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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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stab und Epheukranz und Pinienapfel auf dem Kopfe zeigt, ist der Antinous
Braschi, sogenannt nach dem Duca Braschi, welcher diese in der kaiserlichen
Villa zu Palestrina gefundene Colossalstatue von seinem Oheim Papst Pius VI.
zum Geschenk erhielt, aus dessen Besitz sie in den Vatikan überging. Ihr
kommt an Schönheit der Körperbildung gleich der aus der Tiburtinischen
Villa stammende Antinous des Kapitals und vielleicht in noch höherem
Maaße der Antinous in Neapel, eine Statue voll schwellenden Lebens und
vorzüglicher Erhaltung, während die Gesichtszüge besonders ausgeprägt er¬
scheinen in der Tiburtinischen Colossalbüste des Vatikan, dem Colossalkopf der
Villa Mondragone bei Frascati, jetzt im Louvre und dem colossalen Tibur¬
tinischen Reliefbruchstück elegantester Arbeit in Villa Albcmi. Endlich ist hier,
um die in dem steifen ägyptischen Stile gearbeiteten Statuen, welche von
Aehnlichkeit wenig, von der Schönheit des Jünglings noch weniger zeigen,
Zu übergehen, die berühmte Gruppe von Jldefonso zu nennen, welche
bekannter ist unter dem Namen Schlaf und Tod, Orest und Pylades. wahr¬
scheinlich aber den Antinous zeigt im Verein mit einem Todesgenius, viel¬
leicht dem Hermes, welcher seine Fackel auf den Altar der Todesgöttin hält,
zu welcher er den Antinous hinabgeleitet. Dies sind die bedeutendsten der
-- um den allgemeinsten Ausdruck zu gebrauchen -- Hadncmischen Werke.

Es wäre im höchsten Grade ungerecht oder würde Mangel an Empfin¬
dung und Formensinn zeigen, wollte jemand der Mehrzahl derselben Schön¬
heit und Idealität absprechen. -- Die Säulen des Gymnasion in Athen
nicht großartig nennen, das Taubenmosaik nicht anmuthig, die Candelaber
nicht reich und geschmackvoll finden, vom Ajax mit dem Leichnam des Achill
nicht mächtig ergriffen werden, vor dem Niobidensturz nicht die Schauer des
Pathos fühlen, in der Nemesis nicht den Geist ernster Erhabenheit erkennen,
die Amazonen nicht innerlich wahr und groß, die Büsten der Tragödie und
Komödie nicht geistreich finden, in dem bogenspannenden Amor, dem sich
formenden Satyr, dem lauschenden Merkur, dem schlafenden Endymion nicht
den Reiz der Anmuth, in der Wettläuferin nicht den Zauber naiver Liebens¬
würdigkeit merken, im Centaurenpaar nicht die Ergebung der glücklichsten
Laune, im barberinischen Faun nicht die sinnlichste Naturwahrheit, im Antinous
endlich nicht ideale Auffassung anerkennen -- einer Zeit, in welcher solche
Werke in solcher Fülle entstehen, den Sonnenschein absprechen, das hieße sein
eignes Urtheil gefangen geben.

Ein jedes Kunstwerk hat aber seine Bedeutung nicht bloß in seinem
absoluten, ewigen, rein menschlichen Gehalte; seine rechte präcise Würdigung
empfängt es erst aus der historischen Betrachtung ^seines Erscheinens.

Nun auf den ersten Blick wird auch das historische Urtheil über die
Hadrian-Kunst günstig ausfallen. Vergleichen wir die genannten Werke mit


stab und Epheukranz und Pinienapfel auf dem Kopfe zeigt, ist der Antinous
Braschi, sogenannt nach dem Duca Braschi, welcher diese in der kaiserlichen
Villa zu Palestrina gefundene Colossalstatue von seinem Oheim Papst Pius VI.
zum Geschenk erhielt, aus dessen Besitz sie in den Vatikan überging. Ihr
kommt an Schönheit der Körperbildung gleich der aus der Tiburtinischen
Villa stammende Antinous des Kapitals und vielleicht in noch höherem
Maaße der Antinous in Neapel, eine Statue voll schwellenden Lebens und
vorzüglicher Erhaltung, während die Gesichtszüge besonders ausgeprägt er¬
scheinen in der Tiburtinischen Colossalbüste des Vatikan, dem Colossalkopf der
Villa Mondragone bei Frascati, jetzt im Louvre und dem colossalen Tibur¬
tinischen Reliefbruchstück elegantester Arbeit in Villa Albcmi. Endlich ist hier,
um die in dem steifen ägyptischen Stile gearbeiteten Statuen, welche von
Aehnlichkeit wenig, von der Schönheit des Jünglings noch weniger zeigen,
Zu übergehen, die berühmte Gruppe von Jldefonso zu nennen, welche
bekannter ist unter dem Namen Schlaf und Tod, Orest und Pylades. wahr¬
scheinlich aber den Antinous zeigt im Verein mit einem Todesgenius, viel¬
leicht dem Hermes, welcher seine Fackel auf den Altar der Todesgöttin hält,
zu welcher er den Antinous hinabgeleitet. Dies sind die bedeutendsten der
— um den allgemeinsten Ausdruck zu gebrauchen — Hadncmischen Werke.

