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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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Im Grunde beruht aber die Erscheinung der Materie nur auf unseren ver¬
worrenen Anschauungen. Mit dieser Materie verbindet nun Leibniz streng
den Begriff der mechanischen Causalität. Die Monaden sind auch Körper, in¬
sofern sie Einzelwesen sind, also Schranken haben, und die Bewegungen der
Körper gehen alle nach mechanischen Gesetzen vor sich. Soweit von einer
gegenseitigen Einwirkung von einem Bestimmtwerden durch einander die Rede
ist, so vollzieht sich das Alles auf mechanischem Wege. Jeder Körper ist
von vornherein eine Maschine, so daß sogar eine materialistische Naturan¬
schauung bei Leibniz zu Tage tritt. Wie verhält sich nun zu diesem Herr¬
schen des Causalitätsgesetzes der Zweck bei ihm. durch dessen Annahme sich
seine Philosophie so wesentlich von der des Spinoza unterscheidet?

Es ist außer der leidenden Kraft, welche die Monade nach außen be¬
schränkt und sie Unterthan macht dem Gesetz von Ursache und Wirkung, noch
eine thätige Kraft in jeder Monade, welche ihren eigentlichen Inhalt bildet,
während jene leidende ihre Individualität, ihre Besonderheit überhaupt er¬
möglicht. Diese thätige Kraft ist die Erfüllung der Eigenthümlichkeit einer
jeden Monade, nichts als diese eine Monade voraussetzend. Wird die leidende
Kraft als Materie betrachtet, so diese als Form, daher auch vnttilkclüa
prima genannt. Sie ist gleichsam die Seele der Monade; die Seele geht aber
darauf aus, die ursprüngliche Anlage zu entfalten, und so kommt in diese
Entwickelung der Zweck hinein, als das Bestimmende und Maßgebende. Auf
diesen Zweck, also die Entfaltung der ursprünglichen Anlage, arbeitet die
ganze Maschine los, auf ihn arbeitet die Causalität los. die sogar das noth¬
wendige Mittel ist zu der Entwickelung einer jeden Monade. Teleologie und
Mechanismus müssen sich verbinden, um die Welt in ihrem Grunde zu erklären.
Allerdings bildet dabei die Teleologie das bestimmende und allgemeine Prin¬
cip, die Causalität das untergeordnete, wie dies Leibniz unzweideutig aus¬
spricht: (Äusas "MeiöntöL xeuüevt a tmgMus. Während die Causalität nur
auf die Natur im engeren Sinne, auf die Körperwelt geht, erstreckt sich das
teleologische Princip auf die ganze Weltordnung. Die mechanische Welt darf
nicht abgesondert werden von der moralischen, auf welche letztere Alles ange¬
legt ist.")

Man kann nicht sagen, daß trotz der bestimmt ausgesprochenen Absicht
Leibnizens. die Causalität mit der Teleologie zu vereinen, diese Aufgabe glücklich
von ihm gelöst sei. -- Die eine Seite, die Causalität, zieht trotzdem, daß Leibniz
auf dem Gebiete der Natur ein so exacter Forscher war, den kürzeren. Wird die
Materie überhaupt zu einem Phänomenon, wenngleich deus tunäatum, so
kommt auch die Causalität nahe daran, zu. einem Schein zu werden, bloß



") Vgl. Kuno Fischer's Darstellung dieses Cardinalpunktes in der Leibnizischm Lehre.

Im Grunde beruht aber die Erscheinung der Materie nur auf unseren ver¬
worrenen Anschauungen. Mit dieser Materie verbindet nun Leibniz streng
den Begriff der mechanischen Causalität. Die Monaden sind auch Körper, in¬
sofern sie Einzelwesen sind, also Schranken haben, und die Bewegungen der
Körper gehen alle nach mechanischen Gesetzen vor sich. Soweit von einer
gegenseitigen Einwirkung von einem Bestimmtwerden durch einander die Rede
ist, so vollzieht sich das Alles auf mechanischem Wege. Jeder Körper ist
von vornherein eine Maschine, so daß sogar eine materialistische Naturan¬
schauung bei Leibniz zu Tage tritt. Wie verhält sich nun zu diesem Herr¬
schen des Causalitätsgesetzes der Zweck bei ihm. durch dessen Annahme sich
seine Philosophie so wesentlich von der des Spinoza unterscheidet?

