Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Personen des Stücks mystifizirt worden sind: daß z.B. der ehrwürdige junge
Geistliche Mr. James Dillingham, der die vernünftigsten und thörichtsten
Personen in der Hafenstadt Nivermouth in gleichem Maße entzückt und
^'baut, niemand Anderes ist, als einer der gefährlichsten Hochstapler der Union,
Samens Nevins. Oder wir sehen in einem Briefwechsel zwischen zwei Freunden,
von denen der eine gesund im Bade weilt, der andere mit gebrochenem Fuße
^aut daheim liegt, mit zunehmender Deutlichkeit Fräulein Majorie Daw
^schildert -- der Gesunde schildert sie dem Kranken -- wir erfahren wie sie
aussieht und sich kleidet, was sie spricht und thut, wie sie sich allmählich in
beinbrüchigen Unbekannten sterblich verliebt und zwei vortreffliche Partieen
^nethalben ausschlägt, bis sie der Herr Papa nach dem Geständniß ihrer
^ehe zu dem Unbekannten einsperrt, um sie zur Raison zu bringen. Da hält
^ der Kranke nicht mehr aus. Er reist sofort in das Bad -- aber er findet
^ Haus nicht, indem Marjorie Daw wohnen soll, er findet auch seinen
oreund nicht, sondern nur einen Brief desselben, der ihm mit dürren Worten
^At: "eZ gibt durchaus keine Marjorie Daw!" Sie wurde nur' erfunden,
Ki den Freund geduldiger auf seinem Lager zu machen, und vielleicht auch,
^ WatkinS, seinen treuen Bedienten, vor der rtnangenehmen Bekanntschaft
w't den 27 Bänden von Balzac's Werken zu schützen, die lediglich zu dem
Zwecke um das Krankenlager aufgeschichtet waren, um dem Herrn als Wurf-
^schösse gegen den Diener zur Hand zu sein. Oder Aldrich sagt uns in einer
Aderer Novelle im Voraus, daß Fräulein Mehetabel dem würdigen
^ ^ Jaffrey als jungfräuliche Braut dahingestorben sei. Wenn aber nachher
Jaffrey uns bis in die kleinsten Details erzählt, wie der aus dieser nicht
^ ^gknen Ehe mit Sicherheit zu erwarten gewesene Sohn "Andchen" ein-
^ "se und Zähne bekommt, seinen Vater bestiehlt, einem alten Spinet die
k'"e absagt, und schließlich in dem hoffnungsvollen Alter von elf Jahren
^ der rothen Stube von einer Bockleiter fällt und den Hals bricht, so wirkt
^ Sicherheit der Erzählung und die Fülle des Details so berückend auf
"6- daß wir auch hier auf Schritt und Tritt uns fragen: was ist Täuschung,
bi K ^"^M? Kann ein verwirrtes Gehirn so konsequent und folgerichtig
^ Phantosmagorien ausbilden, oder liegt der Geschichte ein wirklicher
°du des seligen Fräulein Mehetabel zu Grunde. Zuletzt erst sind wir
daß "Andchen" wirklich nur in der Einbildung eristirte.

An einer Stelle in "Prudence Palfrey" sagt Aldrich: "Er besaß Witz,
n,i^ Humor, und der Unterschied zwischen Witz und Humor ist, wie' scheint, just der Unterschied zwischen einem zugeklappten und einem
theilen Federmesser." Er meint hier offenbar den Gegensatz von Satire und
in^ Humor sind keine Gegensätze. Der Witz kann sich
humoristischer oder in satirischer Form äußern. Er selbst gebietet, wie


Personen des Stücks mystifizirt worden sind: daß z.B. der ehrwürdige junge
Geistliche Mr. James Dillingham, der die vernünftigsten und thörichtsten
Personen in der Hafenstadt Nivermouth in gleichem Maße entzückt und
^'baut, niemand Anderes ist, als einer der gefährlichsten Hochstapler der Union,
Samens Nevins. Oder wir sehen in einem Briefwechsel zwischen zwei Freunden,
von denen der eine gesund im Bade weilt, der andere mit gebrochenem Fuße
^aut daheim liegt, mit zunehmender Deutlichkeit Fräulein Majorie Daw
^schildert — der Gesunde schildert sie dem Kranken — wir erfahren wie sie
aussieht und sich kleidet, was sie spricht und thut, wie sie sich allmählich in
beinbrüchigen Unbekannten sterblich verliebt und zwei vortreffliche Partieen
^nethalben ausschlägt, bis sie der Herr Papa nach dem Geständniß ihrer
^ehe zu dem Unbekannten einsperrt, um sie zur Raison zu bringen. Da hält
^ der Kranke nicht mehr aus. Er reist sofort in das Bad — aber er findet
^ Haus nicht, indem Marjorie Daw wohnen soll, er findet auch seinen
oreund nicht, sondern nur einen Brief desselben, der ihm mit dürren Worten
