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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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und sanftmüthig seine Heerde leitete im echten Geiste des Christenthums --
jetzt aber, seines Amtes entsetzt, seines Lebensunterhaltes beraubt, dem Kreise
der Seinigen gewaltsam entrissen und verbannt, -- verbannt in den kalten
Norden -- von Mülheim bis nach der Insel Rügen! -- Und dazu schweigen
und dulden muß! Der Gedanke ist gräßlich, selbst für uns, die wir die
Nothwendigkeit und Billigkeit des Gesetzes zu vertheidigen haben, dabei aber
weit entfernt sind, ihm, dem Gesetze, all dieses Leid und Unglück in die Schuhe
zu schieben, während es doch nur die nothwendige Folge der Uebertretung
des Gesetzes ist. Auf gleiche Weise müßte man dann auch das Strafge¬
setz anklagen, durch dessen Uebertretung die Kinder ins Elend gerathen sind,
deren Vater ein Mörder oder Dieb gewesen ist.

Entspricht es aber nicht auch der Natur der Sache, der Billigkeit und
der praktischen Vernunft, daß, wie das Gesetz es verlangt, der Pfarrer einer
Gemeinde fest und dauernd bei derselben angestellt sei, daß seine Unabsetz-
barkeit ihm, wie den Richtern, garantirt sei, es sei denn, daß er selbst seine
Versetzung beantrage? Entspricht es nicht dem sinnbildlichen Amte des Seel¬
sorgers, der, gleichwie sein erhabenes Vorbild, Christus, der Stifter unserer
Religion, bei den Seinen bleiben soll, bis an das Ende? Wo bleibt da die
innige Verschmelzung des Pfarrers mit dem ganzen Wohl und Wehe seiner
Gemeinde, das Sich-Hineinleben in deren Verhältnisse, wo sein dauernder und
segensreicher Einfluß auf jeden Einzelnen aus derselben als Gewissensrath
und Seelenhirte, wenn er nach dem Willen und vielleicht einer augenblicklichen
Laune seines Obern dem Kreise seiner Wirksamkeit plötzlich entzogen wird?

Ist es nun nicht sonderbar und geradezu widersinnig, daß sich aus diesen
Kreisen, die es doch am nächsten angeht, die direct bei Nichtbeachtung des
Gesetzes den größten und empfindlichsten Schaden leiden müssen. -- empfind¬
licher, als selbst die Absetzung einen Bischof, oder sonstigen Kirchenfürsten
berühren dürfte, -- daß, sagen wir, aus den Kreisen der Suecursal-Pfarrer
sebst bisher noch keine Stimme laut geworden ist, die dem Gesetze, welches
ihnen persönlich unendlich wohl will, das Wort sprechen, noch kein Nothschrei
gegen die unverzeihliche und maßlose Tyrannei ihrer Vorgesetzen? Sollen wir
daran verzweifeln, daß irgend ein noch so kleines Partikelchen individueller
Freiheit und Selbstbewußtseins in ihrem Busen wohne, daß dasselbe ganz
dem jesuitischen blinden Cadaver-Gehorsam gewichen sei? -- Man sage nicht,
das sei der freudige Aufopferungsmuth, der jeden einzelnen katholischen Prie¬
ster gern sein Hab' und Gut, sein Ganzes sich und alles, was ihm theuer
ist, aufopfern ließe für Zwecke, die man nun einmal als eminent religiöse auf¬
zustellen beliebt, bei deren Hintansetzung die ganze Religion zu Grunde gehen
müsse, die aber selbst dem unparteiisch urtheilenden, gläubigen Katholiken all¬
gemach als das erscheinen, was sie in Wirklichkeit sind, -- eine reine Macht-


und sanftmüthig seine Heerde leitete im echten Geiste des Christenthums —
jetzt aber, seines Amtes entsetzt, seines Lebensunterhaltes beraubt, dem Kreise
der Seinigen gewaltsam entrissen und verbannt, — verbannt in den kalten
Norden — von Mülheim bis nach der Insel Rügen! — Und dazu schweigen
und dulden muß! Der Gedanke ist gräßlich, selbst für uns, die wir die
Nothwendigkeit und Billigkeit des Gesetzes zu vertheidigen haben, dabei aber
weit entfernt sind, ihm, dem Gesetze, all dieses Leid und Unglück in die Schuhe
zu schieben, während es doch nur die nothwendige Folge der Uebertretung
des Gesetzes ist. Auf gleiche Weise müßte man dann auch das Strafge¬
setz anklagen, durch dessen Uebertretung die Kinder ins Elend gerathen sind,
deren Vater ein Mörder oder Dieb gewesen ist.

Entspricht es aber nicht auch der Natur der Sache, der Billigkeit und
der praktischen Vernunft, daß, wie das Gesetz es verlangt, der Pfarrer einer
Gemeinde fest und dauernd bei derselben angestellt sei, daß seine Unabsetz-
barkeit ihm, wie den Richtern, garantirt sei, es sei denn, daß er selbst seine
Versetzung beantrage? Entspricht es nicht dem sinnbildlichen Amte des Seel¬
sorgers, der, gleichwie sein erhabenes Vorbild, Christus, der Stifter unserer
Religion, bei den Seinen bleiben soll, bis an das Ende? Wo bleibt da die
innige Verschmelzung des Pfarrers mit dem ganzen Wohl und Wehe seiner
Gemeinde, das Sich-Hineinleben in deren Verhältnisse, wo sein dauernder und
segensreicher Einfluß auf jeden Einzelnen aus derselben als Gewissensrath
und Seelenhirte, wenn er nach dem Willen und vielleicht einer augenblicklichen
Laune seines Obern dem Kreise seiner Wirksamkeit plötzlich entzogen wird?

Ist es nun nicht sonderbar und geradezu widersinnig, daß sich aus diesen
Kreisen, die es doch am nächsten angeht, die direct bei Nichtbeachtung des
Gesetzes den größten und empfindlichsten Schaden leiden müssen. — empfind¬
licher, als selbst die Absetzung einen Bischof, oder sonstigen Kirchenfürsten
berühren dürfte, — daß, sagen wir, aus den Kreisen der Suecursal-Pfarrer
sebst bisher noch keine Stimme laut geworden ist, die dem Gesetze, welches
ihnen persönlich unendlich wohl will, das Wort sprechen, noch kein Nothschrei
gegen die unverzeihliche und maßlose Tyrannei ihrer Vorgesetzen? Sollen wir
daran verzweifeln, daß irgend ein noch so kleines Partikelchen individueller
Freiheit und Selbstbewußtseins in ihrem Busen wohne, daß dasselbe ganz
dem jesuitischen blinden Cadaver-Gehorsam gewichen sei? — Man sage nicht,
das sei der freudige Aufopferungsmuth, der jeden einzelnen katholischen Prie¬
ster gern sein Hab' und Gut, sein Ganzes sich und alles, was ihm theuer
ist, aufopfern ließe für Zwecke, die man nun einmal als eminent religiöse auf¬
zustellen beliebt, bei deren Hintansetzung die ganze Religion zu Grunde gehen
müsse, die aber selbst dem unparteiisch urtheilenden, gläubigen Katholiken all¬
gemach als das erscheinen, was sie in Wirklichkeit sind, — eine reine Macht-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/195>, abgerufen am 23.07.2024.