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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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Schon halb dem Gebiet der Allegorie gehören die zwei Büsten der
Tragödie und Komödie an: zwei Köpfe für die antike Auffassung der
beiden Arten des Drama ebenso interessant wie die vatikanischen Statuen der
Melpomene und Thaleia, deren erste dem modernen Gefühl nicht tragisch, die
zweite nicht komisch genug erscheint, vielleicht weil die Tragödie der Zeit, der
diese Auffassung entstammt, weniger die innere Schuld des Helden als Motiv
der Katastrophe hervorhob und die Komödie nicht possenhafte, sondern humo¬
ristische Wirkung erstrebte. Der Wirklichkeit und dem Leben ist entnommen
die Darstellung der Wettläuferin (im Vatikan): ein Mädchen, welches
sich am Wettlauf zu Ehren der Hera in Olympia siegreich betheiligt, im
Moment des Ablaufs, so daß der erste Fuß bereits gehoben ist und der
Körper sich nach vorn überneigt.

Endlich fehlt auch das Portrait nicht: abgesehen von dem in der Villa
ausgegrabenen angeblichen Aristophaneskopf, den später in der Villa aufge¬
stellten Büsten der ältern Faustina, des Antoninus Pius und Marc Aurel
ist dasselbe als Jdealportrait aufs glänzendste in dem Antinous ver¬
treten, jenem schwärmerischen bithynischen Jüngling, der sich, um das Leben
des Kaisers zu verlängern, dem Tode im Nil weihte und zum Dank dafür
von diesem nicht nur heftig beweint, sondern auch göttlicher Ehren gewürdigt
wurde: nicht genug, daß an der Stelle, wo er den Tod gefunden hatte, eine
Stadt gebaut und nach ihm genannt, daß ihm ein Cultus und Orakel ge¬
weiht wurde, das ganze römische Reich sah Statuen des Antinous, theils vom
Kaiser selbst, theils von Völkern und Städten auch lange Zeit nach dem Er-
eigniß errichtet, ein Beweis, daß die sinnige Schönheit des Bithyniers nicht
ohne lebhaften Eindruck auf die ganze Zeit geblieben war. Und in der That
ist es ein außerordentlich anziehendes Gesicht, was uns in den mehr als
25 erhaltenen Büsten und Statuen entgegenblickt. Unschuld und Hingebung
auf der einen, Schwermuth und Sentimentalität auf der andern Seite sind
die Hauptzüge dieses Lockenkopfs mit dem in die Stirn hineinfallenden Haar,
den tiefliegenden Augen, den flachen Lidern, den sanft gebogenen schmalen
Brauen, den vollen, fein geschwungenen Lippen, den fleischigen Wangen, dem
ovalen Kinn, ohne daß wir freilich im Stande wären zu sagen, wie viel von
diesen Schönheiten auf Rechnung der idealisirenden Künstlerhand kommt.
Denn idealisirt, ja apotheosirt sollte der allgemeine Liebling dargestellt werden,
und wenn dazu besonders der Jdealtypus des Narciß und des Dionysos ge¬
wählt wurde, so wird für das erstere die Gleichheit des Schicksals, welches
einen Jüngling aus Liebe in das kühle Wellengrab zog, für das andere der
Charakter seiner mehr weichen und jugendlich zarten als kräftigen und voll
männlichen Schönheit bestimmend gewirkt haben. Die idealste Statue, welche
uns diesen Jüngsten im griechischen Götterkreise als Dionysos mit Thyrsos-


Grenzboten I. 1875. 22

Schon halb dem Gebiet der Allegorie gehören die zwei Büsten der
Tragödie und Komödie an: zwei Köpfe für die antike Auffassung der
beiden Arten des Drama ebenso interessant wie die vatikanischen Statuen der
Melpomene und Thaleia, deren erste dem modernen Gefühl nicht tragisch, die
zweite nicht komisch genug erscheint, vielleicht weil die Tragödie der Zeit, der
diese Auffassung entstammt, weniger die innere Schuld des Helden als Motiv
der Katastrophe hervorhob und die Komödie nicht possenhafte, sondern humo¬
ristische Wirkung erstrebte. Der Wirklichkeit und dem Leben ist entnommen
die Darstellung der Wettläuferin (im Vatikan): ein Mädchen, welches
sich am Wettlauf zu Ehren der Hera in Olympia siegreich betheiligt, im
Moment des Ablaufs, so daß der erste Fuß bereits gehoben ist und der
Körper sich nach vorn überneigt.

