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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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der Zweck, der im Anfang schon bestand, und von dem Zwecke kann sich die
Selectionstheorie nicht losmachen.

Auch noch etwas Anderes zwingt zur Annahme dieses Princips nach
Darwin's Lehre. Der Kampf ums Dasein ist das Losungswort der Theorie.
Aber beruht nicht der ganze Kampf ums Dasein auf dem Streben der Natur,
das einmal Hervorgebrachte zu erhalten, als Individuum oder als Gattung?
Jedes Einzelgeschöpf sucht sein Dasein fortzusetzen, das ist ein echter und
sichtbarer Zweck, den sogar Spinoza klar genug ausgesprochen, und zum
Fundament seiner Ethik gemacht hat. Flete dieser Trieb, dieser immanente
Zweck, der sich durch den Trieb verwirklicht, einmal weg, so hörte der ganze
Kampf um das Dasein auf, da jedes Geschöpf sich dann ebenso gern dem
Verderben anheim geben müßte, als sich selbst erhalten.

Wir sind hier gerade bei der Lehre Darwin's zur Verbindung von Cau-
salität und Zweck gekommen. Von beiden können wir uns bei der Betrach¬
tung der Welt nicht los machen. Wollen wir uns nicht in dem Widerspruche
der zwei Principien gefallen, so müssen wir beide in einander aufnehmen,
wenn auch nicht das eine dem andern unterordnen. Die strenge Causalität
wird nicht ohne Zweck sich denken lassen, ebensowenig wie der Zweck ohne
Causalität. Die letztere ist nichts Anderes, als die logische Nothwendigkeit,
die sich in der Entwickelung darlegt, -- wird sie doch als Gesetz unseres Geistes
aufgefaßt und ist durchaus logisch. Die Logik schließt aber stets das Ende
der Reihe, also den Zweck in sich. Demnach würden wir in der Logik, in der
logischen Nothwendigkeit, die wir nun und nimmer aus der Welt unserer
Erkenntniß, ebensowenig wie aus unserm Geiste entfernen können, die beiden
scheinbaren Gegensätze. Causalität. d. h. mechanische Causalität, und das theo¬
logische Princip, verbunden finden. Nur ist die Teleologie nicht in der Weis?
zu fassen, daß wir den Zweck, worauf Alles stets hinarbeitet, jedes Mal er¬
kennen, die Zweckmäßigkeit eines jeden Dinges angeben könnten, ebensowenig-
wie wir je dahin kommen werden, die wirkenden Ursachen von allen Er¬
scheinungen anzugeben, ohne doch daran zu zweifeln, daß sich stets solche
finden.

Werfen wir noch einen kurzen Blick auf die Geschichte, so ist der Versuch,
Causalität und Teleologie mit einander zu verbinden, schon öfter gemacht.
gehe hier nicht auf Aristoteles ein, den eigentlichen Philosophen des Zwecks
Bei ihm wird der Zweck noch nicht Herr über die Materie, und der Dualis¬
mus bleibt stehen. Ich erwähne zunächst die Stoiker, die mit einer Bestimmt¬
heit das Causalitätsgesetz aussprechen und überall geltend machten, wie wir es
sonst in der alten Philosophie nicht finden, und doch den Zweck als all'
mächtig in ihrem System walten ließen. Zugleich waren sie Materialisten,
nicht in dem Sinne wie die Atomistiker, aber doch in dem, daß sie nichts


der Zweck, der im Anfang schon bestand, und von dem Zwecke kann sich die
Selectionstheorie nicht losmachen.

Auch noch etwas Anderes zwingt zur Annahme dieses Princips nach
Darwin's Lehre. Der Kampf ums Dasein ist das Losungswort der Theorie.
Aber beruht nicht der ganze Kampf ums Dasein auf dem Streben der Natur,
das einmal Hervorgebrachte zu erhalten, als Individuum oder als Gattung?
Jedes Einzelgeschöpf sucht sein Dasein fortzusetzen, das ist ein echter und
sichtbarer Zweck, den sogar Spinoza klar genug ausgesprochen, und zum
Fundament seiner Ethik gemacht hat. Flete dieser Trieb, dieser immanente
Zweck, der sich durch den Trieb verwirklicht, einmal weg, so hörte der ganze
Kampf um das Dasein auf, da jedes Geschöpf sich dann ebenso gern dem
Verderben anheim geben müßte, als sich selbst erhalten.

Wir sind hier gerade bei der Lehre Darwin's zur Verbindung von Cau-
salität und Zweck gekommen. Von beiden können wir uns bei der Betrach¬
tung der Welt nicht los machen. Wollen wir uns nicht in dem Widerspruche
der zwei Principien gefallen, so müssen wir beide in einander aufnehmen,
wenn auch nicht das eine dem andern unterordnen. Die strenge Causalität
wird nicht ohne Zweck sich denken lassen, ebensowenig wie der Zweck ohne
Causalität. Die letztere ist nichts Anderes, als die logische Nothwendigkeit,
die sich in der Entwickelung darlegt, — wird sie doch als Gesetz unseres Geistes
aufgefaßt und ist durchaus logisch. Die Logik schließt aber stets das Ende
der Reihe, also den Zweck in sich. Demnach würden wir in der Logik, in der
logischen Nothwendigkeit, die wir nun und nimmer aus der Welt unserer
Erkenntniß, ebensowenig wie aus unserm Geiste entfernen können, die beiden
scheinbaren Gegensätze. Causalität. d. h. mechanische Causalität, und das theo¬
logische Princip, verbunden finden. Nur ist die Teleologie nicht in der Weis?
zu fassen, daß wir den Zweck, worauf Alles stets hinarbeitet, jedes Mal er¬
kennen, die Zweckmäßigkeit eines jeden Dinges angeben könnten, ebensowenig-
wie wir je dahin kommen werden, die wirkenden Ursachen von allen Er¬
scheinungen anzugeben, ohne doch daran zu zweifeln, daß sich stets solche
finden.

Werfen wir noch einen kurzen Blick auf die Geschichte, so ist der Versuch,
Causalität und Teleologie mit einander zu verbinden, schon öfter gemacht.
gehe hier nicht auf Aristoteles ein, den eigentlichen Philosophen des Zwecks
Bei ihm wird der Zweck noch nicht Herr über die Materie, und der Dualis¬
mus bleibt stehen. Ich erwähne zunächst die Stoiker, die mit einer Bestimmt¬
heit das Causalitätsgesetz aussprechen und überall geltend machten, wie wir es
sonst in der alten Philosophie nicht finden, und doch den Zweck als all'
mächtig in ihrem System walten ließen. Zugleich waren sie Materialisten,
nicht in dem Sinne wie die Atomistiker, aber doch in dem, daß sie nichts


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/92>, abgerufen am 27.07.2024.