Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

auf einer confusen Ansicht zu beruhen. Immerhin ist es viel werth, zu con-
statiren, daß Leibniz die Nothwendigkeit einer solchen Verbindung eingesehen hat.

Eine jede philosophische Ansicht muß sich heutigen Tages mit der
Kant'schen Lehre, welche noch immer tonangebend ist, auseinandersetzen.
Stellen wir uns auf den rein kritischen Standpunkt, so ist allerdings nicht
die Rede von einer Teleologie. aber dabei darf man nicht vergessen, daß dann
auch nicht die Rede sein kann von Causalität. Beide Principien stammen
danach nur aus unserem Geiste, sind nicht constitutiv. sondern nur regulativ.
Solange wir also nur die Formen unseres Geistes in der Außenwelt finden
und in dem Ding an sich nichts ihnen Entsprechendes, wird unser ganzes
Thema gegenstandslos sein. Sobald Kant aber den kritischen Standpunkt
nicht einnimmt, sondern in die Welt der Erfahrung hinabsteigt, strebt er
selbst. Causalität und Teleologie zugleich anzuwenden. So lange wir in der
Natur auskommen mit dem Mechanismus, meint er. müssen wir denselben
anwenden, wir müssen sogar versuchen. Alles auf mechanische Weise zu er¬
klären ; kommen wir aber zu Naturerzeugnissen, bei denen die Möglichkeit der
mechanischen Erklärung ein Ende hat, so müssen wir so verfahren, als ob sie
nach Zweckbegriffen gebildet wären. Solche Producte findet nnn Kant in der
Natur vor, indem er zugleich den Zweckbegriff in aristotelisch-leibnizischer
Weise viel tiefer faßt, als die Aufklärungsphilosophie, welche in der populären
Art des Alterthums Alles auf den Nutzen des Menschen bezog, und so ver¬
dankt der Zweckbegriff dem Schöpfer des Kriticismus sehr viel, trotzdem daß
°r nur aus unserem Geiste stammen soll. Die organischen Wesen sind nach
Kant ohne den Zweck, der in ihnen deutlich hervortritt, gar nicht zu verstehen.
Denn alles das Einzelne ist auf das Ganze gerichtet, alles Einzelne existirt
uur deshalb und hat nur darum einen Sinn, weil es sich zu einem bestimmten
Ganzen bilden soll. So muß das Ganze als Ursache für die einzelnen Theile
""gesehen werden, und diese Ursache, d. h. diese Endursache, liegt als formen¬
des Princip in ihnen selbst. Ist aber bei den Organismen die innere Zweck¬
mäßigkeit anerkannt, so ist es natürlich, daß wir sie auch sonst in der Natur.
^ den anderen Producten und den Gesetzen der Natur nicht blos suchen, son¬
dern auch finden. Wenn gleich Kant selbst diesen Begriff nicht zum Aufbau
°mer naturwissenschaftlichen Theorie anwendet -- dazu ist er zu vorsichtig --.
s° hat doch seine Naturerklärung für die Naturforschung der folgenden Zeit
die besten Früchte getragen.

Kant läßt die beiden Principien nicht in einander aufgehen; sie haben
getrenntes Gebiet. Wo das eine aufhört, fängt das andere an; die eine
^rklärungsart schließt die andere aus. Erklären wir etwas nach mechanischen
^fachen, so können wir nicht mehr nach einem Zweck fragen, und können


auf einer confusen Ansicht zu beruhen. Immerhin ist es viel werth, zu con-
statiren, daß Leibniz die Nothwendigkeit einer solchen Verbindung eingesehen hat.

