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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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13. Jahrhunderts mit ihrer Ausgrabung begonnen worden, ist sie noch heut
ein unerschöpfter Statuenschacht zu nennen.

Die reichste Ausbeute freilich ist bereits im 16. Jahrhundert von den
Cardinälen Farnese und Este, den Governatoren vom Tivoli, gewonnen
worden. Villa d'Este in Tivoli vom Cardinal Hippolyt von Este, um Mitte
des 16. Jahrhunderts unter Leitung des mehr berüchtigten als berühmten
Architekten Ligorio angelegt, jene reizvollste unter den modernen italie¬
nischen Villen, und unter allen die am meisten architektonisch aufgebaute, hat
ihren reichen plastischen Schmuck, wohl an 100 Statuen und Reliefs,
ausschließlich der benachbarten Hadriansvilla entlehnt. Im 18. Jahrhundert
wurden die Ausgrabungen wieder aufgenommen von dem gelehrten Cardinal
Furietti, dem Kunstenthusiasten Cardinal Albani, dem Grafen Fete u. a.,
deren Ausbeute dem capitolinischen Museum, der Villa Albani, dem Vatikan
und schließlich fast allen Museen Europas zu Gute gekommen ist.

Die Zahl der plastischen Werke, welche dieser Villa entstammen, ist größer
als die der bisher in Pompeji ausgegrabenen, und es giebt überhaupt auf
der ganzen classischen Erde keine Anlage, welche so viele Statuen zu Tage
gefördert hätte, als Hadrian's Villa. Und der Zahl entspricht die Mannich-
faltigkeit und Bedeutung der Werke. Da ist fast kein Stil und keine Gal¬
tung von Darstellungen unvertreten. Da sind vor allem zahlreiche Götter-
darstellungen: Zeus, Hera und Hermes, Ares, Pallas und Aphrodite")
in leise archaisirenden Reliefs an den Basen zweier Kandelaber, der größten
und. geschmackvollsten unter allen erhaltenen antiken Candelabern; da ist eine
Minervastatuette, ein liegender Dionysos, eine ephesische Artemis, eine Nemesis,
der die Hand an den Mund legende Gott des Schweigens Harpokrates, die
Flora, zwei einander ähnliche Statuen des schnellen Götterboten Hermes, der
sich eben die Sandalen anlegt, um alsbald den Austrag, auf welchen er
lauscht, auszuführen; Amor bemüht die Sehne an einen Bogen zu spannen,
Psyche schmerzvoll nach ihrem Peiniger aufblickend. Derselbe Peiniger Amor
ist es, welcher einem "Centaurenpaar," dem Werke der Meister von
Aphrodisias, Aristeas und Papias, zu schaffen macht: einem älteren Centaur,
dessen Sinne vom Genuß des Weins benebelt scheinen, so daß er nicht be¬
merkte, wie Amor ihn fesselte, steht sich Befreiung flehend nach seinem Peiniger
um, welcher ihm schelmisch sein Köpfchen hinhält, und einem jüngeren Centaur
welcher heransprengt dem alten ein Schnippchen schlagend, ohne zu ahnen, daß
auch ihm durch einen ihm bereits auf dem Rücken sitzenden Liebesgott als¬
bald ebenso klägliche Pein bereitet werden wird. Dazu kommen Satyr¬
statuen in edler und niedriger Auffassung: ein jugendlicher Satyr sonnt



") Die Mediceische Venus wird hiev Übergängen, da ihre Auffindung in Hadnan'S Villa
ungenügend beglaubigt ist.

13. Jahrhunderts mit ihrer Ausgrabung begonnen worden, ist sie noch heut
ein unerschöpfter Statuenschacht zu nennen.

Die reichste Ausbeute freilich ist bereits im 16. Jahrhundert von den
Cardinälen Farnese und Este, den Governatoren vom Tivoli, gewonnen
worden. Villa d'Este in Tivoli vom Cardinal Hippolyt von Este, um Mitte
des 16. Jahrhunderts unter Leitung des mehr berüchtigten als berühmten
Architekten Ligorio angelegt, jene reizvollste unter den modernen italie¬
nischen Villen, und unter allen die am meisten architektonisch aufgebaute, hat
ihren reichen plastischen Schmuck, wohl an 100 Statuen und Reliefs,
ausschließlich der benachbarten Hadriansvilla entlehnt. Im 18. Jahrhundert
wurden die Ausgrabungen wieder aufgenommen von dem gelehrten Cardinal
Furietti, dem Kunstenthusiasten Cardinal Albani, dem Grafen Fete u. a.,
deren Ausbeute dem capitolinischen Museum, der Villa Albani, dem Vatikan
und schließlich fast allen Museen Europas zu Gute gekommen ist.

Die Zahl der plastischen Werke, welche dieser Villa entstammen, ist größer
als die der bisher in Pompeji ausgegrabenen, und es giebt überhaupt auf
der ganzen classischen Erde keine Anlage, welche so viele Statuen zu Tage
gefördert hätte, als Hadrian's Villa. Und der Zahl entspricht die Mannich-
faltigkeit und Bedeutung der Werke. Da ist fast kein Stil und keine Gal¬
tung von Darstellungen unvertreten. Da sind vor allem zahlreiche Götter-
darstellungen: Zeus, Hera und Hermes, Ares, Pallas und Aphrodite")
in leise archaisirenden Reliefs an den Basen zweier Kandelaber, der größten
und. geschmackvollsten unter allen erhaltenen antiken Candelabern; da ist eine
Minervastatuette, ein liegender Dionysos, eine ephesische Artemis, eine Nemesis,
der die Hand an den Mund legende Gott des Schweigens Harpokrates, die
Flora, zwei einander ähnliche Statuen des schnellen Götterboten Hermes, der
sich eben die Sandalen anlegt, um alsbald den Austrag, auf welchen er
lauscht, auszuführen; Amor bemüht die Sehne an einen Bogen zu spannen,
Psyche schmerzvoll nach ihrem Peiniger aufblickend. Derselbe Peiniger Amor
ist es, welcher einem „Centaurenpaar," dem Werke der Meister von
Aphrodisias, Aristeas und Papias, zu schaffen macht: einem älteren Centaur,
dessen Sinne vom Genuß des Weins benebelt scheinen, so daß er nicht be¬
merkte, wie Amor ihn fesselte, steht sich Befreiung flehend nach seinem Peiniger
um, welcher ihm schelmisch sein Köpfchen hinhält, und einem jüngeren Centaur
welcher heransprengt dem alten ein Schnippchen schlagend, ohne zu ahnen, daß
auch ihm durch einen ihm bereits auf dem Rücken sitzenden Liebesgott als¬
bald ebenso klägliche Pein bereitet werden wird. Dazu kommen Satyr¬
statuen in edler und niedriger Auffassung: ein jugendlicher Satyr sonnt



") Die Mediceische Venus wird hiev Übergängen, da ihre Auffindung in Hadnan'S Villa
ungenügend beglaubigt ist.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/175>, abgerufen am 23.07.2024.