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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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sprechen einem Franzosen von heute außerordentlich schwer werden muß, erscheint
in der Rep. franc., echt französisch, in der melancholisch-stolzen Einkleidung,
daß eben Deutschland leider in der glücklichen Lage sei, hierin die Rolle
zu spielen, welche von Gott und Rechts wegen eigentlich Frankreich gebührte.
Wären unsere großdeutschen "Demokraten", welche in der "Franks. Zeitung",
im Stuttgarter "Beobachter" und anderen Blättern die Freiheit besingen, die
sie meinen, aber nicht verstehen, wirklich politische Köpfe, so würden sie aus
dieser Bekehrung ihrer französischen Gesinnungsgenossen unendlich viel lernen.
Aber wie die Sachen einmal liegen und noch auf länger hinaus liegen wer¬
den, könnte man ohne Weiteres den kirchenpolitischen Artikel der blauen "De-
bats" in die rothe "Frankfurterin" und die der rothen "Roy. franc." in das
nächste deutsche nationalliberale Blatt setzen, ohne daß Jemand den fremden
Ursprung entdeckte. Dabei ist zu betonen, daß wir nicht den internationalen,
communistisch gefärbten Radicalismus Frankreichs im Auge haben, sondern
den gut französisch gesinnten Republikanismus, an dessen Vaterlandsliebe
sich die deutsche Demokratie der "Volkspartei" allerdings auch ein Beispiel
nehmen könnte.

Aber mehr noch, als in der radicalen französischen Tagespresse diese ver¬
nünftige, ja sympathische Beurtheilung des deutschen Kirchenstreites zum Aus¬
druck kommt, spiegelt sich der vollzogene Umschwung in der republikanischen
Broschüreliteratur ab. Die "?rvxagaväv rexudliea.me" bezw. die volksthüm-
lich gehaltenen Schriften, welche mit dieser Aufschrift namentlich bei Andre'
Sagnier in Paris erscheinen, haben allerdings der Fluth bonapartistischev
und klerikaler Flugschriften gegenüber einen harten Stand, aber die Ent¬
schiedenheit auch ihrer Sprache läßt nichts zu wünschen übrig. Es ist gleich¬
sam ein Parteikampf auf Tod und Leben, in welchem die letzten Waffen
aus den beiderseitigen Arsenälen herbeigeschafft werden ohne Sorge, ob daraus
der Gegner sich wieder neue Waffen der Verdächtigung und gehässiger Verun¬
glimpfung Schmiede.

Auf eine radicale Flugschrift dieser Art wurden wir ohnlängst in unserem
Leibblatt, dem "Univers" des Herrn Louis Veuillot, aufmerksam gemacht.
In die Augen springend prangte da über einem Artikel die Ueberschrift "Uorei
ü. QuiUaume!" und von entrüsteten Ausrufungszeichen begleitet folgten dann
einige Stellen aus einer bei Sagnier erschienenen Broschüre, in welcher ein Ka¬
pitel diese patriotisch - blasphemische Ueberschrift trage.

Meine Neugierde war geweckt. Ich ging in die Buchhandlung, kaufte
die Flugschrift und las sie "auf Einem Sitze" durch. Sie trägt den Titel:
(?roMMnSs rSxublieaimz.) Veuillotisme et Is, Religion pai-
Lelnpronius" und kostet 20 Centimes. Wer 100 Stück nimmt, bekommt
sie zu 13 Fr., wer 600, bezw. 1000 nimmt, erhält das Hundert zu 12, bezw.


sprechen einem Franzosen von heute außerordentlich schwer werden muß, erscheint
in der Rep. franc., echt französisch, in der melancholisch-stolzen Einkleidung,
daß eben Deutschland leider in der glücklichen Lage sei, hierin die Rolle
zu spielen, welche von Gott und Rechts wegen eigentlich Frankreich gebührte.
Wären unsere großdeutschen „Demokraten", welche in der „Franks. Zeitung",
im Stuttgarter „Beobachter" und anderen Blättern die Freiheit besingen, die
sie meinen, aber nicht verstehen, wirklich politische Köpfe, so würden sie aus
dieser Bekehrung ihrer französischen Gesinnungsgenossen unendlich viel lernen.
Aber wie die Sachen einmal liegen und noch auf länger hinaus liegen wer¬
den, könnte man ohne Weiteres den kirchenpolitischen Artikel der blauen „De-
bats" in die rothe „Frankfurterin" und die der rothen „Roy. franc." in das
nächste deutsche nationalliberale Blatt setzen, ohne daß Jemand den fremden
Ursprung entdeckte. Dabei ist zu betonen, daß wir nicht den internationalen,
communistisch gefärbten Radicalismus Frankreichs im Auge haben, sondern
den gut französisch gesinnten Republikanismus, an dessen Vaterlandsliebe
sich die deutsche Demokratie der „Volkspartei" allerdings auch ein Beispiel
nehmen könnte.