Eine jede philosophische Ansicht muß sich heutigen Tages mit der
Kant'schen Lehre, welche noch immer tonangebend ist, auseinandersetzen.
Stellen wir uns auf den rein kritischen Standpunkt, so ist allerdings nicht
die Rede von einer Teleologie. aber dabei darf man nicht vergessen, daß dann
auch nicht die Rede sein kann von Causalität. Beide Principien stammen
danach nur aus unserem Geiste, sind nicht constitutiv. sondern nur regulativ.
Solange wir also nur die Formen unseres Geistes in der Außenwelt finden
und in dem Ding an sich nichts ihnen Entsprechendes, wird unser ganzes
Thema gegenstandslos sein. Sobald Kant aber den kritischen Standpunkt
nicht einnimmt, sondern in die Welt der Erfahrung hinabsteigt, strebt er
selbst. Causalität und Teleologie zugleich anzuwenden. So lange wir in der
Natur auskommen mit dem Mechanismus, meint er. müssen wir denselben
anwenden, wir müssen sogar versuchen. Alles auf mechanische Weise zu er¬
klären ; kommen wir aber zu Naturerzeugnissen, bei denen die Möglichkeit der
mechanischen Erklärung ein Ende hat, so müssen wir so verfahren, als ob sie
nach Zweckbegriffen gebildet wären. Solche Producte findet nnn Kant in der
Natur vor, indem er zugleich den Zweckbegriff in aristotelisch-leibnizischer
Weise viel tiefer faßt, als die Aufklärungsphilosophie, welche in der populären
Art des Alterthums Alles auf den Nutzen des Menschen bezog, und so ver¬
dankt der Zweckbegriff dem Schöpfer des Kriticismus sehr viel, trotzdem daß
°r nur aus unserem Geiste stammen soll. Die organischen Wesen sind nach
Kant ohne den Zweck, der in ihnen deutlich hervortritt, gar nicht zu verstehen.
Denn alles das Einzelne ist auf das Ganze gerichtet, alles Einzelne existirt
uur deshalb und hat nur darum einen Sinn, weil es sich zu einem bestimmten
Ganzen bilden soll. So muß das Ganze als Ursache für die einzelnen Theile
"»gesehen werden, und diese Ursache, d. h. diese Endursache, liegt als formen¬
des Princip in ihnen selbst. Ist aber bei den Organismen die innere Zweck¬
mäßigkeit anerkannt, so ist es natürlich, daß wir sie auch sonst in der Natur.
^ den anderen Producten und den Gesetzen der Natur nicht blos suchen, son¬
dern auch finden. Wenn gleich Kant selbst diesen Begriff nicht zum Aufbau
°mer naturwissenschaftlichen Theorie anwendet — dazu ist er zu vorsichtig —.
s° hat doch seine Naturerklärung für die Naturforschung der folgenden Zeit
die besten Früchte getragen.

Kant läßt die beiden Principien nicht in einander aufgehen; sie haben
getrenntes Gebiet. Wo das eine aufhört, fängt das andere an; die eine
^rklärungsart schließt die andere aus. Erklären wir etwas nach mechanischen
^fachen, so können wir nicht mehr nach einem Zweck fragen, und können


