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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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wir sehen werden, über Humor und Satire in gleichem Maße, und wir sind
überzeugt, daß viele seiner Novellen, wie z. B. unzweifelhaft die Geschichte
des begrabenen Mr. Wentworth "der Kampf um das Leben", und vielleicht
auch die lustige Phantasiegestalt "Marjorie Daw" und "Andchen" in der
Hauptsache oder doch nebenbei den Zweck verfolgt, gewisse Modethorheiten
des amerikanischen Sensationsromans zu geißeln. Aber wir Deutschen wissen
aus Karl Jmmerman's Schriften und deren negativem Erfolg, wie wenig
ein Schriftsteller, selbst in einer, literarischem Schaffen so vorwiegend zugeneigten
Epoche, wie diejenige war, in der Immermann schrieb, damit ausrichtet, den
geistreichen Kritiker der literarischen Verirrungen seiner Zeit zu spielen. Und
Aldrich zählt in dem weit weniger kritischen und weit produktiveren und zeit'
ärmeren Nordamerika unserer Tage zu den beliebtesten Schriftstellern der
Nation. Von Immermann's Schriften ist im wesentlichen nur "Münchhausen
und von diesem geradezu epochemachenden Roman wiederum uur jener Theil
zum unvergänglichen Gemeingut des deutschen Volkes geworden, welcher sich
um den Hofschulzen und die Liebe des schwäbischen Jägers zu Lisbeth webt-
Hier hat der Dichter Sitten und Neigungen und Charaktere geschildert, ^
dem deutschen Volke von heute so ureigenthümlich und theuer sind, wie vor
vierundvierzig Jahren, ja die kaum eine Aenderung erfahren haben, sende"'
das Schwert Karl's des Großen unter der uralten Vehmlinde aus rother
Erde beim Dingtag in der Sonne glänzte.

So ist auch Aldrich's beste Kraft gesetzt an die treue und wahre sah^
derung seines Volkes, und der große und allgemeine Beifall, den seine sah^
ten über den Ocean gefunden, ein Beweis dafür, daß er richtig und vor-
trefflich darzustellen vermochte, was Millionen mit ihm gleichzeitig empfandet
Nur springt auch hier, in der Schilderung der Eigenthümlichkeit des nord'
amerikanischen -- oder wie er mit Vorliebe sagt "neuenglischen" -- Lebens-
der Unterschied zwischen ihm und Bret Harte in die Augen. Die nordawer''
karische Union ist in sich selbst das merkwürdigste Beispiel der gleichzeitig?"
Vereinigung aller Kultur- und Wirthschaftsepochen, welche die Welt "
gesehen hat. Große Stäbe. erfüllt von allen Tugenden und Gebreche"
moderner Großstädte. Ringsum der städtische Nahrungsspielraum mit d^
intensivsten Bewirthschaftung des Bodens soweit beschäftigt, als Jndust^
und Handel vom Boden übrig gelassen haben. Dann weite Strecken Lande -
die einer mäßigen Lnndwirthschaft dienen. Dann noch größere Flächen, wee ^
die Väter erst der Kultur gewannen, wo die Absatzquellen spärlicher sind.
die Ernte. Dann jene immer noch unendlichen Strecken jungfräulichen B-s^n^
auf denen der Trapper den Büffel jagt, oder der Indianer die letzten
seiner Freiheit verträumt oder der Goldsucher das gelbe Metall aus der ^ ^
schaufelt oder dem Flußsande abgewinnt. Alle diese Fachwerke menschl'""'


wir sehen werden, über Humor und Satire in gleichem Maße, und wir sind
überzeugt, daß viele seiner Novellen, wie z. B. unzweifelhaft die Geschichte
des begrabenen Mr. Wentworth „der Kampf um das Leben", und vielleicht
auch die lustige Phantasiegestalt „Marjorie Daw" und „Andchen" in der
Hauptsache oder doch nebenbei den Zweck verfolgt, gewisse Modethorheiten
des amerikanischen Sensationsromans zu geißeln. Aber wir Deutschen wissen
aus Karl Jmmerman's Schriften und deren negativem Erfolg, wie wenig
ein Schriftsteller, selbst in einer, literarischem Schaffen so vorwiegend zugeneigten
Epoche, wie diejenige war, in der Immermann schrieb, damit ausrichtet, den
geistreichen Kritiker der literarischen Verirrungen seiner Zeit zu spielen. Und
Aldrich zählt in dem weit weniger kritischen und weit produktiveren und zeit'
ärmeren Nordamerika unserer Tage zu den beliebtesten Schriftstellern der
Nation. Von Immermann's Schriften ist im wesentlichen nur „Münchhausen
und von diesem geradezu epochemachenden Roman wiederum uur jener Theil
zum unvergänglichen Gemeingut des deutschen Volkes geworden, welcher sich
um den Hofschulzen und die Liebe des schwäbischen Jägers zu Lisbeth webt-
Hier hat der Dichter Sitten und Neigungen und Charaktere geschildert, ^
dem deutschen Volke von heute so ureigenthümlich und theuer sind, wie vor
vierundvierzig Jahren, ja die kaum eine Aenderung erfahren haben, sende»'
das Schwert Karl's des Großen unter der uralten Vehmlinde aus rother
Erde beim Dingtag in der Sonne glänzte.

So ist auch Aldrich's beste Kraft gesetzt an die treue und wahre sah^
derung seines Volkes, und der große und allgemeine Beifall, den seine sah^
ten über den Ocean gefunden, ein Beweis dafür, daß er richtig und vor-
trefflich darzustellen vermochte, was Millionen mit ihm gleichzeitig empfandet
Nur springt auch hier, in der Schilderung der Eigenthümlichkeit des nord'
amerikanischen — oder wie er mit Vorliebe sagt „neuenglischen" — Lebens-
der Unterschied zwischen ihm und Bret Harte in die Augen. Die nordawer''
karische Union ist in sich selbst das merkwürdigste Beispiel der gleichzeitig?"
Vereinigung aller Kultur- und Wirthschaftsepochen, welche die Welt "
gesehen hat. Große Stäbe. erfüllt von allen Tugenden und Gebreche"
moderner Großstädte. Ringsum der städtische Nahrungsspielraum mit d^
intensivsten Bewirthschaftung des Bodens soweit beschäftigt, als Jndust^
und Handel vom Boden übrig gelassen haben. Dann weite Strecken Lande -
die einer mäßigen Lnndwirthschaft dienen. Dann noch größere Flächen, wee ^
die Väter erst der Kultur gewannen, wo die Absatzquellen spärlicher sind.
die Ernte. Dann jene immer noch unendlichen Strecken jungfräulichen B-s^n^
auf denen der Trapper den Büffel jagt, oder der Indianer die letzten
seiner Freiheit verträumt oder der Goldsucher das gelbe Metall aus der ^ ^
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/100>, abgerufen am 27.07.2024.