Es wäre im höchsten Grade ungerecht oder würde Mangel an Empfin¬
dung und Formensinn zeigen, wollte jemand der Mehrzahl derselben Schön¬
heit und Idealität absprechen. — Die Säulen des Gymnasion in Athen
nicht großartig nennen, das Taubenmosaik nicht anmuthig, die Candelaber
nicht reich und geschmackvoll finden, vom Ajax mit dem Leichnam des Achill
nicht mächtig ergriffen werden, vor dem Niobidensturz nicht die Schauer des
Pathos fühlen, in der Nemesis nicht den Geist ernster Erhabenheit erkennen,
die Amazonen nicht innerlich wahr und groß, die Büsten der Tragödie und
Komödie nicht geistreich finden, in dem bogenspannenden Amor, dem sich
formenden Satyr, dem lauschenden Merkur, dem schlafenden Endymion nicht
den Reiz der Anmuth, in der Wettläuferin nicht den Zauber naiver Liebens¬
würdigkeit merken, im Centaurenpaar nicht die Ergebung der glücklichsten
Laune, im barberinischen Faun nicht die sinnlichste Naturwahrheit, im Antinous
endlich nicht ideale Auffassung anerkennen — einer Zeit, in welcher solche
Werke in solcher Fülle entstehen, den Sonnenschein absprechen, das hieße sein
eignes Urtheil gefangen geben.

Ein jedes Kunstwerk hat aber seine Bedeutung nicht bloß in seinem
absoluten, ewigen, rein menschlichen Gehalte; seine rechte präcise Würdigung
empfängt es erst aus der historischen Betrachtung ^seines Erscheinens.

Nun auf den ersten Blick wird auch das historische Urtheil über die
Hadrian-Kunst günstig ausfallen. Vergleichen wir die genannten Werke mit


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[0178] stab und Epheukranz und Pinienapfel auf dem Kopfe zeigt, ist der Antinous Braschi, sogenannt nach dem Duca Braschi, welcher diese in der kaiserlichen Villa zu Palestrina gefundene Colossalstatue von seinem Oheim Papst Pius VI. zum Geschenk erhielt, aus dessen Besitz sie in den Vatikan überging. Ihr kommt an Schönheit der Körperbildung gleich der aus der Tiburtinischen Villa stammende Antinous des Kapitals und vielleicht in noch höherem Maaße der Antinous in Neapel, eine Statue voll schwellenden Lebens und vorzüglicher Erhaltung, während die Gesichtszüge besonders ausgeprägt er¬ scheinen in der Tiburtinischen Colossalbüste des Vatikan, dem Colossalkopf der Villa Mondragone bei Frascati, jetzt im Louvre und dem colossalen Tibur¬ tinischen Reliefbruchstück elegantester Arbeit in Villa Albcmi. Endlich ist hier, um die in dem steifen ägyptischen Stile gearbeiteten Statuen, welche von Aehnlichkeit wenig, von der Schönheit des Jünglings noch weniger zeigen, Zu übergehen, die berühmte Gruppe von Jldefonso zu nennen, welche bekannter ist unter dem Namen Schlaf und Tod, Orest und Pylades. wahr¬ scheinlich aber den Antinous zeigt im Verein mit einem Todesgenius, viel¬ leicht dem Hermes, welcher seine Fackel auf den Altar der Todesgöttin hält, zu welcher er den Antinous hinabgeleitet. Dies sind die bedeutendsten der — um den allgemeinsten Ausdruck zu gebrauchen — Hadncmischen Werke. Es wäre im höchsten Grade ungerecht oder würde Mangel an Empfin¬ dung und Formensinn zeigen, wollte jemand der Mehrzahl derselben Schön¬ heit und Idealität absprechen. — Die Säulen des Gymnasion in Athen nicht großartig nennen, das Taubenmosaik nicht anmuthig, die Candelaber nicht reich und geschmackvoll finden, vom Ajax mit dem Leichnam des Achill nicht mächtig ergriffen werden, vor dem Niobidensturz nicht die Schauer des Pathos fühlen, in der Nemesis nicht den Geist ernster Erhabenheit erkennen, die Amazonen nicht innerlich wahr und groß, die Büsten der Tragödie und Komödie nicht geistreich finden, in dem bogenspannenden Amor, dem sich formenden Satyr, dem lauschenden Merkur, dem schlafenden Endymion nicht den Reiz der Anmuth, in der Wettläuferin nicht den Zauber naiver Liebens¬ würdigkeit merken, im Centaurenpaar nicht die Ergebung der glücklichsten Laune, im barberinischen Faun nicht die sinnlichste Naturwahrheit, im Antinous endlich nicht ideale Auffassung anerkennen — einer Zeit, in welcher solche Werke in solcher Fülle entstehen, den Sonnenschein absprechen, das hieße sein eignes Urtheil gefangen geben. Ein jedes Kunstwerk hat aber seine Bedeutung nicht bloß in seinem absoluten, ewigen, rein menschlichen Gehalte; seine rechte präcise Würdigung empfängt es erst aus der historischen Betrachtung ^seines Erscheinens. Nun auf den ersten Blick wird auch das historische Urtheil über die Hadrian-Kunst günstig ausfallen. Vergleichen wir die genannten Werke mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/178>, abgerufen am 23.07.2024.