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0095" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132317"/>
          <p xml:id="ID_290" prev="#ID_289"> auf einer confusen Ansicht zu beruhen. Immerhin ist es viel werth, zu con-<lb/>
statiren, daß Leibniz die Nothwendigkeit einer solchen Verbindung eingesehen hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_291"> Eine jede philosophische Ansicht muß sich heutigen Tages mit der<lb/>
Kant'schen Lehre, welche noch immer tonangebend ist, auseinandersetzen.<lb/>
Stellen wir uns auf den rein kritischen Standpunkt, so ist allerdings nicht<lb/>
die Rede von einer Teleologie. aber dabei darf man nicht vergessen, daß dann<lb/>
auch nicht die Rede sein kann von Causalität.  Beide Principien stammen<lb/>
danach nur aus unserem Geiste, sind nicht constitutiv. sondern nur regulativ.<lb/>
Solange wir also nur die Formen unseres Geistes in der Außenwelt finden<lb/>
und in dem Ding an sich nichts ihnen Entsprechendes, wird unser ganzes<lb/>
Thema gegenstandslos sein.  Sobald Kant aber den kritischen Standpunkt<lb/>
nicht einnimmt, sondern in die Welt der Erfahrung hinabsteigt, strebt er<lb/>
selbst. Causalität und Teleologie zugleich anzuwenden.  So lange wir in der<lb/>
Natur auskommen mit dem Mechanismus, meint er. müssen wir denselben<lb/>
anwenden, wir müssen sogar versuchen. Alles auf mechanische Weise zu er¬<lb/>
klären ; kommen wir aber zu Naturerzeugnissen, bei denen die Möglichkeit der<lb/>
mechanischen Erklärung ein Ende hat, so müssen wir so verfahren, als ob sie<lb/>
nach Zweckbegriffen gebildet wären.  Solche Producte findet nnn Kant in der<lb/>
Natur vor, indem er zugleich den Zweckbegriff in aristotelisch-leibnizischer<lb/>
Weise viel tiefer faßt, als die Aufklärungsphilosophie, welche in der populären<lb/>
Art des Alterthums Alles auf den Nutzen des Menschen bezog, und so ver¬<lb/>
dankt der Zweckbegriff dem Schöpfer des Kriticismus sehr viel, trotzdem daß<lb/>
°r nur aus unserem Geiste stammen soll.  Die organischen Wesen sind nach<lb/>
Kant ohne den Zweck, der in ihnen deutlich hervortritt, gar nicht zu verstehen.<lb/>
Denn alles das Einzelne ist auf das Ganze gerichtet, alles Einzelne existirt<lb/>
uur deshalb und hat nur darum einen Sinn, weil es sich zu einem bestimmten<lb/>
Ganzen bilden soll.  So muß das Ganze als Ursache für die einzelnen Theile<lb/>
"»gesehen werden, und diese Ursache, d. h. diese Endursache, liegt als formen¬<lb/>
des Princip in ihnen selbst.  Ist aber bei den Organismen die innere Zweck¬<lb/>
mäßigkeit anerkannt, so ist es natürlich, daß wir sie auch sonst in der Natur.<lb/>
^ den anderen Producten und den Gesetzen der Natur nicht blos suchen, son¬<lb/>
dern auch finden.  Wenn gleich Kant selbst diesen Begriff nicht zum Aufbau<lb/>
°mer naturwissenschaftlichen Theorie anwendet &#x2014; dazu ist er zu vorsichtig &#x2014;.<lb/>
s° hat doch seine Naturerklärung für die Naturforschung der folgenden Zeit<lb/>
die besten Früchte getragen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_292" next="#ID_293"> Kant läßt die beiden Principien nicht in einander aufgehen; sie haben<lb/>
getrenntes Gebiet. Wo das eine aufhört, fängt das andere an; die eine<lb/>
^rklärungsart schließt die andere aus. Erklären wir etwas nach mechanischen<lb/>
^fachen, so können wir nicht mehr nach einem Zweck fragen, und können</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0095] auf einer confusen Ansicht zu beruhen. Immerhin ist es viel werth, zu con- statiren, daß Leibniz die Nothwendigkeit einer solchen Verbindung eingesehen hat. Eine jede philosophische Ansicht muß sich heutigen Tages mit der Kant'schen Lehre, welche noch immer tonangebend ist, auseinandersetzen. Stellen wir uns auf den rein kritischen Standpunkt, so ist allerdings nicht die Rede von einer Teleologie. aber dabei darf man nicht vergessen, daß dann auch nicht die Rede sein kann von Causalität. Beide Principien stammen danach nur aus unserem Geiste, sind nicht constitutiv. sondern nur regulativ. Solange wir also nur die Formen unseres Geistes in der Außenwelt finden und in dem Ding an sich nichts ihnen Entsprechendes, wird unser ganzes Thema gegenstandslos sein. Sobald Kant aber den kritischen Standpunkt nicht einnimmt, sondern in die Welt der Erfahrung hinabsteigt, strebt er selbst. Causalität und Teleologie zugleich anzuwenden. So lange wir in der Natur auskommen mit dem Mechanismus, meint er. müssen wir denselben anwenden, wir müssen sogar versuchen. Alles auf mechanische Weise zu er¬ klären ; kommen wir aber zu Naturerzeugnissen, bei denen die Möglichkeit der mechanischen Erklärung ein Ende hat, so müssen wir so verfahren, als ob sie nach Zweckbegriffen gebildet wären. Solche Producte findet nnn Kant in der Natur vor, indem er zugleich den Zweckbegriff in aristotelisch-leibnizischer Weise viel tiefer faßt, als die Aufklärungsphilosophie, welche in der populären Art des Alterthums Alles auf den Nutzen des Menschen bezog, und so ver¬ dankt der Zweckbegriff dem Schöpfer des Kriticismus sehr viel, trotzdem daß °r nur aus unserem Geiste stammen soll. Die organischen Wesen sind nach Kant ohne den Zweck, der in ihnen deutlich hervortritt, gar nicht zu verstehen. Denn alles das Einzelne ist auf das Ganze gerichtet, alles Einzelne existirt uur deshalb und hat nur darum einen Sinn, weil es sich zu einem bestimmten Ganzen bilden soll. So muß das Ganze als Ursache für die einzelnen Theile "»gesehen werden, und diese Ursache, d. h. diese Endursache, liegt als formen¬ des Princip in ihnen selbst. Ist aber bei den Organismen die innere Zweck¬ mäßigkeit anerkannt, so ist es natürlich, daß wir sie auch sonst in der Natur. ^ den anderen Producten und den Gesetzen der Natur nicht blos suchen, son¬ dern auch finden. Wenn gleich Kant selbst diesen Begriff nicht zum Aufbau °mer naturwissenschaftlichen Theorie anwendet — dazu ist er zu vorsichtig —. s° hat doch seine Naturerklärung für die Naturforschung der folgenden Zeit die besten Früchte getragen. Kant läßt die beiden Principien nicht in einander aufgehen; sie haben getrenntes Gebiet. Wo das eine aufhört, fängt das andere an; die eine ^rklärungsart schließt die andere aus. Erklären wir etwas nach mechanischen ^fachen, so können wir nicht mehr nach einem Zweck fragen, und können

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/95
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/95>, abgerufen am 28.12.2024.