^At: „eZ gibt durchaus keine Marjorie Daw!" Sie wurde nur' erfunden,
Ki den Freund geduldiger auf seinem Lager zu machen, und vielleicht auch,
^ WatkinS, seinen treuen Bedienten, vor der rtnangenehmen Bekanntschaft
w't den 27 Bänden von Balzac's Werken zu schützen, die lediglich zu dem
Zwecke um das Krankenlager aufgeschichtet waren, um dem Herrn als Wurf-
^schösse gegen den Diener zur Hand zu sein. Oder Aldrich sagt uns in einer
Aderer Novelle im Voraus, daß Fräulein Mehetabel dem würdigen
^ ^ Jaffrey als jungfräuliche Braut dahingestorben sei. Wenn aber nachher
Jaffrey uns bis in die kleinsten Details erzählt, wie der aus dieser nicht
^ ^gknen Ehe mit Sicherheit zu erwarten gewesene Sohn „Andchen" ein-
^ "se und Zähne bekommt, seinen Vater bestiehlt, einem alten Spinet die
k'"e absagt, und schließlich in dem hoffnungsvollen Alter von elf Jahren
^ der rothen Stube von einer Bockleiter fällt und den Hals bricht, so wirkt
^ Sicherheit der Erzählung und die Fülle des Details so berückend auf
"6- daß wir auch hier auf Schritt und Tritt uns fragen: was ist Täuschung,
bi K ^"^M? Kann ein verwirrtes Gehirn so konsequent und folgerichtig
^ Phantosmagorien ausbilden, oder liegt der Geschichte ein wirklicher
°du des seligen Fräulein Mehetabel zu Grunde. Zuletzt erst sind wir
daß „Andchen" wirklich nur in der Einbildung eristirte.

An einer Stelle in „Prudence Palfrey" sagt Aldrich: „Er besaß Witz,
n,i^ Humor, und der Unterschied zwischen Witz und Humor ist, wie' scheint, just der Unterschied zwischen einem zugeklappten und einem
theilen Federmesser." Er meint hier offenbar den Gegensatz von Satire und
in^ Humor sind keine Gegensätze. Der Witz kann sich
humoristischer oder in satirischer Form äußern. Er selbst gebietet, wie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0099" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132321"/>
          <p xml:id="ID_300" prev="#ID_299"> Personen des Stücks mystifizirt worden sind: daß z.B. der ehrwürdige junge<lb/>
Geistliche Mr. James Dillingham, der die vernünftigsten und thörichtsten<lb/>
Personen in der Hafenstadt Nivermouth in gleichem Maße entzückt und<lb/>
^'baut, niemand Anderes ist, als einer der gefährlichsten Hochstapler der Union,<lb/>
Samens Nevins. Oder wir sehen in einem Briefwechsel zwischen zwei Freunden,<lb/>
von denen der eine gesund im Bade weilt, der andere mit gebrochenem Fuße<lb/>
^aut daheim liegt, mit zunehmender Deutlichkeit Fräulein Majorie Daw<lb/>
^schildert &#x2014; der Gesunde schildert sie dem Kranken &#x2014; wir erfahren wie sie<lb/>
aussieht und sich kleidet, was sie spricht und thut, wie sie sich allmählich in<lb/>
beinbrüchigen Unbekannten sterblich verliebt und zwei vortreffliche Partieen<lb/>
^nethalben ausschlägt, bis sie der Herr Papa nach dem Geständniß ihrer<lb/>
^ehe zu dem Unbekannten einsperrt, um sie zur Raison zu bringen. Da hält<lb/>
^ der Kranke nicht mehr aus. Er reist sofort in das Bad &#x2014; aber er findet<lb/>
^ Haus nicht, indem Marjorie Daw wohnen soll, er findet auch seinen<lb/>
oreund nicht, sondern nur einen Brief desselben, der ihm mit dürren Worten<lb/>
^At: &#x201E;eZ gibt durchaus keine Marjorie Daw!"  Sie wurde nur' erfunden,<lb/>
Ki den Freund geduldiger auf seinem Lager zu machen, und vielleicht auch,<lb/>
^ WatkinS, seinen treuen Bedienten, vor der rtnangenehmen Bekanntschaft<lb/>
w't den 27 Bänden von Balzac's Werken zu schützen, die lediglich zu dem<lb/>
Zwecke um das Krankenlager aufgeschichtet waren, um dem Herrn als Wurf-<lb/>
^schösse gegen den Diener zur Hand zu sein. Oder Aldrich sagt uns in einer<lb/>
Aderer Novelle im Voraus, daß Fräulein Mehetabel dem würdigen<lb/>
^ ^ Jaffrey als jungfräuliche Braut dahingestorben sei. Wenn aber nachher<lb/>
Jaffrey uns bis in die kleinsten Details erzählt, wie der aus dieser nicht<lb/>
^ ^gknen Ehe mit Sicherheit zu erwarten gewesene Sohn &#x201E;Andchen" ein-<lb/>
^ "se und Zähne bekommt, seinen Vater bestiehlt, einem alten Spinet die<lb/>
k'"e absagt, und schließlich in dem hoffnungsvollen Alter von elf Jahren<lb/>
