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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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in plono sein Quartier in der Bastille aufschlagen. Aber erst unter NIchelieu's
Schreckensherrschaft, seit 1624, wurde dieselbe zum Staatsgefängniß im vollen
Sinne des Wortes. Die Urtheilssprüche der famosen Commissionen, welche
seine Eminenz allen Gesetzen zum Hohn in einzelnen Fällen beliebig einsetzte,
und instruirte, füllten innerhalb des Zeitraumes von 1624 bis 1640 die
Bastillenräume mit Unglücklichen aus allen Volksklassen. Etwas anders wurde
es, als mit dem Losungsworte I/6tat o'est moi das goldne Zeitalter der
absoluten Monarchie seinen Anfang genommen hatte. Denn namentlich in
den ersten Jahren der Regierungszeit Ludwig's XIV. öffneten sich die Gefäng¬
nißthüren keineswegs nur den Opfern der Despotenlaune oder der religiösen
Unduldsamkeit. Die Religions- und Bürgerkriege, an denen das Land so
lange gelitten hatte, brachten, wie in Deutschland der dreißigjährige Krieg,
eine entsetzliche Verwilderung der Gemüther und Sittenverderbniß in ihrem
Gefolge mit sich. Völlerei und Rauflust waren beim Adel und in den unteren
Volksschichten an der Tagesordnung; das Leben der Einzelnen, die Staats¬
gesetze und die Familienbande wurden so wenig heilig gehalten, daß es einer
eisernen Faust bedürfte, um die Autorität einigermaßen wieder herzustellen.
Daher erscheinen die energischen Maßregeln Ludwig's völlig gerechtfertigt und
würden seinem Namen noch mehr Ehre machen, wenn dabei sittlicher Abscheu
die alleinige Quelle seiner Handlungen gewesen wäre, und es nicht vielmehr
feststände, daß die Repräsentation vor dem Auslande und die Glorie seines
eigenen, persönlichen Regimentes ihm als oberster Gesichtspunkt galten. Denn
die Nation, wie er selbst sagt, ist für sich allein überhaupt kein "Körper"
und' ezcistirt durchaus nur in der Person des Königs. Dieser königliche Pan¬
theismus, wenn man es so nennen darf, führte ihn dann zu dem Dogma
von der unbeschränkten Herrschaft über die Gewissen der Unterthanen und
hob ihn über die einfachsten und ursprünglichsten Rechtsgrundsätze hinweg.
Als gewohnheitsmäßiger Verächter der Gesetze und Ueberlieferung hielt er es
auch ähnlich mit der alten Satzung, daß Niemand von andren, als von seinen
natürlichen Richtern vernommen und verurtheilt werden dürfe und hielt couse-
quenter Weise an dem von seinen Vorgängern auf dem Throne usurpirter
Vorrechte fest, die Rechtsentscheidungen der obersten Gerichtshöfe jederzeit
durch die königliche Jurisdiction illusorisch zu machen. Die famose Erfindung
der lettres 6ö caenst,, die von den deutschen Liliputdespoten von den Tagen,
da Schubart auf dem Hohenasberg saß bis zu Jordan's Kerkerhaft auf dem
Marburger Schlosse so wirksam benutzt wurden, ist das bekannteste Symbol
der Willkürherrschaft jener Zeit.

Geruheten Se. Majestät irgend einen Unterthan auf beliebige Dauer der
Bastille zu überliefern, so genügten die wenigen von allerhöchster Hand unter¬
zeichneten und von einem Minister contrasignirten Worte: "Es wird befohlen,


in plono sein Quartier in der Bastille aufschlagen. Aber erst unter NIchelieu's
Schreckensherrschaft, seit 1624, wurde dieselbe zum Staatsgefängniß im vollen
Sinne des Wortes. Die Urtheilssprüche der famosen Commissionen, welche
seine Eminenz allen Gesetzen zum Hohn in einzelnen Fällen beliebig einsetzte,
und instruirte, füllten innerhalb des Zeitraumes von 1624 bis 1640 die
Bastillenräume mit Unglücklichen aus allen Volksklassen. Etwas anders wurde
es, als mit dem Losungsworte I/6tat o'est moi das goldne Zeitalter der
absoluten Monarchie seinen Anfang genommen hatte. Denn namentlich in
den ersten Jahren der Regierungszeit Ludwig's XIV. öffneten sich die Gefäng¬
nißthüren keineswegs nur den Opfern der Despotenlaune oder der religiösen
Unduldsamkeit. Die Religions- und Bürgerkriege, an denen das Land so
lange gelitten hatte, brachten, wie in Deutschland der dreißigjährige Krieg,
eine entsetzliche Verwilderung der Gemüther und Sittenverderbniß in ihrem
Gefolge mit sich. Völlerei und Rauflust waren beim Adel und in den unteren
Volksschichten an der Tagesordnung; das Leben der Einzelnen, die Staats¬
gesetze und die Familienbande wurden so wenig heilig gehalten, daß es einer
eisernen Faust bedürfte, um die Autorität einigermaßen wieder herzustellen.
Daher erscheinen die energischen Maßregeln Ludwig's völlig gerechtfertigt und
würden seinem Namen noch mehr Ehre machen, wenn dabei sittlicher Abscheu
die alleinige Quelle seiner Handlungen gewesen wäre, und es nicht vielmehr
feststände, daß die Repräsentation vor dem Auslande und die Glorie seines
eigenen, persönlichen Regimentes ihm als oberster Gesichtspunkt galten. Denn
die Nation, wie er selbst sagt, ist für sich allein überhaupt kein „Körper"
und' ezcistirt durchaus nur in der Person des Königs. Dieser königliche Pan¬
theismus, wenn man es so nennen darf, führte ihn dann zu dem Dogma
von der unbeschränkten Herrschaft über die Gewissen der Unterthanen und
hob ihn über die einfachsten und ursprünglichsten Rechtsgrundsätze hinweg.
Als gewohnheitsmäßiger Verächter der Gesetze und Ueberlieferung hielt er es
auch ähnlich mit der alten Satzung, daß Niemand von andren, als von seinen
natürlichen Richtern vernommen und verurtheilt werden dürfe und hielt couse-
quenter Weise an dem von seinen Vorgängern auf dem Throne usurpirter
Vorrechte fest, die Rechtsentscheidungen der obersten Gerichtshöfe jederzeit
durch die königliche Jurisdiction illusorisch zu machen. Die famose Erfindung
der lettres 6ö caenst,, die von den deutschen Liliputdespoten von den Tagen,
da Schubart auf dem Hohenasberg saß bis zu Jordan's Kerkerhaft auf dem
Marburger Schlosse so wirksam benutzt wurden, ist das bekannteste Symbol
der Willkürherrschaft jener Zeit.

Geruheten Se. Majestät irgend einen Unterthan auf beliebige Dauer der
Bastille zu überliefern, so genügten die wenigen von allerhöchster Hand unter¬
zeichneten und von einem Minister contrasignirten Worte: „Es wird befohlen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/130>, abgerufen am 03.07.2024.