Endlich fehlt auch das Portrait nicht: abgesehen von dem in der Villa
ausgegrabenen angeblichen Aristophaneskopf, den später in der Villa aufge¬
stellten Büsten der ältern Faustina, des Antoninus Pius und Marc Aurel
ist dasselbe als Jdealportrait aufs glänzendste in dem Antinous ver¬
treten, jenem schwärmerischen bithynischen Jüngling, der sich, um das Leben
des Kaisers zu verlängern, dem Tode im Nil weihte und zum Dank dafür
von diesem nicht nur heftig beweint, sondern auch göttlicher Ehren gewürdigt
wurde: nicht genug, daß an der Stelle, wo er den Tod gefunden hatte, eine
Stadt gebaut und nach ihm genannt, daß ihm ein Cultus und Orakel ge¬
weiht wurde, das ganze römische Reich sah Statuen des Antinous, theils vom
Kaiser selbst, theils von Völkern und Städten auch lange Zeit nach dem Er-
eigniß errichtet, ein Beweis, daß die sinnige Schönheit des Bithyniers nicht
ohne lebhaften Eindruck auf die ganze Zeit geblieben war. Und in der That
ist es ein außerordentlich anziehendes Gesicht, was uns in den mehr als
25 erhaltenen Büsten und Statuen entgegenblickt. Unschuld und Hingebung
auf der einen, Schwermuth und Sentimentalität auf der andern Seite sind
die Hauptzüge dieses Lockenkopfs mit dem in die Stirn hineinfallenden Haar,
den tiefliegenden Augen, den flachen Lidern, den sanft gebogenen schmalen
Brauen, den vollen, fein geschwungenen Lippen, den fleischigen Wangen, dem
ovalen Kinn, ohne daß wir freilich im Stande wären zu sagen, wie viel von
diesen Schönheiten auf Rechnung der idealisirenden Künstlerhand kommt.
Denn idealisirt, ja apotheosirt sollte der allgemeine Liebling dargestellt werden,
und wenn dazu besonders der Jdealtypus des Narciß und des Dionysos ge¬
wählt wurde, so wird für das erstere die Gleichheit des Schicksals, welches
einen Jüngling aus Liebe in das kühle Wellengrab zog, für das andere der
Charakter seiner mehr weichen und jugendlich zarten als kräftigen und voll
männlichen Schönheit bestimmend gewirkt haben. Die idealste Statue, welche
uns diesen Jüngsten im griechischen Götterkreise als Dionysos mit Thyrsos-


Grenzboten I. 1875. 22
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[0177] Schon halb dem Gebiet der Allegorie gehören die zwei Büsten der Tragödie und Komödie an: zwei Köpfe für die antike Auffassung der beiden Arten des Drama ebenso interessant wie die vatikanischen Statuen der Melpomene und Thaleia, deren erste dem modernen Gefühl nicht tragisch, die zweite nicht komisch genug erscheint, vielleicht weil die Tragödie der Zeit, der diese Auffassung entstammt, weniger die innere Schuld des Helden als Motiv der Katastrophe hervorhob und die Komödie nicht possenhafte, sondern humo¬ ristische Wirkung erstrebte. Der Wirklichkeit und dem Leben ist entnommen die Darstellung der Wettläuferin (im Vatikan): ein Mädchen, welches sich am Wettlauf zu Ehren der Hera in Olympia siegreich betheiligt, im Moment des Ablaufs, so daß der erste Fuß bereits gehoben ist und der Körper sich nach vorn überneigt. Endlich fehlt auch das Portrait nicht: abgesehen von dem in der Villa ausgegrabenen angeblichen Aristophaneskopf, den später in der Villa aufge¬ stellten Büsten der ältern Faustina, des Antoninus Pius und Marc Aurel ist dasselbe als Jdealportrait aufs glänzendste in dem Antinous ver¬ treten, jenem schwärmerischen bithynischen Jüngling, der sich, um das Leben des Kaisers zu verlängern, dem Tode im Nil weihte und zum Dank dafür von diesem nicht nur heftig beweint, sondern auch göttlicher Ehren gewürdigt wurde: nicht genug, daß an der Stelle, wo er den Tod gefunden hatte, eine Stadt gebaut und nach ihm genannt, daß ihm ein Cultus und Orakel ge¬ weiht wurde, das ganze römische Reich sah Statuen des Antinous, theils vom Kaiser selbst, theils von Völkern und Städten auch lange Zeit nach dem Er- eigniß errichtet, ein Beweis, daß die sinnige Schönheit des Bithyniers nicht ohne lebhaften Eindruck auf die ganze Zeit geblieben war. Und in der That ist es ein außerordentlich anziehendes Gesicht, was uns in den mehr als 25 erhaltenen Büsten und Statuen entgegenblickt. Unschuld und Hingebung auf der einen, Schwermuth und Sentimentalität auf der andern Seite sind die Hauptzüge dieses Lockenkopfs mit dem in die Stirn hineinfallenden Haar, den tiefliegenden Augen, den flachen Lidern, den sanft gebogenen schmalen Brauen, den vollen, fein geschwungenen Lippen, den fleischigen Wangen, dem ovalen Kinn, ohne daß wir freilich im Stande wären zu sagen, wie viel von diesen Schönheiten auf Rechnung der idealisirenden Künstlerhand kommt. Denn idealisirt, ja apotheosirt sollte der allgemeine Liebling dargestellt werden, und wenn dazu besonders der Jdealtypus des Narciß und des Dionysos ge¬ wählt wurde, so wird für das erstere die Gleichheit des Schicksals, welches einen Jüngling aus Liebe in das kühle Wellengrab zog, für das andere der Charakter seiner mehr weichen und jugendlich zarten als kräftigen und voll männlichen Schönheit bestimmend gewirkt haben. Die idealste Statue, welche uns diesen Jüngsten im griechischen Götterkreise als Dionysos mit Thyrsos- Grenzboten I. 1875. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/177>, abgerufen am 23.07.2024.