Aber mehr noch, als in der radicalen französischen Tagespresse diese ver¬
nünftige, ja sympathische Beurtheilung des deutschen Kirchenstreites zum Aus¬
druck kommt, spiegelt sich der vollzogene Umschwung in der republikanischen
Broschüreliteratur ab. Die „?rvxagaväv rexudliea.me" bezw. die volksthüm-
lich gehaltenen Schriften, welche mit dieser Aufschrift namentlich bei Andre'
Sagnier in Paris erscheinen, haben allerdings der Fluth bonapartistischev
und klerikaler Flugschriften gegenüber einen harten Stand, aber die Ent¬
schiedenheit auch ihrer Sprache läßt nichts zu wünschen übrig. Es ist gleich¬
sam ein Parteikampf auf Tod und Leben, in welchem die letzten Waffen
aus den beiderseitigen Arsenälen herbeigeschafft werden ohne Sorge, ob daraus
der Gegner sich wieder neue Waffen der Verdächtigung und gehässiger Verun¬
glimpfung Schmiede.

Auf eine radicale Flugschrift dieser Art wurden wir ohnlängst in unserem
Leibblatt, dem „Univers" des Herrn Louis Veuillot, aufmerksam gemacht.
In die Augen springend prangte da über einem Artikel die Ueberschrift „Uorei
ü. QuiUaume!" und von entrüsteten Ausrufungszeichen begleitet folgten dann
einige Stellen aus einer bei Sagnier erschienenen Broschüre, in welcher ein Ka¬
pitel diese patriotisch - blasphemische Ueberschrift trage.

Meine Neugierde war geweckt. Ich ging in die Buchhandlung, kaufte
die Flugschrift und las sie „auf Einem Sitze" durch. Sie trägt den Titel:
(?roMMnSs rSxublieaimz.) Veuillotisme et Is, Religion pai-
Lelnpronius» und kostet 20 Centimes. Wer 100 Stück nimmt, bekommt
sie zu 13 Fr., wer 600, bezw. 1000 nimmt, erhält das Hundert zu 12, bezw.


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[0203] sprechen einem Franzosen von heute außerordentlich schwer werden muß, erscheint in der Rep. franc., echt französisch, in der melancholisch-stolzen Einkleidung, daß eben Deutschland leider in der glücklichen Lage sei, hierin die Rolle zu spielen, welche von Gott und Rechts wegen eigentlich Frankreich gebührte. Wären unsere großdeutschen „Demokraten", welche in der „Franks. Zeitung", im Stuttgarter „Beobachter" und anderen Blättern die Freiheit besingen, die sie meinen, aber nicht verstehen, wirklich politische Köpfe, so würden sie aus dieser Bekehrung ihrer französischen Gesinnungsgenossen unendlich viel lernen. Aber wie die Sachen einmal liegen und noch auf länger hinaus liegen wer¬ den, könnte man ohne Weiteres den kirchenpolitischen Artikel der blauen „De- bats" in die rothe „Frankfurterin" und die der rothen „Roy. franc." in das nächste deutsche nationalliberale Blatt setzen, ohne daß Jemand den fremden Ursprung entdeckte. Dabei ist zu betonen, daß wir nicht den internationalen, communistisch gefärbten Radicalismus Frankreichs im Auge haben, sondern den gut französisch gesinnten Republikanismus, an dessen Vaterlandsliebe sich die deutsche Demokratie der „Volkspartei" allerdings auch ein Beispiel nehmen könnte. Aber mehr noch, als in der radicalen französischen Tagespresse diese ver¬ nünftige, ja sympathische Beurtheilung des deutschen Kirchenstreites zum Aus¬ druck kommt, spiegelt sich der vollzogene Umschwung in der republikanischen Broschüreliteratur ab. Die „?rvxagaväv rexudliea.me" bezw. die volksthüm- lich gehaltenen Schriften, welche mit dieser Aufschrift namentlich bei Andre' Sagnier in Paris erscheinen, haben allerdings der Fluth bonapartistischev und klerikaler Flugschriften gegenüber einen harten Stand, aber die Ent¬ schiedenheit auch ihrer Sprache läßt nichts zu wünschen übrig. Es ist gleich¬ sam ein Parteikampf auf Tod und Leben, in welchem die letzten Waffen aus den beiderseitigen Arsenälen herbeigeschafft werden ohne Sorge, ob daraus der Gegner sich wieder neue Waffen der Verdächtigung und gehässiger Verun¬ glimpfung Schmiede. Auf eine radicale Flugschrift dieser Art wurden wir ohnlängst in unserem Leibblatt, dem „Univers" des Herrn Louis Veuillot, aufmerksam gemacht. In die Augen springend prangte da über einem Artikel die Ueberschrift „Uorei ü. QuiUaume!" und von entrüsteten Ausrufungszeichen begleitet folgten dann einige Stellen aus einer bei Sagnier erschienenen Broschüre, in welcher ein Ka¬ pitel diese patriotisch - blasphemische Ueberschrift trage. Meine Neugierde war geweckt. Ich ging in die Buchhandlung, kaufte die Flugschrift und las sie „auf Einem Sitze" durch. Sie trägt den Titel: (?roMMnSs rSxublieaimz.) Veuillotisme et Is, Religion pai- Lelnpronius» und kostet 20 Centimes. Wer 100 Stück nimmt, bekommt sie zu 13 Fr., wer 600, bezw. 1000 nimmt, erhält das Hundert zu 12, bezw.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/203>, abgerufen am 23.07.2024.