber Du bist ein großer Revo¬
lutionär, ohne es zu wissen und zu wollen! Trotz Deiner Frömmigkeit und
Deines Pietismus ist Dein Schwert protestantisch und im Namen des Pro¬
testantismus trifft es! das ist viel. Es gab in Oesterreich eine apostolische
Majestät, die älteste und ergebenste Bundesgenossin des Papstes. Du berührst


10 Fr. Als Motto trägt das erste Kapitel „1.0 Vcmillotiömv" das interessante
Wort L. Veuillot's in seinen „?616riimFvs av Luisss": „Ich für meine Person
gestehe offen, daß ich es bedaure, daß man Johannes Huß nicht früher und
Luthern überhaupt nicht verbrannt hat, daß sich kein Fürst fand, der fromm
und politisch genug gewesen ist, einen Kreuzzug gegen die Protestanten zu
unternehmen."

Das Urtheil, welches die Flugschrift — ihr Verfasser ist ein Herr Eduard
de Pompery, Bruder des radicalen Abgeordneten, der schon mehrfach unter
dem angenommenen Namen Sempronius geschrieben hat — das Urtheil,
welches die Flugschrift über diesen liebevollen Christen , dem die Kirchenge¬
schichte zu wenig Bluthochzeiten hervorgebracht hat, und über diese Art von
Christenthum fällt, können wir füglich bei Seite lassen. Auch die weitern
Kapitel, welche sich kaum über das Niveau leichter Freidenkerei nach freige¬
meindlicher Art erheben, sind kaum des Lesens, geschweige einer Uebersetzung
werth. Was uns interessirt. ist lediglich das letzte Kapitel mit jener über¬
raschenden Ueberschrift, die den „Univers" mit der höchsten Entrüstung er¬
füllt hat. Denn der Inhalt ist nicht weniger überraschend, als die Ueber¬
schrift, und man staunt, daß sich ein Franzose mit diesem Gedanken, wenn
ihn auch viele schon lange im Geheimen hegen mögen, an die Oeffentlichkeit
gewagt hat. Das deutet jedenfalls auf das Vorhandensein einer gewissen
Empfänglichkeit wenigstens in radicalen Kreisen, welche man vom deutschen
und liberalen Standpunkt nur mit Freude begrüßen kann.

Das vorletzte Kapitel VMgion« schließt mit folgendem Resume': „Die
Frage wird mehr und mehr einfach: der Katholicismus — so sagt der
radicale Sempronius durchweg für Ultramontanismus — bedeutet Herab¬
würdigung, charakterisirt und hervorgebracht durch das, was man Unter¬
werfung nennt, d. h. Abdankung der Vernunft, Erwürgung des Gewissens,
moralische Sclaverei, das Vorspiel jeder anderen; der Protestantismus
dagegen bedeutet Fortschritt durch Befreiung des Geistes, durch Erweckung des
Gewissens und das Gefühl persönlicher Verantwortlichkeit, die Vorbedingung
aller anderen Freiheiten. Es gilt zu wählen!" —

Dann folgt das Kapitel: „Nerei ü. Suillaume!" Es lautet in wört¬
licher Uebersetzung:

„Mit Veuillot haben wir begonnen, mit Wilhelm endigen wir. Dank
Dir, Wilhelm von Hohenzollern! Nicht als ob ich Deine Hand berühren wollte.
Sie ist befleckt vom Herzblut eines Volkes! Aber Du bist ein großer Revo¬
lutionär, ohne es zu wissen und zu wollen! Trotz Deiner Frömmigkeit und
Deines Pietismus ist Dein Schwert protestantisch und im Namen des Pro¬
testantismus trifft es! das ist viel. Es gab in Oesterreich eine apostolische
Majestät, die älteste und ergebenste Bundesgenossin des Papstes. Du berührst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/204>, abgerufen am 22.07.2024.