^ der rothen Stube von einer Bockleiter fällt und den Hals bricht, so wirkt<lb/>
^ Sicherheit der Erzählung und die Fülle des Details so berückend auf<lb/>
"6- daß wir auch hier auf Schritt und Tritt uns fragen: was ist Täuschung,<lb/>
bi K ^"^M?  Kann ein verwirrtes Gehirn so konsequent und folgerichtig<lb/>
^ Phantosmagorien ausbilden, oder liegt der Geschichte ein wirklicher<lb/>
°du des seligen Fräulein Mehetabel zu Grunde.  Zuletzt erst sind wir<lb/>
daß &#x201E;Andchen" wirklich nur in der Einbildung eristirte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_301" next="#ID_302"> An einer Stelle in &#x201E;Prudence Palfrey" sagt Aldrich:  &#x201E;Er besaß Witz,<lb/>
n,i^ Humor, und der Unterschied zwischen Witz und Humor ist, wie' scheint, just der Unterschied zwischen einem zugeklappten und einem<lb/>
theilen Federmesser."  Er meint hier offenbar den Gegensatz von Satire und<lb/>
in^    Humor sind keine Gegensätze.  Der Witz kann sich<lb/>
humoristischer oder in satirischer Form äußern.  Er selbst gebietet, wie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0099] Personen des Stücks mystifizirt worden sind: daß z.B. der ehrwürdige junge Geistliche Mr. James Dillingham, der die vernünftigsten und thörichtsten Personen in der Hafenstadt Nivermouth in gleichem Maße entzückt und ^'baut, niemand Anderes ist, als einer der gefährlichsten Hochstapler der Union, Samens Nevins. Oder wir sehen in einem Briefwechsel zwischen zwei Freunden, von denen der eine gesund im Bade weilt, der andere mit gebrochenem Fuße ^aut daheim liegt, mit zunehmender Deutlichkeit Fräulein Majorie Daw ^schildert — der Gesunde schildert sie dem Kranken — wir erfahren wie sie aussieht und sich kleidet, was sie spricht und thut, wie sie sich allmählich in beinbrüchigen Unbekannten sterblich verliebt und zwei vortreffliche Partieen ^nethalben ausschlägt, bis sie der Herr Papa nach dem Geständniß ihrer ^ehe zu dem Unbekannten einsperrt, um sie zur Raison zu bringen. Da hält ^ der Kranke nicht mehr aus. Er reist sofort in das Bad — aber er findet ^ Haus nicht, indem Marjorie Daw wohnen soll, er findet auch seinen oreund nicht, sondern nur einen Brief desselben, der ihm mit dürren Worten ^At: „eZ gibt durchaus keine Marjorie Daw!" Sie wurde nur' erfunden, Ki den Freund geduldiger auf seinem Lager zu machen, und vielleicht auch, ^ WatkinS, seinen treuen Bedienten, vor der rtnangenehmen Bekanntschaft w't den 27 Bänden von Balzac's Werken zu schützen, die lediglich zu dem Zwecke um das Krankenlager aufgeschichtet waren, um dem Herrn als Wurf- ^schösse gegen den Diener zur Hand zu sein. Oder Aldrich sagt uns in einer Aderer Novelle im Voraus, daß Fräulein Mehetabel dem würdigen ^ ^ Jaffrey als jungfräuliche Braut dahingestorben sei. Wenn aber nachher Jaffrey uns bis in die kleinsten Details erzählt, wie der aus dieser nicht ^ ^gknen Ehe mit Sicherheit zu erwarten gewesene Sohn „Andchen" ein- ^ "se und Zähne bekommt, seinen Vater bestiehlt, einem alten Spinet die k'"e absagt, und schließlich in dem hoffnungsvollen Alter von elf Jahren ^ der rothen Stube von einer Bockleiter fällt und den Hals bricht, so wirkt ^ Sicherheit der Erzählung und die Fülle des Details so berückend auf "6- daß wir auch hier auf Schritt und Tritt uns fragen: was ist Täuschung, bi K ^"^M? Kann ein verwirrtes Gehirn so konsequent und folgerichtig ^ Phantosmagorien ausbilden, oder liegt der Geschichte ein wirklicher °du des seligen Fräulein Mehetabel zu Grunde. Zuletzt erst sind wir daß „Andchen" wirklich nur in der Einbildung eristirte. An einer Stelle in „Prudence Palfrey" sagt Aldrich: „Er besaß Witz, n,i^ Humor, und der Unterschied zwischen Witz und Humor ist, wie' scheint, just der Unterschied zwischen einem zugeklappten und einem theilen Federmesser." Er meint hier offenbar den Gegensatz von Satire und in^ Humor sind keine Gegensätze. Der Witz kann sich humoristischer oder in satirischer Form äußern. Er selbst gebietet, wie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/99
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/99>, abgerufen am 27.07.2024.