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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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frage! Das ist vielmehr die Panik des Terrorismus, welcher wie ein Alp
den ganzen niedern Klerus zu Boden drückt, und unter dem gar mancher
im Stillen seufzt und ächzt, als einem unerträglichen Joche, das er aus eigener
Kraft nicht abzuwälzen im Stande ist. Das sind die Intriguen der oben ge¬
kennzeichneten Kaplanokratie, die es sich heutzutage herausnimmt, selbst ihre
Vorgesetzten, die Ortspfarrer, zu schulmeistern und zu tyrannisiren, die billiger,
vernünftiger und rechtlicher denken, wie sie.

Man glaubt das Volk fanatisiren, ihm plausibel machen zu können, daß
auch dieser Paragraph, wie der übrige Inhalt der Kirchengesetze schmählich ein¬
greife in die gottgeordnete Verfassung der Kirche, und nicht bloß den Ruin der
katholischen Religion, sondern auch der Familie und Gesellschaft herbeiführen
müsse. Hier und da hat man damit allerdings leider etwas reüssirt. Es ist
den Herren Clerikalen in der That an sehr vielen Orden gelungen, durch der¬
artige Vorspiegelungen die gesellschaftlichen Verhältnisse zu einem unerträgli¬
chen System des ewigen Zankes und Haders zu machen, Bande der Freund¬
schaft und oft auch der Familie zu zerreißen. Aber einen allgemeinen nach-^
baldigen Eindruck hat man bisher in dieser Richtung nicht erzielen können.
Es ist dem gesunden Sinn des Volkes, vornehmlich des rheinischen, trotz alledem
und alledem, trotz allem Wuth- und Angstgeschrei, nicht verborgen geblieben,
daß es sich hier nicht um ein allgemeines Interesse, um das Wohl des Volkes
als solches handle, sondern um die moralischen und materiellen Vortheile einer
bestimmten Partei im Staate, eines Standes, einer Coterie, mit einem Worte,
uM die Herrschsucht des Klerus. Und wenn auch in dieser und jener
Versammlung, in diesem und jenem Vereine einem ultramontanen Bramarbas
unauslöschlicher Beifall geklatscht wurde, wenn er es verstand, die Regierung
und ohne ihre Handlungen dem Volke verhaßt oder lächerlich zu machen, --
was, nebenbei gesagt, nicht schwer gewesen ist zu allen Zeiten: denn Negie¬
rung und Volk sind nach der Meinung des letztern stets unversöhnliche Anti¬
poden -- wenn er es verstand, mit einzelnen Kraftausdrücken, die zeitige, libe¬
rale Gesetzgebung in Preußen als ein entsetzliches Gespenst grau in grau zu
malen und dem Volke als Popanz vorzuhalten, womit man die Kinder schreckt;
wenn auch so ziemlich das ganze katholische Rheinland und Westfalen Cen-
trumseandidaten in den Reichstag geschickt hat als Kämpfer für "Wahr¬
heit, Freiheit, Recht" und auch die meisten Communewahlen in den einzelnen
Ortschaften nach dieser Richtung ausfallen: -- die falsche Begeisterung, geweckt
durch religiösen Fanatismus, ist bald verraucht; und man frage nur den
Bürger oder Bauer in ruhigen Augenblicken, im Kreise seiner Familie, wenn
er wieder seine natürliche Vernunft walten und urtheilen lassen kann und der
in die Augen gestreute Sand gleißnerischer Reden und rhetorischer Floskeln
von "diocletianischer Christenverfolgung, Ruin der menschlichen Gesellschaft,


frage! Das ist vielmehr die Panik des Terrorismus, welcher wie ein Alp
den ganzen niedern Klerus zu Boden drückt, und unter dem gar mancher
im Stillen seufzt und ächzt, als einem unerträglichen Joche, das er aus eigener
Kraft nicht abzuwälzen im Stande ist. Das sind die Intriguen der oben ge¬
kennzeichneten Kaplanokratie, die es sich heutzutage herausnimmt, selbst ihre
Vorgesetzten, die Ortspfarrer, zu schulmeistern und zu tyrannisiren, die billiger,
vernünftiger und rechtlicher denken, wie sie.

Man glaubt das Volk fanatisiren, ihm plausibel machen zu können, daß
auch dieser Paragraph, wie der übrige Inhalt der Kirchengesetze schmählich ein¬
greife in die gottgeordnete Verfassung der Kirche, und nicht bloß den Ruin der
katholischen Religion, sondern auch der Familie und Gesellschaft herbeiführen
müsse. Hier und da hat man damit allerdings leider etwas reüssirt. Es ist
den Herren Clerikalen in der That an sehr vielen Orden gelungen, durch der¬
artige Vorspiegelungen die gesellschaftlichen Verhältnisse zu einem unerträgli¬
chen System des ewigen Zankes und Haders zu machen, Bande der Freund¬
schaft und oft auch der Familie zu zerreißen. Aber einen allgemeinen nach-^
baldigen Eindruck hat man bisher in dieser Richtung nicht erzielen können.
Es ist dem gesunden Sinn des Volkes, vornehmlich des rheinischen, trotz alledem
und alledem, trotz allem Wuth- und Angstgeschrei, nicht verborgen geblieben,
daß es sich hier nicht um ein allgemeines Interesse, um das Wohl des Volkes
als solches handle, sondern um die moralischen und materiellen Vortheile einer
bestimmten Partei im Staate, eines Standes, einer Coterie, mit einem Worte,
uM die Herrschsucht des Klerus. Und wenn auch in dieser und jener
Versammlung, in diesem und jenem Vereine einem ultramontanen Bramarbas
unauslöschlicher Beifall geklatscht wurde, wenn er es verstand, die Regierung
und ohne ihre Handlungen dem Volke verhaßt oder lächerlich zu machen, —
was, nebenbei gesagt, nicht schwer gewesen ist zu allen Zeiten: denn Negie¬
rung und Volk sind nach der Meinung des letztern stets unversöhnliche Anti¬
poden — wenn er es verstand, mit einzelnen Kraftausdrücken, die zeitige, libe¬
rale Gesetzgebung in Preußen als ein entsetzliches Gespenst grau in grau zu
malen und dem Volke als Popanz vorzuhalten, womit man die Kinder schreckt;
wenn auch so ziemlich das ganze katholische Rheinland und Westfalen Cen-
trumseandidaten in den Reichstag geschickt hat als Kämpfer für „Wahr¬
heit, Freiheit, Recht" und auch die meisten Communewahlen in den einzelnen
Ortschaften nach dieser Richtung ausfallen: — die falsche Begeisterung, geweckt
durch religiösen Fanatismus, ist bald verraucht; und man frage nur den
Bürger oder Bauer in ruhigen Augenblicken, im Kreise seiner Familie, wenn
er wieder seine natürliche Vernunft walten und urtheilen lassen kann und der
in die Augen gestreute Sand gleißnerischer Reden und rhetorischer Floskeln
von „diocletianischer Christenverfolgung, Ruin der menschlichen Gesellschaft,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/196>, abgerufen am 23.07.2024.