Es ist außer der leidenden Kraft, welche die Monade nach außen be¬
schränkt und sie Unterthan macht dem Gesetz von Ursache und Wirkung, noch
eine thätige Kraft in jeder Monade, welche ihren eigentlichen Inhalt bildet,
während jene leidende ihre Individualität, ihre Besonderheit überhaupt er¬
möglicht. Diese thätige Kraft ist die Erfüllung der Eigenthümlichkeit einer
jeden Monade, nichts als diese eine Monade voraussetzend. Wird die leidende
Kraft als Materie betrachtet, so diese als Form, daher auch vnttilkclüa
prima genannt. Sie ist gleichsam die Seele der Monade; die Seele geht aber
darauf aus, die ursprüngliche Anlage zu entfalten, und so kommt in diese
Entwickelung der Zweck hinein, als das Bestimmende und Maßgebende. Auf
diesen Zweck, also die Entfaltung der ursprünglichen Anlage, arbeitet die
ganze Maschine los, auf ihn arbeitet die Causalität los. die sogar das noth¬
wendige Mittel ist zu der Entwickelung einer jeden Monade. Teleologie und
Mechanismus müssen sich verbinden, um die Welt in ihrem Grunde zu erklären.
Allerdings bildet dabei die Teleologie das bestimmende und allgemeine Prin¬
cip, die Causalität das untergeordnete, wie dies Leibniz unzweideutig aus¬
spricht: (Äusas «MeiöntöL xeuüevt a tmgMus. Während die Causalität nur
auf die Natur im engeren Sinne, auf die Körperwelt geht, erstreckt sich das
teleologische Princip auf die ganze Weltordnung. Die mechanische Welt darf
nicht abgesondert werden von der moralischen, auf welche letztere Alles ange¬
legt ist.")

Man kann nicht sagen, daß trotz der bestimmt ausgesprochenen Absicht
Leibnizens. die Causalität mit der Teleologie zu vereinen, diese Aufgabe glücklich
von ihm gelöst sei. — Die eine Seite, die Causalität, zieht trotzdem, daß Leibniz
auf dem Gebiete der Natur ein so exacter Forscher war, den kürzeren. Wird die
Materie überhaupt zu einem Phänomenon, wenngleich deus tunäatum, so
kommt auch die Causalität nahe daran, zu. einem Schein zu werden, bloß



") Vgl. Kuno Fischer's Darstellung dieses Cardinalpunktes in der Leibnizischm Lehre.
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[0094] Im Grunde beruht aber die Erscheinung der Materie nur auf unseren ver¬ worrenen Anschauungen. Mit dieser Materie verbindet nun Leibniz streng den Begriff der mechanischen Causalität. Die Monaden sind auch Körper, in¬ sofern sie Einzelwesen sind, also Schranken haben, und die Bewegungen der Körper gehen alle nach mechanischen Gesetzen vor sich. Soweit von einer gegenseitigen Einwirkung von einem Bestimmtwerden durch einander die Rede ist, so vollzieht sich das Alles auf mechanischem Wege. Jeder Körper ist von vornherein eine Maschine, so daß sogar eine materialistische Naturan¬ schauung bei Leibniz zu Tage tritt. Wie verhält sich nun zu diesem Herr¬ schen des Causalitätsgesetzes der Zweck bei ihm. durch dessen Annahme sich seine Philosophie so wesentlich von der des Spinoza unterscheidet? Es ist außer der leidenden Kraft, welche die Monade nach außen be¬ schränkt und sie Unterthan macht dem Gesetz von Ursache und Wirkung, noch eine thätige Kraft in jeder Monade, welche ihren eigentlichen Inhalt bildet, während jene leidende ihre Individualität, ihre Besonderheit überhaupt er¬ möglicht. Diese thätige Kraft ist die Erfüllung der Eigenthümlichkeit einer jeden Monade, nichts als diese eine Monade voraussetzend. Wird die leidende Kraft als Materie betrachtet, so diese als Form, daher auch vnttilkclüa prima genannt. Sie ist gleichsam die Seele der Monade; die Seele geht aber darauf aus, die ursprüngliche Anlage zu entfalten, und so kommt in diese Entwickelung der Zweck hinein, als das Bestimmende und Maßgebende. Auf diesen Zweck, also die Entfaltung der ursprünglichen Anlage, arbeitet die ganze Maschine los, auf ihn arbeitet die Causalität los. die sogar das noth¬ wendige Mittel ist zu der Entwickelung einer jeden Monade. Teleologie und Mechanismus müssen sich verbinden, um die Welt in ihrem Grunde zu erklären. Allerdings bildet dabei die Teleologie das bestimmende und allgemeine Prin¬ cip, die Causalität das untergeordnete, wie dies Leibniz unzweideutig aus¬ spricht: (Äusas «MeiöntöL xeuüevt a tmgMus. Während die Causalität nur auf die Natur im engeren Sinne, auf die Körperwelt geht, erstreckt sich das teleologische Princip auf die ganze Weltordnung. Die mechanische Welt darf nicht abgesondert werden von der moralischen, auf welche letztere Alles ange¬ legt ist.") Man kann nicht sagen, daß trotz der bestimmt ausgesprochenen Absicht Leibnizens. die Causalität mit der Teleologie zu vereinen, diese Aufgabe glücklich von ihm gelöst sei. — Die eine Seite, die Causalität, zieht trotzdem, daß Leibniz auf dem Gebiete der Natur ein so exacter Forscher war, den kürzeren. Wird die Materie überhaupt zu einem Phänomenon, wenngleich deus tunäatum, so kommt auch die Causalität nahe daran, zu. einem Schein zu werden, bloß ") Vgl. Kuno Fischer's Darstellung dieses Cardinalpunktes in der Leibnizischm Lehre.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/94>, abgerufen am 27.07.2024.